Redelings Nachspielzeit

"Nicht bei den Hottentotten!" Als die Fehde zwischen Hoeneß und Lemke still eskalierte

Prost! Bei einer Bier- und Skatrunde in der Bremer Altstadt stoßen am 21.04.1986 an (v.l.): Bayern-Manager Uli Hoeneß, der Bremer Werder-Präsident Dr. Franz Böhmert, Bayern-Präsident Prof. Fritz Scherer und Werder-Manager Willi Lemke.

Prost! Bei einer Bier- und Skatrunde in der Bremer Altstadt stoßen am 21.04.1986 an (v.l.): Bayern-Manager Uli Hoeneß, der Bremer Werder-Präsident Dr. Franz Böhmert, Bayern-Präsident Prof. Fritz Scherer und Werder-Manager Willi Lemke.

(Foto: picture alliance / dpa)

Heute spielen im Nord-Süd-Gipfel wieder einmal die ewigen Rivalen Werder Bremen und der FC Bayern München gegeneinander. Früher war dies auch immer das Duell zwischen den beiden Alphatieren Uli Hoeneß und Willi Lemke. Eine ewige Feindschaft, die eigentlich ganz leise begann!

Meist beginnen die wirklich tragischen Geschichten in den leisen Momenten. So auch diese. Denn als die später so schlagzeilenträchtige Dauer-Fehde zwischen Uli Hoeneß und Willi Lemke eskalierte, war der damalige Werder-Manager vordergründig erst einmal gar nicht beteiligt. Es war der Nachmittag des 23. November 1985 als der FC Bayern München am 16. Spieltag der Saison 1985/86 zu Hause gegen den SV Werder Bremen spielte. Die Hanseaten führten zu diesem Zeitpunkt mit drei Punkten Vorsprung die Bundesliga-Tabelle an. Das wurmte die Bayern - und so wurde auf dem Platz geholzt wie selten zuvor.

Und dann passierte das Unglück. In der 16. Minute trat Münchens Verteidiger Klaus Augenthaler den stürmenden Rudi Völler ohne die geringste Chance, an den Ball zu kommen, von den Beinen. Der blieb zuerst verletzt liegen, wurde dann ausgewechselt und fiel anschließend für Monate aus. Augenthaler sagte hinterher, nach dem 3:1-Sieg gegen die geschockten Bremen, völlig emotionslos: "Ich sah nur etwas Grün-Weißes auf unseren Strafraum zukommen." Und sein Trainer Udo Lattek gab indirekt gar Völler die Schuld an seiner Verletzung: "Der Rudi ist zu schnell!"

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Auch Uli Hoeneß reagierte damals wenig sensibel: "Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Fußball ein Männersport und nichts für Klosterschüler ist." Bremen schmerzte der Verlust sehr, wie Otto Rehhagel gewohnt poetisch angehaucht erklärte: "Ohne Völler sind wir ein Orchester ohne den Ersten Geiger. So kann man nur gute, aber keine geniale Musik spielen." Ausgerechnet Bayerns Vereinsarzt Dr. Müller-Wohlfarth war es dann, der Rudi Völler erfolgreich behandelte, allerdings auch eine weiche Leiste feststellte. Mannschaftskollege Benno Möhlmann nahm diesen außergewöhnlichen Umstand übrigens mit Humor. Als er selbst wenige Wochen später verletzt war und gefragt wurde, ob er auch nach München fahre, antwortete er: "Lieber nicht. Sonst stellt der bei mir noch eine weiche Birne fest."

Völler wäre "sogar zum Nordpol gefahren"

Weniger humorvoll reagierte in Bremen die Presse. Über dem Stürmer brach ein mediales Gewitter zusammen. Doch Völler war das egal: "Ich habe mir wirklich nichts dabei gedacht. Ich fuhr nach München, weil ich mir Hilfe, endlich Hilfe erhoffte. Ich wäre sogar zum Nordpol gefahren, wenn mir dort einer hätte helfen können." Und Werder konnte die Hilfe Völlers im Rennen um den Titel gut gebrauchen. Denn ohne ihn musste Bremen am Ende noch einmal um die Meisterschaft zittern. Und dann endete die Geschichte schließlich auch so, wie man sie hätte erwarten können. Bayern sicherte sich - nach dem unglücklichen Elfmeter-Fehlschuss des Bremers Kutzop zu Hause gegen die Münchener am 33. Spieltag - im allerletzten Moment noch die Meisterschaft. Und auch wenn diese Geschichte schon so lange her ist: In Bremen haben sie bis heute nicht vergessen, was damals mit Rudi Völler geschah.

Auch der kürzlich verstorbene Willi Lemke hat den Bayern und Uli Hoeneß diesen Tag des 23. November 1985 nie verziehen. Denn für den langjährigen Werder-Manager war es zeitlebens unbegreiflich, dass die Offiziellen rund um Uli Hoeneß sich damals nicht entschuldigt haben. Und er empfand es als Provokation, dass die Bayern statt Reue zu zeigen, sogar Völler die Schuld daran gaben, selbst für seine schlimme Verletzung verantwortlich gewesen zu sein. Ab diesem Moment ist aus der stillen Rivalität eine öffentliche geworden. Und auch wenn Lemke viele Jahre später einmal über Hoeneß sagte - "Meine Abneigung gegen ihn ist vielleicht nicht ganz so öffentlich wie seine, aber ebenso emotional" -, konnten Millionen von Fußballfans schon kurz nach dem Vorfall von München medial beobachten, wie die Fehde zwischen dem Bayern-Manager und Lemke sich immer weiter hochschaukelte.

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So berichtete damals das ZDF nur wenige Wochen nach dem Foul von Augenthaler an Völler in einer Live-Sendung aus dem Weserstadion. Und Willi Lemke richtete zuvor ein paar Worte an die anwesenden Bremer Zuschauer: "Keine Pfiffe, keine Buhrufe, wenn Töppi das erste Tor als abseitsverdächtig und den Elfmeter als zweifelhaft bezeichnet. Wir sind hier nicht bei den Hottentotten und auch nicht in München!"

Wenn Bayern spielte, schaltete Lemke ab

Es waren kleine Spitzen wie diese, die die Lage zwischen den beiden Alphatieren nach und nach eskalieren ließ. Und als das Saisonfinale 1985/86 so unglücklich für die Bremer mit der Vizemeisterschaft hinter den feixenden Bayern geendet hatte, hätte noch einmal für einen kurzen Moment die Chance auf Versöhnung bestanden - doch Hoeneß sagte nach diesem unerwarteten Triumph in letzter Minute unnachgiebig zu Lemke: "Das ist kein Manager, das ist ein Pressesprecher. Der hat den FC Bayern geradezu ideologisch zum Feind erkoren. Wenn ich einen nicht bedaure, dann ist es Herr Lemke."

Die Dauer-Fehde zwischen den beiden sorgte viele Jahre bundesweit für Schlagzeilen. Und auch wenn die Bundesliga insgesamt von dieser medial so intensiv gelebten Feindschaft profitierte, war sicherlich im Kern für beide diese Hass-Beziehung nicht gesund. Denn sie ging weit über die gewohnte sportliche Rivalität hinaus. So lästerte Hoeneß auch dann noch über Lemke, als dieser bereits nicht mehr bei Werder war, sondern in die Politik zurückgekehrt war: "Erstaunlich, dass ein Mann mit einem solchen Charakter Minister eines Bundeslandes werden kann und für die Erziehung zuständig ist."

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Und auch Lemke sparte - trotz zwischenzeitlicher Versöhnung der beiden - nicht mit Hohn und Spott. So sagte der frühere Werder-Manager noch im Jahr 2019: "Wenn ich sehe, dass Bayern München spielt, dann schalte ich nicht ein, weil ich gar keine Lust habe, sie fünf zu null gewinnen zu sehen. Wenn die aber zurückliegen und ich kriege das mit, dann schalte ich ein."

"Mit dem werde ich nie Frieden schließen. Niemals", hat Uli Hoeneß einst gemeint. Als Willi Lemke nun am 12. August überraschend verstarb, fand der langjährige mächtige Mann des FC Bayern München versöhnliche Worte: "Die Nachricht hat mich traurig gemacht. Willi Lemke war ein Mann der Kontroverse: Jeder weiß, dass wir oft diskutiert und gestritten haben. Aber er war auch ein Mann des Dialogs, und letztlich haben wir zu einem guten Verhältnis gefunden." Und so endete eine Geschichte, die vor knapp 39 Jahren im Münchener Olympiastadion zuerst leise im Hintergrund entstand und dann so laut eskalierte, vor wenigen Wochen im stillen Andenken.

Quelle: ntv.de

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