Prolet oder Poet? Atléticos Diego Simeone reizt es aus
04.05.2016, 13:36 Uhr
Neulich im Stadion: die Herren Simeone und Ribéry.
(Foto: REUTERS)
Für die einen ist er der beste Trainer der Welt, für die anderen ein wilder Prolet. Sagen wir es so: Atléticos Trainer Simeone polarisert. Und er steht im Endspiel der Champions Leage - anders als der FC Bayern.
Niemand muss Diego Simeone mögen. Aber der Mann ist ein Poet. Er hat sich mit den Fußballern von Atlético Madrid gegen den FC Bayern durchgesetzt, steht zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren im Finale der Champions League - und sagte nach der Partie am Dienstagabend in München: "Ich habe mich fast verliebt." In den Gegner wohlgemerkt.
Dabei hatten ihn die meisten der 70.000 Zuschauer in Fröttmaning nicht gerade freundlich empfangen. Als der Stadionsprecher vor dem Anpfiff dieses Halbfinalrückspiels den Namen des argentinischen Trainers nannte, folgte ein veritables Pfeifkonzert. Allseits beliebt ist Diego Simeone nun wirklich nicht, die Fans des FC Bayern dürften ihn hassen. Die Art, wie er seine Spieler antreibt und kompromisslos zum Erfolg zwingt, ist grenzwertig. Aber über Geschmacksfragen lässt es sich bekanntlich schlecht streiten. Exemplarisch war eine Szene nach 37 Minuten. Da beschwerte sich Simeone nach einem Foul Juanfrans am Münchner Robert Lewandowski ungestüm vor der Bank des FC Bayern und legte sich mit Ko-Trainer Hermann Gerland an. Franck Ribéry versuchte, Simeone wegziehen, der fasste dem Franzosen an den Hals. Ribéry packte sich Simeone, hob ihn hoch und trug ihn weg. Danach war Ruhe. Und Simeones Mannschaft hatte Zeit, sich ein wenig zu sortieren.
Um es positiv zu formulieren: Er ist der Gegenentwurf zum Technokraten an der Seitenlinie. Er ist ein Fußballer. Er lebt seinen Sport. Für die einen ist er der beste Trainer der Welt, für die anderen ein wilder Prolet im schwarzen Anzug, dem jedes Mittel recht ist. Um es vorsichtig zu formulieren: Er polarisiert. Fest steht aber: Er ist der Mann, der sich gegen Josep Guardiola durchgesetzt hat; nach dem 1:0 in Madrid reichte Atlético das 1:2 im Rückspiel, um in das Finale einzuziehen. Der Gegner am 28. Mai in Mailand heißt dann entweder Manchester City oder Real Madrid, beide stehen sich heute (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) gegenüber.
"Unfassbar, wie Bayern aufgetreten ist"
Wenn Simeone hinterher den FC Bayern lobte, pries er auch sich selbst: "Ich habe in der ersten Halbzeit gegen die beste Mannschaft in meiner Karriere gespielt. Es ist unfassbar, wie Bayern aufgetreten ist." Zur Erinnerung: Der Mann trainiert ein Team, dass in der spanischen Primera Division auf Platz zwei steht - und mindestens viermal in einer Saison gegen den FC Barcelona und den Stadtrivalen Real spielt. Wenn die Münchner nach ihrem Aus nicht so unglücklich wären, sie könnten sich glatt etwas einbilden auf dieses Kompliment.
Wenn Simeone dem Gegner seinen Respekt zollte, heißt das aber auch, dass er guten Fußball durchaus zu schätzen weiß. Und den hat auch seine Mannschaft in beiden Halbfinals geboten. Es ist nämlich nicht so, dass er eine mit Defensivfetischisten besetzte Kloppertruppe befehligt. Kein Trainer der Welt besiegt im wichtigsten Wettbewerb des Kontinents hintereinander Barça und den FC Bayern, ohne konstruktiv zu denken und zu handeln. "Wir haben gekämpft, wir mussten leiden. Wir haben es ins Finale geschafft und dabei zwei der drei besten Mannschaften in Europa ausgeschaltet. Ich bin sehr stolz."
Simeone ist ein Meister des taktischen Kniffs. In München wirkte seine Mannschaft am Dienstag allerdings vor allem in der ersten Halbzeit lange Zeit überfordert, gegen einen starken, wuchtigen und aggressiven FC Bayern. Und Simeone? Er fand die richtige Antwort, wechselte Augusto Fernandez aus, Yannick Ferreira-Carrasco ein - und erwirkte so mehr Zugriff und Stabilität im Mittelfeld. Doch damit erschöpft sich seine Arbeit nicht. Immer wieder verschaffte er seinem Team Auszeiten - wie bei besagtem Clinch mit Ribéry - und versuchte, den Rhythmus des Gegners zu brechen. Er verließ seine Coaching-Zone, gestikulierte, hielt bei Einwürfen den Ball fest, animierte seine Spieler dazu, Zeit zu schinden.
Kurzum: Er setzte an der Seitenlinie alle Mittel ein, von denen er sich Erfolg versprach. Und seine Mannschaft auf dem Rasen tat das auch. Das mag nicht immer schön sein. Aber so lange der Schiedsrichter nicht einschreitet, ist es legitim. Niemand muss das mögen. Aber wer sagt, dass Fußball schön sein muss? Simeone jedenfalls nicht. Zumindest nicht immer. In der Liga ist er übrigens bis zum Ende der Saison gesperrt. Er soll einen Balljungen animiert haben, einen weiteren Ball auf den Rasen zu werfen, um so einen Angriff des Gegners zu stören. Am 28. Mai aber ist er dabei, wenn es im Stadio Giuseppe Meazza um die Krone des europäischen Fußballs geht. Ob nun der Gegner Real oder ManCity heißt: Er wird wieder alles versuchen. Und falls er gewinnt, gibt er vielleicht auch wieder den Poeten.
Quelle: ntv.de