Brillant gegen Leverkusen BVB öffnet schwarz-gelbe Wundertüte
22.04.2018, 08:26 Uhr
Christian Pulisic und Jadom Malik Sancho beim Torjubel.
(Foto: imago/Chai v.d. Laage)
Borussia Dortmund bleibt sich selbst ein Rätsel. Eine Woche nach der schlimmen Niederlage im Revierderby zaubert der Revierklub beim 4:0 gegen Leverkusen und ist auf dem Weg zurück in die Champions League.
Als die Trainer der Bundesligisten vor Saisonbeginn gebeten wurden, den kommenden Meister zu tippen, wählten 17 die naheliegende Option: Bayern München. Nur Heiko Herrlich legte sich auf Borussia Dortmund fest, "nach den ersten Spieltagen dachte ich, ich hab richtig Ahnung", sagt der Mann auf der Leverkusener Bank mit süffisantem Lächeln: "Doch dann wurde ich eines Besseren belehrt." Der BVB ist meilenweit vom Titel entfernt, den der Branchenführer längst eingetütet hat. Doch so dramatisch, wie oft dargestellt, ist die Lage dann doch nicht. Immerhin ist die Borussia kurz davor, die erneute Qualifikation für die Champions League sicherzustellen.
Beim Topspiel des Dritten beim punktgleichen Vierten erlebten 81.360 Besucher im ausverkauften Dortmunder Stadion nach dem Untergang auf Schalke eine beeindruckende Wiederauferstehung. Das teilweise berauschend herausgespielte 4:0 (1:0) bedeutete einen Riesenschritt auf dem Weg zur Rückkehr in die Königsklasse. Drei Spieltage vor dem Saisonkehrraus vergrößerte der BVB den Abstand auf Rang fünf auf fünf Punkte, das sollte bei neun noch zu vergebenden Punkten in drei ausstehenden Spielen doch reichen, um das wichtigste Saisonziel zu erreichen.
In Dortmund herrschte bei sommerlichen Bedingungen Feierstimmung. Das war vor Spielbeginn nicht zu erahnen gewesen. Die Fans pfiffen die Spieler aus. Was sie von ihrer Mannschaft halten, die sich beim Revierderby mal wieder blutleer und zaudernd präsentiert hatte, verkündeten sie vor Spielbeginn: "Niemand verkörpert Borussia Dortmund so wenig wie ihr", war auf einem Banner am Fuße der "Gelben Wand" zu lesen. Das saß, "das haben wir alle gelesen, das ist nichts, was uns freut", betonte Trainer Peter Stöger: "Wir haben die ganze Woche versucht, die Dinge aufzuarbeiten. Da hatten wir ein bisschen mehr zu tun."
Stöger wollte ein Zeichen setzen
Beim Unternehmen Wiedergutmachung hinterließ der BVB den Eindruck einer Mannschaft, die gelernt hat. "Das Gift, die Aggressivität und der Wille, auf die zweiten Bälle zu gehen, das hat Borussia Dortmund heute wirklich eindrucksvoll gezeigt", analysierte Herrlich. Mithin all das, was auf Schalke so schmerzlich vermisst worden war. Stöger überraschte damit, Kapitän Marcel Schmelzer nach dessen katastrophaler Vorstellung im Revierderby aus dem Kader zu streichen. Sportdirektor Michael Zorc nannte als Grund eine "rein sportliche Entscheidung" des Trainers. Mit seiner Maßnahme habe Stöger "ein Zeichen setzen" und seine taumelnde Mannschaft wachrütteln wollen.
Das gelang unter anderem so eindrucksvoll weil Schmelzers Vertreter Manuel Akanji auf ungewohnter Position eine überragende Partie ablieferte. Aber auch der Rest der Mannschaft steigerte sich signifikant. Das Ergebnis war die beste Leistung und der höchste Sieg, seit Stöger im vergangenen Dezember auf der Dortmunder Bank Platz genommen hat. Nach dem Sieg trat der Österreicher als Mahner auf. Er sprach von einem "wichtigen Schritt, aber es kann sein, dass der Wettkampf bis zum Schluss geht. Es ist noch nichts erreicht."
Der 52-Jährige weiß, wie wankelmütig sein Team auftritt. Borussia Dortmund bleibt eine schwarz-gelbe Wundertüte. Gegen Leverkusen wusste neben Akanji auch der Engländer Jadon Sancho zu begeistern. Der 18-Jährige besorgte die Führung und wirbelte auf der linken Außenbahn mit mitreißendem Tempo und nie nachlassender Kreativität. An diesem Teenager, so der Eindruck, werden sie in Dortmund noch jede Menge Freude haben. Zusammen mit dem ebenfalls glänzenden Marco Reus, der zwei Treffer erzielte, Christian Pulisic und Maximilian Philipp ist da jede Menge Offensivkraft. Umso rätselhafter erscheint es, warum die Borussia das nicht regelmäßig vorführt. Warum das so ist, bleibt ein Thema, an dem sich die Borussia abarbeitet.
Baustelle Borussia
Zuletzt gab Ersatztorwart Roman Weidenfeller dem "Kicker" einen erstaunlich offenen Einblick in das Innenleben einer Mannschaft, die offenbar in ständiger Selbstfindung beschäftigt ist: "Die Mannschaft hatte zu keinem Zeitpunkt der Saison die Möglichkeit, in Ruhe zu arbeiten", sagt der Routinier, der seit 2002 beim BVB ist und im Sommer seine Karriere beendet. "Es gab mannschaftsintern immer so viel zu besprechen und aufzuarbeiten, das hat einfach viel kostbare Zeit in Anspruch genommen." Das Resultat ist, dass zu selten ein echtes Team zu sehen ist. "Die Mannschaft hat sich selbst bisher leider nicht gefunden", sagt Weidenfeller, der zu viele Egoismen und mangelnden Zusammenhalt ausgemacht hat: "Ich hatte, um ehrlich zu sein, manchmal das Gefühl, dass es zu viele Einzelinteressen gab – und nicht den unbedingten Willen, zuerst den gemeinsamen Plan umzusetzen."
Die Folge ist, dass es auf der Baustelle Borussia massive Umbauarbeiten geben wird. Akanji und Sancho rein, altgediente Spieler wie Schmelzer und Sahin raus – das dürften nur erste Vorboten von dem sein, was den BVB in diesem Sommer erwartet. Bei der Suche nach dem Trainer und den Spielern, die den Neuaufbau in Angriff nehmen, ist die kritische sowie ungeschminkte Expertise des neuen externen Beraters Matthias Sammer ebenso gefragt wie die des neu installierten Leiters der Lizenzspieler-Abteilung, von dem sich Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke erhofft, dass er "rund um das Team alle Aspekte hinterfragt. Alle." Der ehemalige Kapitän Sebastian Kehl wird die Position nach Lage der Dinge übernehmen.
Doch erst einmal muss der momentane Kader die Punkte einfahren, um eine wechselhafte Saison zu einem versöhnlichen Abschluss zu bringen. Manuel Akanji sprach nach dem tollen Auftritt gegen Leverkusen von einer "super Reaktion auf unser Spiel letzte Woche. Aber ein solches Spiel reicht nicht."
Quelle: ntv.de