Fußball

Super-Trainer und seine Helden Das neue Lieblingskind der Fußball-Bundesliga

Xabi Alonso hat eine erstaunliche Mannschaft bei Bayer Leverkusen geformt.

Xabi Alonso hat eine erstaunliche Mannschaft bei Bayer Leverkusen geformt.

(Foto: IMAGO/Jan Huebner)

Elf Mal in Folge ist der FC Bayern Deutscher Meister geworden. In Fußball-Deutschland gibt es nicht wenige, die das Ende dieser Eintönigkeit herbeisehnen. Mit Bayer Leverkusen steht eine Mannschaft parat, die das wahr werden lassen könnte.

Bayer 04 Leverkusen war bislang nicht bekannt dafür, die Fußball-Nation hinter sich zu vereinen. Bekannt eher als Gegner des VfL Wolfsburg im "El Plastico", stand die Werkself für die große Gleichgültigkeit im deutschen Fußball. Weil der Verein schon so lange zum Establishment gehört, ist er nicht so unbeliebt, wie die mit sehr viel Geld erschaffene TSG Hoffenheim oder das mit noch viel mehr Geld erschaffene RB Leipzig. Doch seit Wochen wächst Bayer Leverkusen zu neuer emotionaler Größe. Als Tabellenführer der Bundesliga, als spektakulärste Mannschaft des Landes, als seit 31 Spielen ungeschlagenes Team, taugt die Werkself plötzlich, um die so große Sehnsucht nach einem elf Jahren "Tyrannei" des FC Bayern zu beenden.

Ja, andere Teams haben das auch schon probiert. Allen voran Borussia Dortmund. Doch die Schwarzgelben waren immer wieder gescheitert. Im vergangenen Sommer auf schlimmste Weise, als Bayern Münchens Jamal Musiala in der 89. Minute in Köln traf und dem Rekordmeister tatsächlich noch die Meisterschaft rettete. Im Ruhrpott brach eine Welt zusammen, in München öffnete sich eine Tür, die vernagelt schien. Nun arbeitet also wieder ein Team daran, dem FC Bayern den Durchgang zum zwölften Titel nacheinander zu verbarrikadieren. Und die Bauarbeiten der Leverkusener erweisen sich als erstaunlich robust und effizient. Im direkten Duell wurden die rätselhaft schwachen Münchner mit 3:0 (1:0) auf eine frustrierende Heimreise geschickt.

Im Weltfußball eine große Nummer

Bayer Leverkusen - Bayern München 3:0 (1:0)

Tore: 1:0 Stanisic (18.), 2:0 Grimaldo (50.), 3:0 Frimpong (90.+5)
Leverkusen: Hradecky - Stanisic, Tapsoba, Tah, Hincapie - Xhaka, Andrich - Tella (65. Frimpong), Wirtz (90. Hlozek), Grimaldo (90. Puerta) - Adli (82. Hofmann). - Trainer: Alonso
München: Neuer - Upamecano (60. Kimmich), Dier, Kim - Mazraoui, Pavlovic (60. Müller), Goretzka (71. Tel), Boey (81. Guerreiro) - Sane, Musiala (81. Choupo-Moting) - Kane. - Trainer: Tuchel
Schiedsrichter: Felix Zwayer (Berlin)
Gelbe Karten: Tapsoba (4), Adli (2), Hrádecký (2) - Boey, Goretzka (2)
Zuschauer: 30.210 (ausverkauft)

Ob er von dem Schreckenswort "Vizekusen" schon einmal gehört habe, wurde Alejandro Grimaldo in den Katakomben der Bayarena mit ihren über 30.000 Zuschauern gefragt. Ja, bekannte der Spanier nach kurzem Zögern, und ergänzte, dass es in diesem Jahr vielleicht anders kommen könnte. Auf fünf Punkte ist der Vorsprung auf den FC Bayern an diesem besonderen Samstagabend angewachsen. Das ist nicht wahnsinnig viel, reicht aber, um die beiden Mannschaften auf zwei atmosphärisch völlig unterschiedliche Planeten zu jagen. Während die Münchner erst in Leere versanken und danach hart über sich selbst richteten, feierten die Leverkusener an diesem Abend einfach alles, was es zu feiern gab. Mit dem Heißmacher Lukas Hradecky. Der Torwart kletterte zu den Ultras, gab den Takt der Party vor. Es vermischte sich alles in einen wilden Rausch. Der Fußball, der Karneval, die Tabellenführung, das Team, der Trainer. Vor allem er.

Xabi Alonso heißt der Mann, ist im Weltfußball eine große Nummer gewesen. War Dirigent bei Real Madrid, beim FC Liverpool und auch beim FC Bayern. Überall reden sie gut über den charismatischen Spanier, der sich immer mehr anschickt, sein Wirken auf dem Platz an der Seitenlinie in Gold (oder Silber, weil die Schale eben Silber ist) zu gießen. Xabi Alonso hat ein Monster geschaffen, das sich unersättlich durch alle Wettbewerbe frisst und tatsächlich vom kleinen Triple (mit Europa League statt Champions League) träumen darf. Öffentlich würde der Trainer niemals mitträumen. Alonso redet nie weiter als bis zum nächsten Spiel. Immer bescheiden bleiben. Das klingt dann so: "Man braucht in einem solchen Spiel große Mentalität, und dass man gegen so einen Gegner auf diese Weise auftritt, zeigt die Entwicklung. Dieser Sieg ist sehr wichtig, aber es sind nur drei Punkte."

Wo ist Frimpong?

Als die Fans in der Arena den Trainer sehen, mit ihm feiern wollten, verzichtete er auf den Ruhm für sich selbst. Erst rief er seinen gesamten Staff zusammen, ehe er mit ihnen zur Nordkurve trabte. Dem Rausch des Abends, dem Rausch, die Topspiel-Bayern so richtig geerdet zu haben, dem konnte er sich nicht entziehen. Dabei war es wieder einmal sein Mut, seine Überzeugung gewesen, die die Mannschaft in die richtige Spur brachte. Um den FC Bayern und dessen Trainer Thomas Tuchel zu überraschen, verzichtete er auf Jeremie Frimpong, einen seiner besten Spieler. Der Niederländer ist ein nicht zu bremsender Derwisch. Er rast über den Platz, wie Super Mario mit dem glitzernden Stern durch die Level des Jump'n'Run-Klassikers. Tuchel hatte seine Taktik angepasst, hatte Sicherheitssysteme eingebaut. Doch dann spielte Frimpong nicht (er kam erst später), dafür aber Josip Stanisic, den der kaderschlanke FC Bayern im Sommer ohne Not nach Leverkusen verliehen hatte. Stanisic war einer der Besten, kochte seine Gegenspieler ab und erzielte das 1:0 mit einem wuchtigen Schuss nach einer flachen Hereingabe von Robert Andrich.

Wer kommt, der liefert. Xabi Alonso hat die Mannschaft voll hinter sich. Nur so gelingt, was da gerade gelingt. Als etwa der fleißige Flügelstürmer Nathan Tella ausgewechselt wurde, organisierte der Spanier das Team gerade um. Der 24-Jährige stand neben seinem Trainer, wartete höflich, bis Alonso fertig war. Dann gab's die Umarmung, den Dank, den Respekt. Ein Lächeln. Mit dieser Art hat er den Klub für sich erobert. Und mit diesem Klub erobert er nun die Bundesliga.

Erst war nicht der einzige Kniff. Xabi Alonso verzichtete auch auf einen ochsigen Strafraumstürmer und richtete seine Offensive vor allem auf aberwitziges Tempo aus. Sein Plan ging auf, auch wenn die Mannschaft dieses Mal nicht so mitreißend aufspielte, wie wenige Tage zuvor gegen den VfB Stuttgart im Pokal. Die Leistung gegen die Bayern kann als kontrollierte Dominanz durchgehen. Die überließen dem Gegner mehr Anteile als sonst am Ball und verdichteten das Zentrum. Eine Idee, wie man Bayer entzerren und selbst etwas kreieren könnte, hatten die Münchner nicht. Dass Tuchel später befand, dass die Niederlage zu hoch ausgefallen sei, hatte er außerhalb der Bayern-Bubble eher exklusiv. Dort reift mehr und mehr die Erkenntnis, dass die Schale tatsächlich mal durch andere Hände wandern könnte, als jene von Thomas Müller, Manuel Neuer und Co.

Die koddernden Pferde

Noch ist nichts geschafft. Und man hat Pferde schon häufiger vor der Apotheke koddern sehen, wie eben den BVB zuletzt. Aber die Lage war/ist anders. Die Borussia hatte sich im Schatten der großen Bayern-Turbulenzen am Rivalen aus dem Süden vorbeigeschlichen. Zwar sind die Münchner auch jetzt weit entfernt von einer ruhigen Spielzeit, aber sie punkten sehr stabil. Dass sie nicht auf Platz eins stehen, ist der sensationellen Saison der Werkself zuzuschreiben. Mit den Sommertransfers ist ein perfektes Match entstanden. Granit Xhaka, auch gegen Bayern einer der besten, ist ein unzerstörbarer Anführer. Er hält Florian Wirtz den Rücken frei, der sich dafür mit großer Kunst und Kreativität am Ball bedankt. Grimaldo glänzt mit seiner technischen Klasse und seiner Genialität. Hinzu kommen Jonas Hofmann, der allerdings gerade nicht in der besten Form ist, und Victor Boniface, aktuell verletzt. Aber auch das gehört zum Heldenfußball der Bayer-Elf. Der Kader hat viele Optionen und Xabi Alonso nutzt sie perfekt aus. Stanisic ist das beste Beispiel. Er ist aktuell ein Goldjunge, was er anfasst, strahlt.

Mehr zum Thema

Kein Wunder also, dass die Sorge grassiert, dass der 42-Jährige womöglich schon bald zu groß für den Verein wird. Im Sommer vielleicht. Zwar hat Real Madrid, wo er als ernsthafter Kandidat galt, erstmal wieder mit Carlo Ancelotti verlängert, bis zum Sommer 2026. Dann läuft auch Alonsos Vertrag bei Bayer aus. Dass er wirklich so lange bleibt und dann zu den Königlichen geht, eher undenkbar. Denn mit dem FC Liverpool steht ein anderer Gigant des Weltfußballs, mit dem der Spanier eben auch sehr verbunden ist, in diesem Sommer blank da. Der ausgelaugte Jürgen Klopp hört auf, ein Nachfolger muss her. Natürlich ist Alonso ein Kandidat. Und irgendwo in diesem Kosmos befindet sich auch noch der FC Bayern, der aus seiner Zuneigung für den Ex-Spieler keinen Hehl macht. Ohne dabei in irgendeiner Form konkret zu werden.

Auf diesen Sommer wollen sie bei Bayer nicht blicken. Ihr Trainer hat das Von-Spiel-zu-Spielen-Denken zu einer akzeptierten Kurzsichtigkeit gemacht. Er sagt seine Sätze, die keine Schlagzeile liefern und in ihrer Nüchternheit kaum zu unterbieten sind, aber auf eine so charmante Weise, dass man ihm trotzdem gerne zuhört. Nicht mehr nur in Leverkusen, beim neuen Lieblingskind der Bundesliga. Außerhalb der Bayern- (und 1. FC Köln)-Bubble.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen