Fußball

Leverkusen verpasst EL-Titel Bayer-Star stellt nach Finalpleite kleine Charakterfrage

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Die erste Niederlage im 52. Pflichtspiel der Saison ist eine schmerzhafte für Bayer Leverkusen. Nach dem Finale der Europa League gegen Atalanta Bergamo drängen sich bei Granit Xhaka deshalb große Fragen auf. Die Antwort darauf kann der Meister schon am Samstagabend liefern.

Eigentlich ist Granit Xhaka so etwas wie das Metronom im Mittelfeld von Bayer Leverkusen. Wann immer er auf dem Platz steht, gibt er im Zentrum den Takt vor. An diesem Mittwochabend in Dublin aber findet er trotz 133 Ballkontakten und 120 gespielten Pässen, jeweils der Höchstwert bei der Werkself, nie einen Rhythmus. Als der 31-Jährige nach der 0:3 (0:2)-Niederlage im Finale der Europa League gegen Atalanta Bergamo vor die Mikrofone tritt, wirkt er vielleicht auch deshalb kurz angebunden, womöglich sogar etwas angefressen.

Dabei ist es nicht nur Xhaka, der in diesem Endspiel kaum an die Leistungen anknüpfen kann, mit denen Bayer es überhaupt so weit geschafft hat. "Es war nicht unser Tag, nicht unser Spiel", sagt der Schweizer, der dann in sechs Wörtern zusammenfasst, was den 47.135 Zuschauenden im Stadion ebenso offensichtlich geworden war wie den Millionen vor den Bildschirmen: "Die bessere Mannschaft hat heute gewonnen." Atalanta lässt Bayer nie ins Spiel kommen, kauft Leverkusen schlicht "in vielen Bereichen den Schneid ab", wie es Geschäftsführer Simon Rolfes formuliert.

Es ist eine deutliche Niederlage für die Werkself, die so sehr auf den zweiten Europapokaltriumph nach dem UEFA-Pokal-Sieg 1988 gehofft hatte, am Ende der 90 Minuten jedoch wie im Champions-League-Finale 2002 geschlagen vom Platz geht. Ademola Lookman trifft dreimal für Bergamo, belohnt den italienischen Erstligisten in der 12., 26. und 75. Minute für eine herausragende Leistung. Dem deutschen Meister bleibt deshalb nach 51 Spielen ohne Niederlage nichts anderes übrig, als die Überlegenheit des Gegners anzuerkennen.

Bayer Leverkusen lernt ein neues Gefühl kennen

"Die Enttäuschung ist riesig bei jedem einzelnen Spieler", gibt Xhaka einen kurzen Einblick in die Kabine, in der es deutlich stiller zuging als sonst in dieser Saison. "Es ist schmerzhaft, ein Finale zu verlieren, aber das gehört leider zum Fußball dazu." Wobei verlieren für einen bedeutenden Teil des Leverkusener Kaders bislang eben gerade nicht Teil ihres Alltags unterm Bayer-Kreuz ist - für knapp die Hälfte der von Trainer Xabi Alonso in diesem Endspiel eingesetzten Profis ist es die erste Pflichtspielniederlage mit dem aktuellen Arbeitgeber.

Vielleicht hat Granit Xhaka diesen Fakt parat, als er in seinen Antworten etwas allgemeiner wird, etwas weiter ausholt und einen klaren Auftrag formuliert: "Jetzt müssen wir schauen, was diese Mannschaft wirklich für einen Charakter hat." Ein zumindest auf den ersten Blick drastischer Satz, den der Schweizer aber nicht ganz so drastisch verstanden wissen will. "Ne ne", antwortet er auf die Nachfrage, ob er am Charakter der Werkself zweifle: "Es geht nicht ums Zweifeln. Aber wir hatten dieses Gefühl [der Niederlage] ja noch nie in diesem Jahr."

Mit dieser Neuerung müsse die Mannschaft nun umgehen, sagt Xhaka: "Wenn man über 51 Spieltage ungeschlagen ist, ist es einfach, zueinanderzustehen, miteinander zu lachen." Die bittere Erfahrung gegen Bergamo biete nun die Chance, "zu sehen, welcher Spieler hat einen Charakter, welcher Spieler kann schnell aufstehen nach einer Niederlage und weitermachen." Es wirkt ein bisschen surreal, dass die Leverkusener sich nach der ersten Niederlage einer trotzdem überragenden Saison derartige Fragen stellen - als wäre es nicht völlig üblich, dass Fußballmannschaften von der Kreisklasse C bis zur Champions League irgendwann einmal einfach einen schlechten Tag erwischen.

Vielleicht ist es auch viel mehr eine Trotzreaktion, die sich bei Xhaka in der kleinen Charakterfrage ausdrückt. Eine verkappte Motivationsrede, gewissermaßen ein "Jetzt erst recht" nach dem enttäuschenden Auftritt im größten Spiel für Bayer seit über 20 Jahren. "Diese Niederlage darf uns die Saison nicht kaputt machen", sagt Xhaka, als stünde diese Option ernsthaft zur Debatte. Als stünde die Einstufung "Eine Saison für die Ewigkeit" nicht längst fest, als wäre nicht schon klar, dass all jene Bayer-Fans, die diese Spielzeit miterleben, später einmal ihren Enkelkindern von den vielen besonderen Momenten erzählen.

Xhaka: "Wenn nicht Triple, dann ..."

Xhakas Überlegungen verdeutlichen aber auch den Anspruch, den die Leverkusener inzwischen an sich selbst haben. Als erste Mannschaft der Bundesliga-Geschichte in allen 34 Spielen unbesiegt zu bleiben, reicht nicht. Die Endspiele in der Europa League und im DFB-Pokal zu erreichen, soll nicht zufriedenstellen. Xabi Alonso hat aus dem oft verspotteten "Vizekusen" eine internationale Spitzenmannschaft geformt - die jetzt gegen Atalanta Bergamo eben einfach mal unterliegt.

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Den Schmerz darüber müssen er und seine Teamkollegen schnell hinter sich lassen, sagt Xhaka. Am Wochenende schon geht es gegen den 1. FC Kaiserslautern, der Zweitligist ist im nationalen Pokalfinale am Samstagabend (20 Uhr/ARD, Sky und im Liveticker bei ntv.de) der größtmögliche Außenseiter. Das letzte Spiel der Saison bietet Leverkusen wiederum die Chance, etwas Neues zu schaffen: Mit einem Sieg steigt Bayer zum erst sechsten Klub der deutschen Fußballgeschichte auf, der in einer Saison Meisterschaft und Pokal für sich entscheidet.

"Es geht weiter", resümiert Xhaka. Zwischen dem Abpfiff in Dublin und dem Anpfiff im Berlin liegen weniger als 72 Stunden, viel Zeit bleibt also nicht. Weshalb der Mittelfeld-Taktgeber dann auch gleich selbst vorgibt, was das Ziel für die Partie im Olympiastadion ist, nachdem der Traum von drei Titeln zerplatzt ist: "Wenn nicht Triple, dann Double." Ein Erfolg, der ihm zugleich Antworten auf die Charakterfrage liefern dürfte.

Quelle: ntv.de

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