Transferbilanz der Bundesliga Bayerns riskantes Bad mit Piranhas
01.09.2021, 08:56 Uhr
Hasan Salihamidzic (r.) macht gerne realistische Dinge.
(Foto: imago images/FC Bayern München)
Das Transferfenster ist zu: Anders als bei den internationalen Top-Klubs herrscht in der Bundesliga wenig Aufregung. Klar, irgendwer jagt immer Erling Haaland, der bleibt in Dortmund. Robert Lewandowski bei den Bayern. Neue Stars kommen nicht, auch weil die Liga "wenig Kohle" hat.
"Wir haben sehr wenig Kohle", sagte Sport-Vorstand Hasan Salihamidžić bei Sky, als er vor dem 5:0 auf die neuesten Transfergerüchte angesprochen wurde. Nein, er sagte es nicht, er nuschelte es an das Ende eines Satzes. Und doch sprach er für große Teile der Bundesliga. Kohle ist nicht mehr da. Obwohl. Wenn man genauer hinschaut. Ein wenig war schon da, aber nicht mehr so viel. Die großen Transfers gingen in diesem Sommer in anderen Ligen über die Bühne. Jack Grealish, der von Aston Villa zu Manchester City wechselte, setzte mit 117 Millionen Euro die Rekordmarke. Für nur ein paar Euro weniger, für 115 Millionen Euro, kehrte Romelu Lukaku aus Italien zurück zu Champions-League-Gewinner Chelsea. Die beiden Protagonisten des Spiels der letzten Dekade, Lionel Messi und Cristiano Ronaldo, wechselten mehr oder weniger freiwillig und unter lautem Getöse ihre Klubs, doch in der Bundesliga blieb es ruhig.
Auch bei Bayern München, die sich einer alter Taktik bedienten und beim Rivalen kauften. Diesmal bei Leipzig. Was für Aufregung sorgte, aber auch für Schulterzucken. Der Wettbewerb in der Bundesliga ist nach neun Bayern-Meisterschaften in Folge ohnehin längst eingestellt. So also lautete das Motto: Ein wenig beim Vize-Meister stöbern, einen alten Spieler, Sven Ulreich, zurückholen und in Omar Richards noch ein Talent aus der zweiten englischen Liga verpflichten. Das war es. Mehr ging nicht. Weil: "Wir haben sehr wenig Kohle."
Ein ruhiger Sommer für die Münchener, die in den kommenden Jahren ihren Kader weiter umbauen werden müssen. Steuern doch mit Robert Lewandowski, der stets mit seinem Abschied liebäugelt und doch nie gehen darf, Thomas Müller und Manuel Neuer drei Stützen der letzten Dekade auf ihr Karriereende zu. Doch in diesem Jahr, in dem der Verein einen coronabedingten Umsatzeinbruch von 150 Millionen Euro erwartet,war der Umbau noch kein Thema, wenngleich die Transferausgaben sich inklusive Nagelsmann auf rund 80 Millionen beziffern lassen. Bei keinen nennenswerten Einnahmen. Das wird sich ändern müssen. Wie auch Bayerns seltsame Situation in der Liga, der sie längst enteilt sind, aus der sie aber vorerst nicht weg wollen. Und die sie mit ihren Restriktionen wie 50+1 ein Stück weit von der europäischen Spitze entfernen könnte. Ein Spagath für die neue Geschäftsleitung unter Oliver Kahn, der den Verein in diese ungewisse Zukunft führen soll.
Riskantes Bad mit "geldgierigen Piranhas"
Eine ungewisse Zukunft und"wenig Kohle", aber ohne große Zahlen ging es dann doch nicht. Joshua Kimmichs Vertragsverlängerung verdoppelte sein Gehalt von 10 Millionen auf 20 Millionen Euro brutto pro Jahr. Damit soll er mehr verdienen als alle anderen deutschen Profis außer Toni Kroos, der bei Real Madrid seit Jahren zum Inventar gehört. Während die Blicke auf Bayerns Zerstörung der Leipziger gerichtet sind, spielte sich die eigentliche Revolution in eben jenen Gesprächen zwischen Bayern und Kimmich ab. Der hatte auf einen Berater verzichtet, sich alleine an den Tisch gesetzt. Dort hatte er eben jenen Vertrag ausgehandelt, der ihn in die Riege der Top-Verdiener katapultierte - und den Nationalspieler zum logischen neuen Bayern-Kapitän gemacht hat. Der Verein sprach später von einem wichtigen Signal. Das war es auch.
Intern an Leon Goretzka, der ins letzte Vertragsjahr gegangen ist. Vielleicht aber auch an die Berater-Gilde. Mit denen liegen die Bayern nicht erst seit der Uli-Hoeneß-Erregung über den "geldgierigen Piranha" Pini Zahavi im Clinch. Zahavi hatte David Alaba ablösefrei zu Real Madrid gebracht und dem ehemaligen Präsidenten hat das überhaupt nicht gefallen. Die Agenten, so ist es immer wieder von den Bayern zu hören, ziehen zu viel Geld aus dem System. Es gehe auch ohne sie. In England herrscht darüber große Verwunderung: Agieren die Bayern in Zukunft immer ohne Berater? Auch bei der Aufnahme von Spielern? Ist die Kimmich-Vertragsverlängerung Teil einer Inszenierung? Einer, der sich in der Szene gut auskennt, fragt: "Wie wollen die Bayern in Zukunft große Transfers zum Verein abwickeln? Und wer soll ihnen helfen, ungewollte Spieler an den Mann zu bringen?"
Trübe Aussichten für Dortmunds Abwehr
Auf die letzte Frage hatte der traditionell mit Beratern, gerne auch mit dem Paradiesvogel Mino Raiola, agierende Bayern-Rivale Borussia Dortmund keine Antwort. Am Ende dieser Transferperiode bleibt der zweite Leuchtturm der Liga auf einigen Ladenhütern sitzen. Vorne weg natürlich der 30-jährige Keeper Roman Bürki, dessen Zeit im Tor der Schwarzgelben abgelaufen ist. Aber wenig zieht ihn weg aus der Ruhr-Metropole. Er soll fünf Millionen Euro im Jahr verdienen. Und sich bei einem sportlich attraktiven Verein sehen. Kein Verein wie der FC Basel also, der nur in der neuen UEFA Conference League an den Start geht.
Deswegen stehen nach Ende der Transferperiode gleich drei Schweizer Torhüter unter Vertrag. Nur die Reihenfolge hat sich geändert. Neuer Stammkeeper ist der 23-jährige Gregor Kobel, für schlanke 15 Millionen Euro vom VfB Stuttgart verpflichtet und trotz bereits sechs Liga-Gegentoren eine Verstärkung für die unter Bürki beim BVB eher mittelmäßig besetzte Position. Mit dem vom Mittellandkanal angeheuerten Verteidiger Marin Pongracic gelang der Borussia am letzten Tag immerhin noch die Verstärkung der größten Kader-Baustelle. In Wolfsburg war der Kroate in der letzten Saison nach einer Corona-Infektion die Hierarchie hinuntergepurzelt und am Anfang dieser Saison nur auf Position vier gestanden. "Ein junger Innenverteidiger mit Tempo, der unsere Defensive komplettiert", kommentierte BVB-Sportdirektor Michael Zorc knapp und gewiss auch sachlicher, als es in den vergangenen Spielen in der Hintermannschaft der Dortmunder zugegangen war.
Die Aussichten bleiben vorerst trüb. Als Rechtsverteidiger blieb Felix Passlack den Nachweis seiner Bundesligatauglichkeit schuldig, konnte auch der belgische Nationalspieler Thomas Meunier in der vergangenen Spielzeit nicht überzeugen. Die vielköpfige Innenverteidigung um Mats Hummels und Manuel Akanji verbringt momentan mehr Zeit in Reha-Einrichtungen als auf dem Platz. Auf der linken Seite kommt Nico Schulz auf solides Bundesliga-Niveau.
Der Papagei auf Zorcs Schulter
In seinem letzten Sommer als Transferverantwortlicher konnte Michael Zorc immerhin aber den Abgang Erling Haalands verhindern. Für den Norweger hätte sich gewiss auch in diesem Sommer der Super-Transfers ein Abnehmer gefunden. Doch seine Zukunft hat erst begonnen und so kann er in der im internationalen Vergleich aktuell etwas abfallenden Bundesliga noch ein Jahr an seinen Künsten arbeiten, bevor er diese 2022 in die Welt trägt. Für weniger Geld dann, aber womöglich, nachdem er den BVB in die Champions League geschossen hat. Dafür ist er in Dortmund angestellt und dafür feiert ihn das langsam zurückkehrende Publikum im Westfalenstadion mit einer brachialen Ehrfurcht.
"Ich gehe davon aus, dass wir jetzt noch zwei Tage lang mit wilden Gerüchten konfrontiert werden", sagte Zorc kurz vor Ende des Fensters. "Unser Standpunkt ist klar, ich muss nicht ständig den Papagei spielen." Machte er natürlich trotzdem. Wie seit über drei Monaten, in denen er, immer wenn er besonders genervt war, den plappernden Vogel hervorholte. "Ich komme mir schon vor wie der freundliche Papagei aus Dortmund", wies er bereits im Mai einen forschenden Sky-Moderator zurecht. Der wollte natürlich wissen, ob Haaland jetzt bleibt oder nicht. "Ich habe überall gesagt, dass wir weiterhin mit ihm planen." Musste Zorc, der kein Papagei ist, noch häufiger wiederholen. True und eben nicht here we go, wie die Transferspezialisten dieser Tage so gerne sagen.
Geld eingenommen hat der BVB trotzdem.Das brauchten sie nach den Corona-Verlusten auch. Für 85 Millionen Euro wechselte Jadon Sancho noch während der laufenden EM zu Manchester United. In Dortmund brauchten sie Planungssicherheit. Mit Donyell Malen kam von der PSV Eindhoven ein Abschlussspieler, der trotz seiner 30 Millionen Euro Zeit brauchen wird. Auch unter Trainer Marco Rose steuert der BVB auf eine weitere Übergangssaison zu, auf die nach dem Abgang von Haaland in der Spielzeit 2022/2023 die nächste folgen könnte. Und täglich grüßt das Murmeltier.
Leipzig im Umbruch
Vize-Meister Leipzig verlor gleich zwei Spieler, einen Trainer mitsamt seiner Belegschaft an den FC Bayern München, dessen Verantwortliche sich nun eben wieder einem alten Vorwurf ausgesetzt sehen. Sie kaufen gezielt ihre Konkurrenten kaputt. Aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten hatte man sich dort bereits auf alle Szenarien eingestellt.
Den Ungar Dominik Szoboszlai, als Vorgriff schon im Januar verpflichtet, als Zugang und Trainer Julian Nagelsmann als Abgang eingerechnet, ist ihre Transferbilanz bei Ausgaben von 124 Millionen Euro, absoluter Rekord aller Bundesliga-Vereine, und Einnahmen von ungefähr 130 Millionen Euro knapp positiv. Spät am Dienstag unternahm Barcelona noch einen Angriff auf Dani Olmo. Doch auch das angebliche Angebot von 75 Millionen Euro nutzte den Katalanen wenig. Der spanische Nationalspieler bleibt vorerst in Sachsen. Ob aber das neu zusammengestellte Team mit einem neuen Trainer, dem Amerikaner Jesse Marsch, an die Erfolge der Vorjahre anknüpfen kann? Die ersten Spiele deuten eher auf eine Übergangssaison hin.
Hertha wie Schalke?
Der wundersamste aller Bundesliga-Vereine aber sitzt im Berliner Westend. Er hört auf den Namen Hertha BSC. Seit Jahren verkündet er den Aufbruch in eine bessere Zukunft, ist aber seit Jahrzehnten in einer äußerst tristen Gegenwart gefangen. Trotz der legendären Windhorst-Millionen genügt ein Blick auf die Tabelle nach drei Bundesliga-Spielen.
Dort brillieren sie mit null Punkten und 2:10 Toren in der Rolle der Schalker, denen es erst im Vorjahr gelungen war, an nur fünf der 34 Spieltage nicht auf dem letzten Platz zu stehen. Dabei hatten sie die gesamte Führungsriege des Vereins ausgetauscht, unzählige Trainer verschlissen, unter dem Schweizer Christian Gross endgültig die Kontrolle verloren und waren dann nach dem Abstieg von eigenen Fans attackiert worden. Unvorstellbar, dass ein Klub in den nächsten Jahren eine ähnliche Verdichtung des Wahnsinns hinbekommt, dachte man.
Doch mit Hertha BSC steht ein ernstzunehmender Kandidat in den Startlöchern. Auch aufgrund einer erratischen Transferpolitik, die unter dem neuen Sport-Vorstand Fredi Bobic noch wunderlicher wirkt als unter dem langjährigen Boss Michael Preetz. Bobic, wie Preetz ehemaliger Hertha-Stürmer, entledigte sich einer kompletten Offensive. Jhon Cordoba, Matheus Cunha, Talent Jessic Ngankam und Dodi Lukebakio verließen alle mehr oder weniger freiwillig das Vereinsgelände am Olympiapark. Ersetzt wurden sie mit einem eklektischen Mix aus hoffnungsvollen Talenten, kriselnden Ex-Nationalspielern, Schalkes Suat Serdar, und erfahrenen Weltenbummlern, inklusive Heimkehrer Kevin-Prince Boateng.
Am letzten Tag planten sie die große Transferoffensive. Das legte das Verhalten in den sozialen Medien nahe. Als sie früh am Tag den Transfer des 22-jährigen Myziane Maolida, der aus Nizza losgeeist werden konnte, verkündeten, sprang der eigens für Twitter eingerichtete Transferfortschrittsbalken auf 22 Prozent. Dort verharrte er weiter bis nach 18 Uhr, dem Ende des deutschen Transferfensters. Andere Neuverpflichtungen zerschlugen sich, teils auf spektakuläre Art. Zwei weitere Spieler gingen vor Mitternacht, der Fortschrittsbalken sprang noch auf 100 Prozent. Die, die nun da sind, sollen Hertha retten. Trainer Pal Dardai hat bereits angedeutet, dass er das nicht tun kann. Investor Lars Windhorst bekommt für sein Geld immerhin eine Unterhaltungsshow geboten. Wird ihm das reichen? Bleibt spannend. Und spektakulär.
Quelle: ntv.de