Aber Sorgen und Zweifel bleiben Haalands Wut erspart dem BVB die Krise
28.08.2021, 07:46 Uhr
Schön getanzt.
(Foto: imago images/Kirchner-Media)
In der Nachspielzeit helfen nur noch Wut und Wucht: Mit seinem späten und brachialen Schuss ins Glück bewahrt Erling Haaland Borussia Dortmund gegen Hoffenheim vor einem weiteren Rückschlag. Doch bei aller Freude: Wie ein Titelaspirant spielt der BVB derzeit nicht.
Der späte Kumpel schürft die wertvollste Kohle. Gab es dieses wundervolle Sprichwort eigentlich jemals? Nein, vermutlich nicht. Aber für kluge Weisheiten ist es nie zu spät. Auch wenn Kohle als Energieträger ja mittlerweile (zurecht) einen äußerst zweifelhaften Ruf genießt. Und wenn es einer verdient hätte, dass seine Leistung in den Sprachschatz des Ruhrgebiets aufgenommen wird, dann ist es Erling Haaland. Der ist zwar nich wech von da (so sagt man), spielt aber für den BVB und das tut er wirklich sehr, sehr gut.
Tore: 1:0 Reyna (49.), 1:1 Baumgartner (61.), 2:1 Bellingham (69.), 2:2 Dabbur (90.), 3:2 Haaland (90.+1)
Dortmund: Kobel - Meunier, Witsel, Akanji, Guerreiro (84. Passlack) - Dahoud - Bellingham (72. Wolf), Reyna (63. Brandt) - Reus - Haaland, Malen (84. Moukoko); Trainer: Rose.
Hoffenheim: Baumann - Akpoguma, Vogt, Posch, Raum - Geiger (83. Dabbur), Stiller (46. Rutter) - Bruun Larsen (70. Gacinovic), Rudy, Baumgartner (70. Adamyan) - Kramaric; Trainer: Hoeneß.
Schiedsrichter: Felix Zwayer (Berlin)
Zuschauer: 25.000
Torschüsse: 23:9
Der Stürmer ist beim Bundesligisten seit Monaten der wertvollste Kumpel. Dass der Borussia auch in dieser Saison nachgesagt wird, ein womöglich erfolgreicher Jäger des FC Bayern zu sein, das liegt eben auch und vor allem am jungen Norweger. Der hat seine Mannschaft am Freitagabend vor rund 25.000 Zuschauern vorübergehend an die Spitze der Tabelle geschossen. Mit seinem Siegtreffer in der 91. Minute beim spektakulären 3:2-Erfolg gegen die TSG Hoffenheim, den ewigen Angstgegner der Schwarzgelben.
In die Länderspielpause werden die Dortmunder aber wohl kaum als Spitzenreiter gehen. Zu viele Mannschaften, unter anderem der FC Bayern, können an diesem 3. Spieltag wieder vorbeiziehen. Aber darum geht es dem BVB auch (noch) nicht. Der Sieg gegen Hoffenheim war aus zwei anderen Gründen so wichtig. Erstens zur Beruhigung der Nerven. Die waren nach der Niederlage beim SC Freiburg vergangene Woche schon wieder äußerst gereizt. Denn im Breisgau hatte das Team von Marco Rose eines dieser Spiele erlebt, von denen der BVB seit Jahren viel zu viele verliert. Und so kamen die alten Ängste hoch: Wie so oft könnte die Inkonstanz die Titelchance kosten.
Zum Glück schaltet Haaland nicht ab
Die andere Sache ist die: Seit Jahren sagt man der Mannschaft ja nach, dass ihr in entscheidenden Phasen die nötige Mentalität fehle. Und tatsächlich dürfte der eine oder andere Kritiker die unliebsame Frage schon wieder formuliert haben als sich die Borussen in der 90. Minute den Ausgleich durch Munas Dabbur zum 2:2 gefangen hatten. Nach einem Eckball. Das war einfach ganz schlecht verteidigt. Schlecht in der Zuteilung, schlecht in der Aufmerksamkeit. Doch dann kam Haaland. Der hatte zuvor zwei Spiele nacheinander nicht getroffen. Das kannte man so nicht von ihm. Und schon war die Sorge groß, dass sich da eventuell eine minikleine Formkrise andeutet.
Aber Haaland ist Haaland. Und mit seinen Gedanken ist er nur beim BVB. Der Superstar-Wahnsinn am internationalen Transfermarkt beschäftigt ihn, wenn überhaupt, nur irgendwo in der Hinterstube. Aber die Dortmunder hatten ja eh klargemacht, dass der Norweger in diesem Sommer bleibt. Nach dem Abgang von Jadon Sancho sollte nicht noch ein zweiter Leistungsträger gehen. Und vermutlich wird es dabei bleiben, auch wenn das enthemmte Gebaren der superreichen Superklubs nach der sensationellen Heimkehr von Cristiano Ronaldo zu Manchester United nun nochmal für tüchtige Betriebsamkeit und wilde Gerüchte führen werden. Dass Haaland ein Teil davon werden wird, das ist ausgemachte Sache.
Warum der Stürmer ein Sehnsuchtstransfer der europäischen Elite ist, das untermauerte er einmal mehr in der Nachspielzeit. Nicht geschockt, nur vom Ausgleich verärgert, rannte er nach dem Anpfiff direkt in die Spitze. Und 40 Sekunden nach dem der Ball wieder im Spiel war, war er im Tor. Haaland hatte ihn mit allem, was in seinem Körper steckt, in den Winkel des Hoffenheimer Gehäuses gehämmert. Aus kürzester Distanz. Ein Wutschuss nach einer Willensleistung. Denn den Angriff hatte er selbst mit inszeniert. Wie ein wilder Stier war er zuvor in den Strafraum gerannt, hatte den Ball flach nach innen gegeben, wo erst Marius Wolf und dann Youssoufa Moukoko gescheitert waren. Nicht aber Haaland. Und der eskalierte fortan komplett. Mit einem wilden Tanz (oder so) ließ er alle Gefühle aus sich heraus: den Frust über die Pleite zuletzt, seine Torauszeit und den Ausgleich.
"Er ist eine Maschine"
Der 21-Jährige trug die Euphorie noch mit in die Kabine. Er war so glücklich, dass er seinen emotionalen Ausnahmezustand noch mit der Social-Media-Welt teilen musste. "BACK. ON. TRACK", schrieb er auf Twitter und postete dazu ein Foto von seinem völlig wilden Torjubel. "Er ist eine Maschine. Ich habe nicht genug Worte dafür, um zu beschreiben, wie gut er ist und was für ein guter Typ er ist", schwärmte der erneut überragende Jude Bellingham bei DAZN. Trainer Rose versuchte, den Hype etwas einzuordnen. "Am Ende ist es Erling mit seiner Wucht und Power, der dann das Ding reinmacht. Wir wissen alle, dass Erling ein sehr wichtiger Spieler für uns ist. Aber ich glaube, dass es hinten raus eine gesamte Willensleistung vom Team war." Vorher hatte der BVB durch seine Top-Talente Giovanni Reyna (49.) und Bellingham (69.) zweimal geführt, aber auch zweimal den Ausgleich kassiert. Das Spiel war bis dahin so gelaufen: Die TSG begann stark und ruppig. Früh im Spiel hätte es durchaus Platzverweise gegen Christoph Baumgartner und Stefan Posch nach rüden Attacken geben können. Und Mitte der ersten Halbzeit einen Elfmeter für den nun dominanten, aber chancenwuchernden BVB.
Der schließlich mit viel Leidenschaft, mit viel Mentalität aber auch mitunter sehr viel Glück und mächtiger Hilfe von Torhüter Gregor Kobel erkämpfte zweite Saisonsieg ersparte Rose vorerst die leidige Debatte über fehlende Konstanz seiner Mannschaft, die seine Vorgänger so oft führen mussten und nie führen wollten. "Das ist wichtig vor der Länderspielpause." Nach der holprigen Vorbereitung mit erst spät zurückgekehrten EM-Teilnehmern und den Ausfällen wichtiger Stützen wie Abwehrchef Mats Hummels und Allrounder Emre Can fällt es dem BVB sehr schwer, wie eine Mannschaft aufzutreten, die glaubhaft Ansprüche auf den Meistertitel erheben kann. Vor allem, weil die Abwehr in dieser Not-Konstellation immer wieder wackelt und alles andere als eingespielt ist.
Die Reaktion seiner Mannschaft auf das 1:2 beim SC Freiburg aus der Vorwoche gefiel Rose jedoch. "Der Trainer ist heute zufrieden, weil es drei Punkte gab. Weil wir hinten raus eine Willensleistung gezeigt haben", sagte Rose bei DAZN. Gleichzeitig stellte er klar: "Es gibt natürlich auch eine Menge Dinge, über die wir reden wollen. Wenn du dieses Spiel hier 3:2 gewinnst, gibt dir das Ruhe und Zeit, an diesen Dingen weiterzuarbeiten."
Quelle: ntv.de