Auswechslung nervt Kimmich Beim FC Bayern sind sie wütend und fassungslos
22.01.2024, 07:13 Uhr
Beim FC Bayern und bei Joshua Kimmich war die Laune nach der Pleite gegen Werder Bremen so richtig im Keller.
(Foto: IMAGO/MIS)
Werder Bremen gelingt in der Fußball-Bundesliga mit dem Sieg beim FC Bayern die ganz große Überraschung und stürzt das Team des Rekordmeisters in eine erste große Titel-Depression. Trainer Thomas Tuchel ist fassungslos und Joshua Kimmich wütend.
Sieben Punkte! SIEBEN PUNKTE! So groß ist der Rückstand des FC Bayern auf Bayer Leverkusen. Und sofort bricht die große Sorge um Harry Kane los. Schlägt der Fluch des Superstars wieder zu? Bleibt er auch in München ohne Titel? Ja, so was war schon wieder zu lesen gewesen. Eine Niederlage ist und bleibt beim Rekordmeister eben etwas, das gegen die Normalität agiert, was nicht einfach auf den Ablagestapel gepackt wird. In einer Niederlage steckt immer etwas Größeres. Und in dieser gegen Werder Bremen (0:1) am Sonntagnachmittag ohnehin. Das Große und Ganze steht in München auf der Agenda. Die nächsten Tage wird aufgearbeitet.
Natürlich: Die Münchner haben ein Spiel weniger absolviert, holen das am Mittwoch gegen Union Berlin (20.30 Uhr bei DAZN und im Liveticker bei ntv.de) nach und können damit wieder auf vier Zähler an den Tabellenführer der Fußball-Bundesliga heran robben, der in diesen Wochen in bester Münchner Manier den Dusel erzwingt. Erneut schnappte sich Bayer den Sieg erst in der Nachspielzeit und ist jetzt seit 27 Pflichtspielen ungeschlagen. Damit ist man ganz offiziell ein mächtiger Herausforderer im Titelkampf - oder gar Topfavorit?
In München umschiffen sie das Thema elegant. Nach Leverkusen wollen sie nicht schauen. Tun sie natürlich trotzdem, weil sie ja nach der erschreckenden Leistung und Niederlage gegen Werder Bremen nicht das weiße Handtuch werfen. Zu viele Spiele sind noch zu spielen. Aber dass sie ausblenden, was in anderen Städten derzeit so (erfolgreich) los ist, daran tun sie sicher gut. Denn die Liste der eigenen Baustellen ist groß und sorgt für Erstaunen, Fassungslosigkeit und Wut. Vor allem bei Trainer Thomas Tuchel, der sich selbst nicht mehr hören mag. Aus dem Kurzzeittrainingslager in Portugal war er beschwingt heimgekehrt, hatte den guten Spirit und das hohe Trainingslevel hervorgehoben. Und dann das, eine Leistung gegen Bremen, die in Wahrheit keine war.
"Wir waren viel zu träge, es war kein Leben drin"
"Ich habe keine Lust mehr zu sagen, dass wir gut trainieren. Das glaubt mir ja keiner mehr", sagte der genervte Tuchel und fügte gereizt an: "Man muss nicht am Montag, Dienstag oder Mittwoch top sein, sondern vor allem am Sonntag. Wir werden das besprechen." Und in diesem Gespräch wird noch einiges anderes auf den Tisch kommen, denn die Vorwürfe, die Tuchel an seine Mannschaft adressierte, hatten es in sich: "Wir haben heute gespielt, als ob wir in der Liga mit zehn Punkten führen würden und am Dienstag ein Champions-League-Spiel haben. Wir wollten ein Bundesligaspiel zwischen Übermut und Schongang runterreißen." Er beklagte in aller Deutlichkeit "fehlenden Biss", "zu viele Ballverluste" oder "schlampiges Zweikampfverhalten". So eine Leistung könne "nie und nimmer unser Anspruch sei. Das geht gegen jedes Gesetz des Leistungssports." Sportdirektor Christoph Freund schimpfte: "Wir haben blutleer gespielt in der ersten Halbzeit, da war kein richtiger Mumm."
Nun ist es freilich so: Wenn der FC Bayern mit dem Rücken zur Wand steht, auf dem Boden liegt oder sich selbst zerlegt, ist er meist am stärksten. Es sollte also niemand überrascht sein, wenn Abstiegskandidat Union Berlin die ganze Wucht der Wut-Bayern zu spüren bekommt. Aber erst einmal müssen sie in München alle Alarmsignale orten und entsprechende Rettungsmaßnahmen vorbereiten. Was ihnen am meisten zu denken geben sollte: die (Nicht)-Einstellung der Spieler. Die machte nicht nur Tuchel fassungslos. Auch Thomas Müller, wieder einmal nur Einwechselspieler, gestand: "Über die 90 Minuten hatten wir den Sieg nicht verdient. Wir waren viel zu träge, es war kein Leben drin. Es fehlte die Freude, um da unbedingt durchzukommen."
Aber es fehlte eben nicht nur die Freude, einen dreckigen Sieg zu erzwingen, sondern auch die Robustheit gegen einen Gegner, der in der Vorwoche nach einer ganz schwachen Leistung und einem abgefälschten Treffer in der Nachspielzeit zu einem sehr glücklichen 1:1 beim VfL Bochum gekommen war. Joshua Kimmich, der mit seinem unzufriedenen Abgang bei der Auswechslung für Wirbel gesorgt hatte, knöpfte sich die eigene Mannschaft vor: "Das darf uns nicht passieren, dass ein Gegner hungriger ist als wir. Generell muss man die Herangehensweise hinterfragen. Man hat nicht das Gefühl, dass wir wissen, worum es geht." Kleiner Reminder: Es geht um die zwölfte Meisterschaft in Serie. Und tatsächlich gerät die mit solchen Leistungen akut in Gefahr.
Matthäus kritisiert Verzicht auf Goretzka
Dass Kimmich gegen Werder nicht durchspielen durfte, in einer Phase vom Feld musste (64., für ihn kam Müller), als die Gäste gerade erst in Führung gegangen waren (59.), das verwunderte den Antreiber: "Natürlich will ich immer 90 Minuten auf dem Platz stehen. Gerade wenn wir hinten liegen ist es was anderes, als wenn man 3:0 führt", sagte Kimmich. Auch Leroy Sané war nicht wirklich zufrieden, als er nach der Systemumstellung in der Schlussphase deutlich defensiver agieren musste. Nach dem Überbringen der Systemkunde durch Joker Müller haderte Sané sichtlich mit seiner neuen Rolle. Das solle man allerdings nicht zu hoch hängen, bat Tuchel, der sich aber mutmaßlich dennoch wieder Diskussionen um seine Personalentscheidungen gefallen lassen muss. Den Stein angeschoben hat bereits Lothar Matthäus.
Der Sky-Experte, an dem sich Tuchel in dieser Saison schon emotional abgearbeitet hatte, kritisierte das Fehlen von Leon Goretzka in der Startelf der Münchner. "Ich habe nicht verstanden, warum er schon wieder nicht von Beginn an gespielt hat. Das ist für die Stimmung nicht gut." Schließlich habe Goretzka in den Monaten vor der Winterpause gut gespielt. Die Entscheidung Tuchels, gegen Bremen Raphaël Guerreiro den Vorzug zu geben, habe "in der Kabine vielleicht nicht jeder aus der Mannschaft nachvollziehen können. Wenn man so einen Führungsspieler wie Goretzka in seinem Kader hat und er ist topfit, dann gibt es in der Mannschaft natürlich auch Stimmen, die da vielleicht die Entscheidung des Trainers nicht ganz verstehen."
Einer, der sonst eher moderate Töne anschlägt, hatte an diesem Sonntag ebenfalls den Kaffee auf. Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen nahm sich die Spieler wortreich zur Brust: "An der Qualität der Mannschaft kann es nicht liegen. Zumal erst recht dann nicht, wenn wir vor wenigen Wochen noch vom Champions-League-Finale träumen und sprechen. Da wechselt sich die Einstellung wie das Wetter offensichtlich", sagte Dreesen nach dem 0:1-Schock gegen Werder Bremen. "Was heißt geschockt? Wir haben die ersten 70 Minuten einfach langweiligen Fußball gespielt. Wir haben ein schlechtes Spiel gemacht. Wir haben nicht die Einstellung gezeigt, die man zeigen muss - egal gegen welchen Gegner." Und wie diese Einstellung auszusehen hat, das machte er unmissverständlich klar: "Du musst halt arbeiten, beißen und dich anstrengen - auch wenn du vermeintlich das Spiel schon vorher im Sack hast." Das ist in dieser Deutlichkeit schon eine knallharte Abrechnung und er schloss sie mit den Worten: "Wir haben es nicht mehr in der eigenen Hand." Aber, kleiner Mutmacher: "Die Saison ist noch lang."
Quelle: ntv.de, tno