Doping-Tsunami aus Russland? Das Ende der Fußball-Verblendung naht
29.06.2017, 18:21 Uhr
Auch um Deutschlands WM-Helden von 1954 gibt's hartnäckige Doping-Gerüchte.
(Foto: picture alliance / dpa)
Doping und Fußball – immer wieder gibt es Gerüchte. Immer wieder versackt das Thema. Doch nun droht ein großer Tsunami, und wieder kommt die erste Welle aus Russland. Dabei ist die Liste der Verdächtigungen lang. Sie reicht bis zu den WM-Helden von 1954.
Kurz vor Beginn der großen Party wurde es Joao Havelange zu bunt. Sportministerin Marie-George Buffet wollte einfach keine Ruhe geben und partout ihr strenges Anti-Doping-Gesetz bei der Fußball-WM 1998 in Frankreich anwenden. Deshalb legte der Fifa-Präsident für einen Moment alle gebotene diplomatische Zurückhaltung ab. "Hören Sie, Madame", sagte Havelange, "wir haben Ihnen die WM gegeben, also nerven Sie uns nicht länger mit Ihren Kontrollen und Ihren Ärzten." Buffet gab klein bei. Heute würde Gianni Infantino vermutlich viel dafür geben, wenn er das Thema Russland ähnlich leicht vom Tisch wischen könnte wie sein brasilianischer Amtsvorgänger vor 19 Jahren.
Damals wie heute ging es um Doping-Gerüchte rund um den künftigen WM-Gastgeber. Doch während 1998 auch Havelange half, die mehr oder weniger diffusen Epo-Vorwürfe gegen die späteren Weltmeister im Keim zu ersticken, haben die jüngsten Veröffentlichungen über die Dopinganstrengungen rund um die russischen Kicker das Potenzial, den Weltfußball in seinen Grundfesten zu erschüttern: Wada-Sonderermittler Richard McLaren geht von einem separaten Dopingsystem im russischen Fußball aus, das komplette WM-Team von 2014 steht unter Verdacht.
Hunderte Hinweise auf Missbrauch
Nach allem, was McLaren mit seinen beiden Untersuchungsberichten schon in der Leichtathletik und weiteren olympischen Sportarten ins Rollen gebracht hat, wird der Fußball den Schmutz diesmal nicht einfach unter den Teppich kehren können. So, wie er es über Jahrzehnte mit Erfolg getan hat, ohne nachhaltig beschädigt zu werden. Seine Geschichte ist auch eine voller Verblendung und Vertuschung. Selbst seine ganz großen Helden gerieten in den Doping-Dunst, und es gibt Hunderte Hinweise auf zum Teil flächendeckenden Missbrauch, denen nicht oder nicht konsequent nachgegangen wurde. Eine Auswahl:
- Bei Juventus Turin wurde in den 1990ern (auf dem Weg zum Champions-League-Titel 1996) systematisch mit Epo gedopt. Dafür wurde 2004 der damalige Teamarzt Riccardo Agricola zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt. Zur Juve-Meistermannschaft zählte auch Didier Deschamps, Frankreichs WM-Kapitän von 1998 und heutiger Nationaltrainer. Zu den Kunden des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes sollen auch Fußball-Profis gehört haben. Namen nennt er bis heute nicht. Ein spanisches Gericht untersagte kürzlich weitere Untersuchungen an Fuentes' Blutbeuteln.
- Star-Trainer Pep Guardiola wurde 2001 zum Ende seiner aktiven Karriere bei Brescia Calcio Nandrolon-Missbrauch nachgewiesen. Er wurde gesperrt (für vier Monate), verurteilt (zu sieben Monaten auf Bewährung), in der Berufung aber freigesprochen. Erst vor wenigen Wochen gerieten nach ARD-Recherchen brasilianische Fußball-Profis unter Verdacht, Kunden eines Dopingarztes gewesen zu sein - darunter auch Roberto Carlos, Weltmeister von 2002.
- Die Helden von Bern 1954 stehen bis heute unter Verdacht, die verbotene Aufputschdroge Pervitin genutzt zu haben. Unter anderem Trainer Peter Neururer berichtete, dass das Aufputschmittel Captagon in den 1980ern gang und gäbe war.
- Toni Schumacher schreibt 1987 in seinem Buch "Anpfiff", dass Doping in der Bundesliga "seit Langem Tradition" habe, belegte dies - und flog dafür aus der Nationalmannschaft und wurde auch von seinem Stammklub 1. FC Köln suspendiert.
- Franz Beckenbauer wird 1987 von der "Welt" zitiert: "Ich habe DFB-Präsident Neuberger gesagt, Doping sei mehr ein Thema für die Uefa. In Europacup-Spielen laufe etwas. Ich habe es früher selbst beobachtet." Es könne aber sein, dass "im Kampf um die Bundesliga-Meisterschaft oder gegen den Abstieg von Spielern etwas genommen wird".
- 2013 plauderte Beckenbauer im Aktuellen Sportstudio des ZDF über seine Aktiven-Zeit: "Natürlich haben wir auch unsere Vitaminspritzen bekommen. Keine Ahnung. Der Doktor hat gesagt: 'Das ist eine Vitaminspritze.'"
- Die Kommission zur Aufklärung der Doping-Vergangenheit an der Universität Freiburg stellte 2015 fest, dass Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre beim VfB Stuttgart und beim SC Freiburg Anabolika im Umlauf waren.
- Zentrum des westdeutschen Dopingsystems war Freiburg mit den Medizinern Armin Klümper und Joseph Keul. Zu Klümpers Patienten gehörten zahlreiche Fußball-Profis. Der frühere Sprinter und Präsident des FC Homburg, Manfred Ommer, sagte, in den Bundesligen werde "selbstverständlich gedopt".
Nachhaltige Doping-Konsequenzen mussten Profis oder gar der Fußball selbst in den vergangenen Jahrzehnten nicht erleiden. Die Ausnahme ist Diego Maradona, der bis heute einzige Profi, der bei einer Fußball-WM (1994) erwischt und verurteilt wurde. 2010, nach der angeblich sauberen WM in Südafrika, sagte Fifa-Präsident Joseph Blatter: "Wir sollten nicht mehr über Doping im Fußball sprechen."
Quelle: ntv.de, Jörg Mebus, sid