Weil Gladbachs Bollwerk hält Der FC Bayern deutet die Torwartfrage um
17.01.2023, 15:18 Uhr
Die Bayern betonen ihr Vertrauen in Sven Ulreich.
(Foto: Peter Kneffel/dpa)
Nach der Verletzung von Stammtorhüter Manuel Neuer sucht der FC Bayern dringend einen Keeper für die restliche Saison. Bei der Wunschlösung Yann Sommer gibt es offenbar einen nächsten Korb. Die Münchner haben sich in ihrer Position selbst geschwächt.
Beim FC Bayern hat sich der Blick auf die Dinge verändert. Nicht grundsätzlich, aber in einer entscheidenden Nuance. Ein neuer Torwart soll zwar immer noch her, aber womöglich muss es gar nicht mehr die ganz große Lösung sein. Die heißt noch immer Yann Sommer. Doch bislang prallen alle Transferattacken des deutschen Fußball-Rekordmeisters an der Deckung von Borussia Mönchengladbach ab. Vier (!) sollen es laut "Bild" binnen 24 Stunden (!) gewesen sein. Nicht auszuschließen, dass weitere Angriffe folgen und die Bosse vom Niederrhein ihren Widerstand aufgeben und sich über einen warmen Geldregen (für einen neuen Torwart Jonas Omlin?) freuen. Aber als bereits ausgemachte Sache sollte diesen Poker besser niemand verstehen. "Wir schauen weiter, was möglich ist und welche Optionen wir auf dem aktuell schwierigen Transfermarkt haben. Irgendwann werden wir die richtige Entscheidung treffen", sagte Sportvorstand Hasan Salihamidžić.
Und so passen sie in München ihre Rhetorik vorsichtig an und deuten die Torwartfrage langsam um. Bislang vermittelte das Gebaren des Rekordmeisters den Eindruck, dass man mit Sven Ulreich zwar einen zuverlässigen Torwart in seinen Reihen habe, dem aber nicht zwingend zutraut, den gigantischen Aufgaben und Zielen der nächsten Wochen und Monate gewachsen zu sein. Immer wieder taucht die alte Geschichte auch, wie er 2018 gegen Real Madrid in der Champions League verhängnisvoll patzte. Und wenn es darum ging, wer den Platz der schwer verletzten Stammkraft Manuel Neuer einnehmen solle, dann wurde der Kandidat Ulreich eben nicht glaubhaft ausgerufen. Das ändert sich nun. "Wir haben kein großes Torwartproblem. Wir haben mit Sven Ulreich einen Torwart, der, wenn er gespielt hat, hervorragende Leistungen gebracht hat", sagt Klubboss Oliver Kahn. "Er ist ein Torwart, auf den man sich absolut verlassen kann."
Trainer Julian Nagelsmann dreht die Debatte in eine andere Richtung. "Ulle kennt seine Rolle, wir wissen, was der Ulle kann, Ulle weiß, was er kann. Vertrauen hat er", sagte er zuletzt. Aber es sei halt auch so: "Jeder sieht doch die Torwart-Situation. Wir müssen sowieso einen Torwart holen, das steht außer Frage", sagte Nagelsmann. "Ich mach' jetzt mal den fiktiven Fall: Der Ulle reißt sich nächste Woche das Innenband. Was machen wir dann? Dann muss ein ganz junger Torwart (Anmerk. d. Red: aktuelle Nummer drei beim Rekordmeister ist der 20-jährige Johannes Schenk), der heute sein erstes Spiel gemacht hat, in der Champions League und in der Bundesliga spielen. Dann sagt jeder, seid ihr noch ganz dicht, warum holt ihr keinen Torwart?" Sätze, die Kahn unterstreicht. Sätze für ein Alles-kann-nichts-muss-Szenario. Womöglich auch für einen Transfer lediglich einer neuen Nummer zwei? Doch wie überzeugend könnte diese Wende im Blick auf die Dinge sein?
Die Abwehr patzt, Ulreich nicht
Eine erste Antwort darauf wird es an diesem Freitagabend (20.30 Uhr im Liveticker bei ntv.de) geben, wenn die Münchner bei RB Leipzig ihre pflichtspielfreie Zeit beenden. Wenn nicht doch noch ein kleines Transferwunder geschieht, das Angebot für Sommer etwa deutlich nachgebessert wird, steht Ulreich im Tor. Und weil die Sachsen unter ihrem neuen Trainer Marco Rose so richtig ins Rollen gekommen waren, wird das Spiel bereits zu einem Schlüsselduell für den Titelkampf in der Bundesliga ausgerufen.
Mehr Druck nach der Pause geht nicht. Zumal sich die Münchner auch noch mit Abwehrsorgen rumplagen. Mit Lucas Hernández und Noussair Mazraoui sind zwei Spieler länger nicht einsatzfähig, zudem weiß man nicht, in welcher Verfassung Benjamin Pavard ist. Viele Fragen. Viel Druck. Für den Klub, für den Trainer, der international liefern muss, viel Druck auf der Abwehr und für den Torwart. Beim wilden 4:4-Test gegen RB Salzburg, traf den von den Fans mit Sprechchören ("Ulle für Deutschland") bejubelten Ulreich an den Gegentoren anders als seine Abwehrreihe keine Schuld.
Ulreich weiß um seinen Status. Er weiß, dass die Bayern ihm zwar grundsätzlich vertrauen, aber weiß eben auch, was das Werben um Sommer bedeutet. Nämlich dass den Bossen in München wohler wäre, wenn sie eine etablierte Nummer eins zwischen den Pfosten stehen hätten. Ganz besonders mit Blick auf das Achtelfinale der Champions League, wenn es gegen Weltmeister Lionel Messi, Kylian Mbappé und Neymar und Paris St. Germain geht. Ein Gigantengipfel, ein Statementspiel für die eigene Position im europäischen Spitzenfußball. Auf das, so wirkt es, ist die Planung des Rekordmeisters ausgerichtet. Vor allem in der Nummer-eins-Frage. Und als nichts anderes würde der Schweizer, seit Jahren einer der besten Keeper der Liga, kommen. Für den Rest der Saison - und darüber hinaus? Angeblich soll er, wenn er kommt, bis 2024 unterschreiben. Er wäre damit in der nächsten Spielzeit ein Konkurrent von Neuer, der in der Hinrunde und bei der WM ungewohnte Schwächen zeigte.
Probleme bleiben über den Sommer hinaus
Die Bayern haben sich selbst in eine missliche Lage gebracht. Für die Verletzung ihres Kapitäns können sie freilich nichts, wohl aber für den Umgang mit der offenen Torwartfrage. Ulreich haben sie nicht zu einer großen Lösung aufgebaut. Das hat die eigene Verhandlungsposition geschwächt. Vereine von potenziellen Kandidaten wissen nun um die Vehemenz, mit der die Münchner nach einer Top-Lösung suchen. Das hat selbst Alexander Nübel gestärkt, der den Rekordmeister im Sommer 2021 frustriert verlassen hatte. Seine Leihe zur AS Monaco wird nicht vorzeitig abgebrochen, das Thema ist "vom Tisch", wie sein Berater mitteilte. Und so können sich die Gladbacher bei ihrem Sommer entspannt zurücklehnen und den Ablösepoker maximal ausreizen, während die Münchner schauen müssen, ihre Nummer zwei doch glaubhaft als überzeugende Lösung aufzurichten. Und ihr Transferinteresse auf einen Ersatz für den Ersatz umlenken könnten.
Und das Thema wird den Rekordmeister ja nicht loslassen. Niemand weiß seriös, wann Neuer wieder auf dem Platz stehen wird - eine Rückkehr ins Training ist für April angepeilt. Niemand weiß, wie gut der 36-Jährige die schwere Verletzung weggesteckt hat und wie stark seine Leistungen sein werden. Was wäre mit Sommer? Gäbe es ein offenes Duell um den Stammplatz? Was wird aus Nübel, dessen Leihe im Sommer endet und der sich nicht noch einmal in die zweite Reihe setzen möchte? Zumal er die Gerüchte um ein Interesse des FC Bayern an BVB-Keeper Gregor Kobel, ab 2024, wenn Neuers Vertrag endet, auch als ein Misstrauensvotum verstehen könnte.
Zu den Spekulationen um ein Interesse an Nationaltorhüter Kevin Trapp wollte sich Kahn derweil nicht äußern. Darüber zu sprechen mache "relativ wenig Sinn. Wir können noch fünf andere Namen in den Ring werfen. Wir werden uns alles ganz in Ruhe anschauen und dann eine Entscheidung treffen." Indes: die Zeit drängt, das Fenster für Wintertransfers schließt am 31. Januar um 18 Uhr.
Quelle: ntv.de