Guardiolas Elf demütigt Wolfsburg Der FC Bayern feilt an der Perfektion
28.10.2015, 10:54 Uhr
"Ja, war gut heute": Josep Guardiola und Thomas Müller.
(Foto: dpa)
Eigentlich will der VfL Wolfsburg den FC Bayern aus dem DFB-Pokal kicken. Doch statt sich dem Gegner entgegenzustellen, werden die Niedersachsen erneut auseinandergenommen. Dieter Hecking flucht - und Josep Guardiola lächelt.
Nein, über das 1:5-Debakel am sechsten Spieltag der Fußball-Bundesliga gegen den FC Bayern will Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking nicht mehr reden. Muss er auch nicht. Denn es gibt ja genug neuen Gesprächsstoff. Die 1:3 (0:3)-Niederlage des VfL gegen die Münchner am Dienstagabend im DFB-Pokal. Vor allem über die ersten 45 Minuten werden sie in Wolfsburg vermutlich sehr intensiv und sehr kritisch reden. Und in München? Da werden sie darüber streiten, ob die erste Halbzeit das perfekte Spiel war oder eben nicht. Aber egal zu welchem Ergebnis sie kommen, über einen Satz ihres Kapitäns Philipp Lahm nach dieser Demonstration werden sie nicht diskutieren: "Es macht einfach Spaß, so Fußball zu spielen."
Und ja, er hat recht. Wer die Bayern dieser Tage spielen sieht, der wird sich nicht von Anerkennung und Begeisterung freisprechen können. Selbst wenn sein Herz im Fußball-Alltag für andere Farben schlägt. Die Bayern, sie sind im Herbst im 2015 so stark, wie nie zuvor unter der Ägide von Josep Guardiola. Und auch der zwar stets begeisterte, aber nie restlos zufriedene Trainer bekannte nach dem Spiel im ausverkauften Stadion am Mittellandkanal: "Ja, war gut heute. Bei einer Mannschaft die Pokalsieger ist, Vizemeister und in der Champions League spielt, gewinnst du eine Halbzeit nicht 3:0, wenn du keine gute Leistung bringst." Dem gibt’s doch eigentlich wirklich nichts hinzuzufügen. Oder?
Tore: 0:1 D. Costa (15.), 0:2 Müller (20.), 0:3 Müller (35.), 1:3 Schürrle (90.)
VfL Wolfsburg: Benaglio – Träsch (26. Arnold), Naldo, Dante, R. Rodriguez – Guilavogui, L. Gustavo – Vierinha (71. Jung), Draxler (63. Schürrle), D. Caligiuri – Dost. - Trainer: Hecking
FC Bayern München: Neuer – Lahm, Boateng, Martinez, Alaba – Thiago, Xabi Alonso (71. Vidal) – Coman (67. Robben), Müller (79. Rafinha), D. Costa – Lewandowski. - Trainer: Guardiola
Zuschauer: 30.000 (ausverkauft)
Schiedsrichter: Knut Kircher (Rottenburg)
Oh doch - findet Dieter Hecking. Der wollte gar nicht so viel über die absolute "Verdientheit des Sieges der Bayern" reden, sondern vielmehr über Schwäche seiner Mannschaft. Und die war für die 30.000 Zuschauer unübersehbar. Zumindest annähernd auf Augenhöhe wähnten sich die Wolfsburger nach zuletzt drei Siegen in Champions League und Bundesliga. Sie hatten das Ziel, den zweiten Schritt auf dem Weg zur Titelverteidigung im Pokal zu gehen. Doch dann das: Kaum angepfiffen, wich jeglicher Mut, jegliches Selbstvertrauen, jede Bereitschaft, sich der Übermacht zu stellen. "So darf man nicht spielen. Wenn die Bayern in der ersten Hälfte noch zwei Tore mehr machen, hätten wir uns nicht beklagen dürfen." Denn Hecking hatte sehen müssen, wie der FC Bayern, der brutal früh und aggressiv presste, in eben diesen 45 Minuten den rapiden Energieverlust ihrer Gegenspieler in immer mehr eigene Stärke transformierten.
"Noch schwerer uns zu kontrollieren"
Organisiert vom überragenden Xabi Alonso lief der Ball von Anfang ewig lang durch die eigenen Reihen. Und das mit einer so atemberaubenden Geschwindigkeit und Sicherheit, dass selbst die Pass-Maschinen des FC Barcelona Tiki-Taka-Neid bekommen. Doch den Ball nur zu besitzen und ihn immer weiterzuspielen macht nicht glücklich - und bringt schon gar nicht den Erfolg. Diese schmerzhafte Erfahrung machten Guardiola und seine Spieler im Frühjahr dieses Jahres, als ihnen nach den Verletzungen von Franck Ribéry und Arjen Robben in der titelentscheidenden Saisonphase die Eins-gegen-eins-Optionen fehlten. Die Bayern waren oft überlegen, ihnen fehlte aber die Durchschlagskraft, das Tempo, die Überraschung.
Doch an dieser Stellschraube haben sie in München in der Vorbereitung auf die Saison erfolgreich gedreht. Denn mit den irrwitzig schnellen Neuzugängen Douglas Costa und Kingsley Coman sind eben diese für eine Triple-ambitionierte Mannschaft unverzichtbaren Qualitäten ins Bayern-Spiel zurückgekehrt. Und gegen Wolfsburg erbrachten die beiden Außenspieler den Nachweis, wie ihre Qualitäten das Spiel der Guardiola-Elf positiv beeinflussen. So war's ein technisch feiner Schuss des zuvor mit viel Tempo in die Mitte gezogenen Brasilianers Costa (15.), der die Bayern in Wolfsburg ergebnisorientiert in die Richtung nächster Pokalrunde schubste. Und Coman, der auf seiner Seite das Tempo einmal so flott anzog, dass gleich zwei Gegenspieler trotz Vollsprints ziemlich überfordert aussahen, bereitete so den zweiten Treffer mit vor. Zwei Szenen, die die ganze Überlegenheit der Bayern in dieser Saison eindrucksvoll belegen.
Und so gab's von Guardiola ein Extra-Lob für Costa und Coman: "Sie bringen viel Qualität mit, sind stark im Eins-gegen-eins. Das macht es noch schwerer uns als Mannschaft zu kontrollieren." Noch schwerer - wie das klingt! Begeisternd schön für Bayern-Fans. Schrecklich beängstigend für alle anderen. Nicht nur national, sondern auch international. Und so wollte ein spanischer Journalist bei der Pressekonferenz nach dem Pokalspiel von Hecking noch einmal genau wissen: Sind die Bayern derzeit einfach zu stark für ihre Gegner? Der Trainer des VfL wirkte doch etwas erstaunt, ob der Redundanz des Gehörten. Er antwortete mit einer Gegenfrage: "Haben Sie das Spiel gesehen?" Er hatte. Guardiola lächelte.
Quelle: ntv.de