Super-Druck-Gipfel gegen Bayer Der FC Bayern strafft sich fürs "Hose runter"-Spiel
10.02.2024, 10:31 Uhr
Auf das Duell der Trainer kommt es an: Thomas Tuchel (l.) würde mit seinem FC Bayern gerne an Xabi Alonsos Bayer vorbeiziehen.
(Foto: dpa)
Showdown um die Tabellenspitze: Bayer Leverkusen empfängt den FC Bayern zum Gipfel - und die ganze Welt schaut zu. Thomas Tuchel schwärmt vom Gegner und Xabi Alonso. Der Spanier warnt derweil, die Münchner auch nur ein bisschen zu unterschätzen.
Die Bundesliga steuert auf das ganz große Ding zu. Ein solches Duell hat es in der Geschichte des Wettbewerbs noch nicht gegeben. Ja, tatsächlich. Niemals zuvor hatte zwei Mannschaften nach dem 20. Spieltag 50 (der FC Bayern) oder mehr (52, Bayer Leverkusen) Punkte auf dem Konto. Die Werkself spielt die fast perfekte Saison, hat wettbewerbsübergreifend kein Spiel verloren und reißt die Nation mit faszinierendem Fußball mit. Der VfB Stuttgart, ebenfalls faszinierend gut, wurde unter der Woche aus dem Viertelfinale des DFB-Pokals gekickt. Es mangelte hernach nicht an Superlativen für dieses Spiel - und Prognosen, wie schwer es für den FC Bayern an diesem Samstagabend (18.30 Uhr bei Sky und im Liveticker bei ntv.de) werden wird.
Die Bundesliga vermarktet das Duell zwischen dem ungeschlagenen Spitzenreiter und Serienmeister seit Tagen als "The Big One" - als das größte aller Spiele. Anders als beim oft "Klassiker" zwischen Borussia Dortmund, das sich selbst regelmäßig zum klappernden Riesen mit schmerzhaften Knochenbrüchen macht, und dem FC Bayern, der immer zu altbekannter Übergröße erwächst, scheint diese Überhöhung nun zur Abwechslung fast passend. Auch wenn die Münchner mehr in Ergebnis- denn in Galaform sind.
Der Rekordmeister wird seit Wochen tüchtig zusammengeschrumpft. An der Spitze der Bewegung steht Dietmar Hamann, der Chefkritiker der Nation. Die Liste dessen, was dem FC Bayern angeblich alles fehlt, ist lang: Glanz, Gloria, Dominanz, eine Weiterentwicklung. Sogar das heilige "Mia san Mia" wird angefasst. Wenn man nur mit einem Ohr zuhört und keinen Blick auf die Tabelle hat, könnte man vermuten, dass der Rekordmeister in argen Nöten ist. Mit der Wahrheit der Zahlen, der harten Währung im Fußball, hat das nicht sonderlich viel zu tun. Bis auf die Blamage im DFB-Pokal bei Drittligist 1. FC Saarbrücken spielen die Münchner zumindest im Ergebnis eine hervorragende Saison. In der Bundesliga gab es nur zwei Niederlagen. Die allerdings wirkten schwer nach.
In einem surrealen Spiel war die Mannschaft von Thomas Tuchel in der Hinrunde bei Eintracht Frankfurt mit 1:5 untergegangen. Und vor knapp drei Wochen hatte Werder Bremen die Punkte aus München mitgenommen. Die Verwunderung über diesen Coup war groß und zahlte auf hernach auf das Kritik-Konto von Tuchel und seinem FC Bayern ein. Aus eigener Kraft, so gestanden sie sich ein, würde der zwölfte Titel in Serie nicht mehr zu holen sein. Die Welt des FC Bayern dreht sich schneller als anderswo. Niederlagen werden als Untergänge analysiert. Anders in Leverkusen: Durch ein 0:0 gegen Borussia Mönchengladbach hatte die Werkself die Tür für den Verfolger wieder aufgemacht. Und so steht nun das Duell unter dem Motto "Hosen runter, Karten auf den Tisch".
Es geht auch im Ruhe für Tuchel
Verantwortlich für das Motto ist Tuchel, der das ohnehin schon gehypte Spiel, für das angeblich bis zu 180.000 Tickets hätten verkauft werden können und das in der ganzen Welt live zu sehen ist, noch einmal ein bisschen pushte. "Samstag, 18.30 Uhr, Hosen runter und Karten auf den Tisch. Wir wollen eine Statement-Leistung. 30 Teams haben es versucht, 30 Teams haben es nicht geschafft", bemerkte er zur Ungeschlagen-Serie des Gegners. "Leverkusen spielt eine überragende Saison. Ich glaube trotzdem, dass sie mehr an ihrem Limit spielen als wir. Wir haben noch mehr Luft nach oben. Es ist der Moment, den nächsten Schritt zu gehen." Für diesen gibt es frischen Input. Tuchel stehen Joshua Kimmich, Min-jae Kim und Dayot Upamecano wieder zur Verfügung. Der Kapitän Manuel Neuer dagegen vielleicht nicht. Die Entscheidung fällt am Samstag, um 17 Uhr, so Tuchel.
Der Schritt, er wäre einer, der Tuchel wieder mehr Ruhe in seiner täglichen Arbeit bescheren würde. Denn eine Niederlage würde unweigerlich die Diskussionen um den Trainer befeuern. Die Art und Weise würde das Tempo bestimmen. So richtig angekommen ist er in Deutschland noch nicht wieder. Nicht was sein Image angeht und nicht was sein Standing angeht. Beim Rekordmeister stellen sich zwar vor den 50-Jährigen, aber in manchen Medien tauchen immer Berichte auf, in denen von internen Zweifeln an Tuchels die Rede ist. Bisweilen hat das Kampagnencharakter. Aber die Münchner - und das ist das Problem - werden diese Dauerbaustelle nicht los. Dabei ist die Lösung so simpel wie kompliziert: Spielt der FC Bayern hervorragenden Fußball und liefert Top-Ergebnisse, kehrt Ruhe ein. Angesichts von zahlreichen schweren Verletzungen und Versäumnissen in der Kaderpolitik war das aber nur mit großen Einschränkungen möglich. Tuchels Kreativität und Geduld wurde vor harte Proben gestellt.
Dass ausgerechnet der nächste Gegner Bayer als leuchtendes Vorbild für Ruhe, Glück, Attraktivität, einen sehr ausbalancierten Kader und Erfolg steht, macht das Duell besonders brisant. Und noch ein bisschen mehr, weil Trainer Xabi Alonso als Bauherr gilt, der einst ja ein großer und beliebter Anführer beim FC Bayern war. Und für den die Bosse aus München bis heute große Sympathien empfinden. Dass er ein Mann ist, dessen Weg sie sehr genau verfolgen, ist kein Geheimnis. Er könne vor Xabi Alonso "nur den Hut ziehen, was er aus Bayer gemacht hat. Man darf nicht vergessen, als er kam, waren sie Vorletzter. Jetzt sind sie Erster mit diesem attraktiven Fußball", sagte Karl-Heinz Rummenigge, der bei den Münchnern ja wieder mitwirbelt, der "Abendzeitung".
Alonso, der Bessermacher
Der Spanier hat Bayer Leverkusen zu einer großen Attraktion gemacht. Sowohl als Anziehungsmagnet für große Spieler wie Victor Boniface, Alejandro Grimaldo, Jonas Hofmann oder Granit Xhaka, aber eben auch auf dem Platz. Die Werkself spielt mit einem unerschütterlichen Selbstvertrauen, mit einer dominanten Spielidee, basierend auf einem hinreißend schönen und mutigen Passspiel. Auch unter Druck wird die spielerische Lösung gesucht. Über die Flügel hat die Mannschaft ein wahnsinniges Tempo, mit Jeremie Frimpong oder mit Amine Adli. Mit Florian Wirtz den derzeit wohl besten deutschen Fußballer auf der Schlüsselposition im zentralen Mittelfeld und mit Xhaka einen wettkampfharten Zenturio, der anleitet, grätscht und organisiert. Xabi Alonso hat viele Spieler besser gemacht. Besonders auffällig bei Jonathan Tah, der in der aktuellen Form eine unverzichtbare Stammkraft in der Innenverteidigung der Nationalmannschaft sein müsste. Das Spiel wird aber auch für den Trainer zur Probe, für seinen Mut, seine Überzeugung, gegen den FC Bayern nicht zu schrumpfen.
Das ist das konträre Bild zur Lage in München. Tuchel steht unter dem ständigen Verdacht, seine Mannschaft nicht weiterzuentwickeln. Die Spieler nicht besser zu machen. Auch ist die Wahrheit nicht schwarz oder weiß, sondern grau. Aleksander Pavlovic, der Youngster, hat sich in die erste Elf gespielt und dort überzeugt. Min-jae Kim ist immer besser geworden. Harry Kane hat geliefert, er kam allerdings auch als Weltstar. Und Jamal Musiala bleibt einer der aufregendsten Spieler im Kader und in Deutschland. Dass er zuletzt nicht in der allerbesten Form war, schmälert die Vorfreunde auf das Duell gegen Wirtz nicht. Die beiden größten Hoffnungsträger des Landes im Titel-Duell, das hat schon etwas Faszinierendes.
Gegen "die beste Mannschaft in Deutschland", so urteilt Alonso, wartet auf Leverkusen nun der Härtetest. Wie robust ist dieses Team auch unter Titelstress? Der Spanier bemüht sich um das Höchstmaß an Gelassenheit und redet das Duell kleiner als es ist. Auch um die "Mind Games" aus München nicht in die Köpfe seiner Fußballer schleichen zu lassen. Es sei nur "ein wichtiges Spiel" wie jede Woche, man bereite sich "wie immer" vor. Und doch weiß er: "Es ist die Bayern-DNA, zu gewinnen." Im Hinspiel gelang das nicht, Exequiel Alejandro Palacios rettete Bayer mit einem Elfmeter in der Nachspielzeit das Remis (2:2). Dem möglichen 3:2 der Bayern wurde die Anerkennung verweigert, wegen Abseits. Nach dem Schlusspfiff sah Co-Trainer Zsolt Löw nach Rot. Es war der 4. Spieltag. Der "Kicker" verlieh dem Spiel die Note eins. Jetzt das Wiedersehen - und das ganz große Ding?
Quelle: ntv.de