Die Lehren des 6. Spieltags Der HSV ist schon am Ende, Tuchel bockt
03.10.2016, 15:27 Uhr
Prima Flugeinlagen gab es beim Dramatico auch zu bewundern.
(Foto: dpa)
Nach Clasico und Plastico hat die Bundesliga endlich auch einen Dramatico, Leverkusen und BVB sei Dank. Schalkes Minuten-Wahnsinn beweist: Fußball ist ein einziges Rätsel. Und der HSV ist unter Markus Gisdol schon am Ende.
1. Clasico, Plastico, Dramatico!
Als Borussia Dortmund letztmals in Leverkusen auf ein Bundesliga-Tête-à-Tête vorbeischaute, endete das mit einem BVB-Sieg – und einer legendären Bockigkeit von Bayer-Trainer Roger Schmidt. Zwei Ereignisse, die das erneute Duell am Samstag nicht bieten konnte. Diesmal gewann Bayer souverän, raubte der Liga damit die Hoffnung auf einen echten Titelkampf - und Roger Schmidt durfte das Geschehen sogar bis zum Schlusspfiff von der Trainerbank aus verfolgen. Legendär bockig war es allerdings auch diesmal. Vor der Pressekonferenz sparten sich Schmidt und BVB-Kollege Thomas Tuchel den obligatorischen Handschlag, auf der Pressekonferenz gockelten sie sich dann herzhaft an. Es ging darum, inwiefern sich aus Ballbesitz-Anteilen Dominanz ableiten lässt (These Tuchel), ob die BVB-Profis bessere Schauspieler als Fußballspieler sind (These Schmidt) und wie fair genau 21 Fouls sein können. Trotz Schmidts eloquenter Initiativbewerbung um ein Praktikum bei "Hart aber fair", trotz Tuchels erneut herrlich kindlicher Empörung über einen Gegner, der seinen BVB tatsächlich zu schlagen gewagt hatte: Die Gockelei der beiden Trainer wäre noch etwas amüsanter gewesen, hätten sie ihre Diskussion auf Shakespeare und sein "Fair is foul, and foul is fair" ausgeweitet. Schalkes Manager Christian Heidel glaubt zwar, dass die meisten seiner Spieler nicht einmal Zeitung lesen und es scheint nicht vermessen, das auf die gesamte Liga auszuweiten. Aber: Ein bisschen "Macbeth" schadet nie. Immerhin: Als neuer Dramatico taugte Bayer vs. BVB auch so.
2. Diesen Fußball versteht keiner
Manchester City, FC Barcelona, Real Madrid, FC Bayern, Borussia Dortmund, Manchester United – alles Tiptop-Superteams des Weltfußballs. Und alle sieglos an diesem kuriosen Wochenende. Dafür hat, und damit wird das Ganze geradezu absurd kurios, der FC Schalke gewonnen. Tatsächlich! Nach fünf vergeblichen Anläufen in der Liga und mehr als 540 Minuten Leidenszeit, in denen die Schalker erst ein Manuel-Neuer-Bonmot aus dem Jahr 2009 wiederbelebten ("Wir schießen so wenig Tore, vielleicht heißen wir deshalb auch die Knappen“), dann irgendwann doch Tore schossen, sogar als erstes Team, aber trotzdem nicht punkteten, reichten gegen die formstarken Gladbacher plötzlich der 200. Bundesliga-Elfmeter der Schalker Vereinsgeschichte und sechs furiose Minuten zur Erlösung. 1:0 Choupo-Moting (52.) per Kann-Elfmeter, 2:0 Breel Embolo (56.) per Kopf, 3:0 Leon Goretzka (58.) per Abstauber – da war die Messe gelesen auf Schalke, ohne dass Stadionpfarrer Ernst-Martin Barth oder die Schalke-Bibel zum Einsatz kommen mussten. Erneut Embolo (83.) setzte den Schlusspunkt unter ein Spiel, das die nach Meinung der Gladbacher bessere Mannschaft mit 0:4 verlor. "Das ist ärgerlich. Du hast sie eigentlich im Würgegriff und dann passiert das, was passiert ist", wurde Gladbachs Sportdirektor Max Eberl hinterher philosophisch: "Manchmal ist im Fußball nicht alles erklärbar." In Barcelona, Dortmund, Manchester, Madrid und München werden sie bei diesen Worten still genickt haben.
3. Kölns Kung-Fu raubt dem FC Bayern das Glück
Sechs Spieltage sind rum, und der 1. FC Köln ist immer noch ungeschlagen. Das können sonst nur noch der Rekordmeister aus München und der neue Rekordaufsteiger aus Leizpig von sich behaupten. Saisonübergreifend sind es nun schon elf FC-Partien ohne Pleite – so viele wie noch nie, seit der 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit begangen wird. Wer das für eine wirre Laune des Fußballgotts hält, sei hiermit an Robert Lewandowski verwiesen. Achtmal hatte der polnische Torjäger in der Fußball-Bundesliga bisher mit Dortmund und dem FC Bayern gegen den 1. FC Köln gespielt, achtmal gewann Lewandowski. Dabei traf er siebenmal, Kausalzusammenhang nicht ausgeschlossen. Diesmal traf aber nur Kölns Lewandowski, besser bekannt als Anthony Modeste. Er bugsierte den Ball mit einer artistischen Kung-Fu-Einlage ins Bayern-Tor, die FC-Kapitän Matthias Lehmann staunen ließ: "Tony macht das mit seinen langen Gräten einfach top. Dann kriegst du natürlich die zweite Luft gegen die Bayern." Die reichte, um den Bayern einen Punkt abzutrotzen, weil außerdem der Manuel Neuer des Effzeh, besser bekannt als Timo Horn, sowie Pfosten und Latte des FC-Tors einen Galatag erwischten und die Münchner unter Carlo Ancelotti eine Guardiola'sche Grundtugend nicht mehr umsetzen können – sie können das Glück nicht länger erzwingen. Und das, obwohl der Rasen in der Münchner Arena wieder tiptop ist und alle 13 eingesetzten Feldspieler des FC Bayern einen Torschuss abgaben. Und damit zurück zu Max Eberl.
4. Die Hoffnung heißt Serge
Die Werder-Geschichte des Wochenendes: Alexander Nouri, natürlich. Als Retter in der Not vom eigenen Nachwuchs zu den Profis abgezogen, ist der 37-Jährige jetzt plötzlich Cheftrainer, so ein 2:2 in Darmstadt kann Erstaunliches bewirken. Nostalgiker erinnert das an Thomas Schaaf, der nach seiner Beförderung zum Bremer Rekordtrainer wurde. Menschen mit Kurzzeitgedächtnis denken eher an Viktor Skripnik. Aber ob Thomas oder Viktor: Die Hoffnung auf bessere Zeiten an der Weser trägt ohnehin nicht den Namen Alexander. Sie heißt Serge, auch wenn sie am Samstag ausdrücklich Herrn Nouri lobte: "Wir treten mehr als Einheit auf. Wir haben sehr vom Trainer profitiert." Mehr noch profitierte Werder aber von der Torgefahr des Serge Gnabry. Den 1:1-Ausgleich bereitete er per Kopf vor, die 2:1-Führung erzielte er selbst – nach einem Steilpass von Bremens Ousman Manneh, der diesen verzweifeln ließ. Die TV-Bilder zeigen, wie Manneh sich frustriert auf den Rasen hockt und diesen mit seinen Fäusten malträtiert, im festen Glauben, sein Steilpass sei zu steil gewesen. War er nicht, zumindest für Gnabry, die er ihm vorm verdutzten Darmstädter Keeper erlief und ins Tor schoss.
5. Hamburg und Gisdol sind schon am Ende
Ein Wettbieten um Trainer ist im Fußball-Business nicht ungewöhnlich. Das kolportierte zwischen Hamburger SV und Werder Bremen mutete allerdings bizarr an. Schließlich ging es nicht um einen Starrettertrainer mit Klassenerhalts-Garantie. Es ging um Markus Gisdol, der bislang nur in Hoffenheim gewirkt hatte. Den Klub übernahm er 2013 auf Tabellenrang 17 und dort stand Hoffenheim auch, als Gisdol 2015 wieder freigestellt wurde. Das immerhin verrät eine gewisse Konstanz und erklärt auch die peinliche Art und Weise, mit der sich der Hamburger SV am vergangenen Wochenende von Coach Bruno Labbadia trennte. Die Relegations-Junkies von der Elbe wollten Gisdol unbedingt verpflichten, als der Klub noch auf Platz 16 stand. Dort freilich stehen die Hamburger nach Spiel 1 unter Gisdol nicht mehr, weil Herthas Vedad Ibisevic in Spiel 1 als frischgebackener Papa zwei Tore schoss, was in der Endabrechnung zwei mehr waren als dem HSV gelangen. Was hier den schönen Schlusssatz erlaubt: Hamburg und sein Retter-Trainer sind schon am Ende.
Quelle: ntv.de