Ein Spiel, über das man staunt Der VfL Bochum erschüttert die Liga
22.08.2021, 13:05 Uhr
Boooom in Bochum.
(Foto: imago images/Laci Perenyi)
Die Rückkehr in die Fußball-Bundesliga läuft für den VfL Bochum alles andere als prima. Aber die harte Landung zurück im Oberhaus korrigiert der Aufsteiger am 2. Spieltag mit einem ganz starken Spiel gegen den FSV Mainz 05. Und über einen Mann staunen sie ganz besonders.
Über Gerrit Holtmann haben sie sich am Samstagnachmittag ein wenig gewundert. Warum schießt er denn nicht, dachte etwa Thomas Reis, der Coach des VfL Bochum. Und viele andere Menschen "anne Castroper" hatten den gleichen Gedanken. Nun ist es indes nicht so, dass sich nicht auch Holtmann damit beschäftigt hätte, etwas früher zu schießen. Aber vorher musste der Flügelspieler unbedingt noch was Wichtiges erledigen: Er musste sich den Ball erst von seinem rechten auf seinen linken Fuß legen. Das dauerte rund zehn Sekunden. In der Zeit hatte er mal eben sechs Gegner vorgeführt - und am Ende des langen Wegs vor der Mittellinie das erste Erstliga-Tor nach 4123 Tagen im Ruhrstadion erzielt (21.).
Zu sagen, dass die Freude sehr groß gewesen sei, wäre ein wenig an der Wahrheit vorbei. Die Stadt erlebte eine Eruption. Über den vereinseigenen Liveticker ließ der Klub leise Entwarnung geben, es sei kein Erdbeben, es sei nur das hüpfende Stadion (also natürlich die Menschen im Stadion). Nach dem harten Aufschlag in der Bundesliga nach elf zermürbenden Jahren Abstinenz korrigierte der VfL die bittere Pleite beim VfL Wolfsburg (0:1 und Rot nach vier Minuten) nun mit einem Spektakel gegen den FSV Mainz 05. Gegen den Ex-Klub von Holtmann, der zum Auftakt einen leidenschaftlich erkämpften Sieg gegen RB Leipzig (1:0) gefeiert hatte.
Bochum malochte nicht nur Fußball, sie spielten ihn auch. Die erste Halbzeit war wirklich furios. Nicht nur wegen des Holtmann-Solos, das sich übrigens so erklärt: "In meinen Rechten habe ich nicht so viel Vertrauen." Also blieb ihm keine Wahl, als so lange zu dribbeln, bis der Ball auf dem linken Fuß lag: "Deswegen habe ich gesagt: Geh ich einfach mal durch und tunnel ihn." Simon Zoller, einer der großen Aufstiegshelden, packte einen Fallrückzieher aus, den Torwart Robin Zentner gerade noch an die Latte lenkte (ganz stark übrigens). Und in der gleichen Minute (der 30.) traf Zoller noch, aber das vermeintliche 2:0 wurde nicht gegeben, weil der Ball zuvor am Arm des Angreifers war.
"Das ist, wofür jeder Fußballer lebt"
Das tatsächliche 2:0, dann auch der Endstand, besorgte Sebastian Polter, der neue Stoßstürmer. Und der zweite Bochumer Torschütze des Tages mit Mainzer Vergangenheit. Elf Minuten nach der Pause verwertete der Deutschland-Rückkehr eine feine Flanke von Zoller per Kopf. Besonders schwer wurde es ihm von Gegenspieler Jerry St. Juste allerdings nicht gemacht. Nochmal eine Eskalation, nochmal ein kleines Erdbeben. "Geil. Das ist es, wofür jeder Fußballer lebt. Jedes Kind, das draußen Fußball schaut, möchte dieses Feeling eines Tages auch mal erleben", sagte der restlos begeisterte Torschütze.
Die Euphorie war gewaltig. Auch schon vor dem Spiel. Die legendäre Castroper Straße war von blau-weißen Fahnen und Wimpeln gesäumt, im Stadion sangen die Fans die Stadt- und Klubhymne "Bochum" von Herbert Grönemeyer mit den größten Gefühlen - und ihre Mannschaft dominierte den Gegner von Beginn an.
Erstaunliche Erkenntnisse
Erkenntnis nach den zweiten 90 Minuten der Saison: Der VfL spielt wieder Bundesliga und kann das auch. Auch wegen Trainer Thomas Reis. Der hatte die Mannschaft in der vorletzten Saison in Liga zwei auf einem Abstiegsplatz übernommen und sie nach dem ersten Corona-Lockdown zu einem Spitzenteam geformt. Mit einer aggressiven Spielidee. Mit einer herausragenden Mentalität. In der Aufstiegsspielzeit wurden nie zwei Spiele in Folge verloren.
Einer, der eine ganz spezielle Mentalität besitzt, ist Torwart Manuel Riemann. Der macht aus seinen Gefühlen auf dem Feld nie ein Geheimnis. Das ist nicht immer gut für seine Vorderleute, die häufiger mal amtlich in den Senkel gestellt werden. Auch am Samstag gab es wieder so einen Moment. Kurz vor der Halbzeit hatte Riemann den möglichen Ausgleich mit einem sensationellen Fußreflex gegen Niklas Tauer verhindert. Aus sieben Metern war der Youngster, der nach einem Missverständnis der Bochumer Innenverteidiger frei stand, an Riemann gescheitert. Wie sehr ihm sein Nothilfeeinsatz missfiel, ließ er Armel Bella-Kotchap und Vassilios Lampropoulos wissen.
Reis greift hart durch - auch bei seinen Stars
Der Kader des VfL ist einer voll mit Typen. Manche sagen, es sei eine schwierige Mannschaft, Coach Reis nennt es lieber eine besondere Mannschaft. Kaum jemand kennt den Klub besser als er. Nahezu alles hat der 47-Jährige beim VfL gemacht, Spieler unter anderem unter dem legendären Trainer Klaus Toppmöller, Jugendtrainer, Scout oder auch Marketing-Mitarbeiter. Und Chef des Bundesliga-Teams. Die Erfüllung seines größten sportlichen Traums. Reis selbst gehört übrigens zu den Typen, der gerne mal den Weg des Mainstreams verlässt. Schon im Aufstiegsjahr hatte er Leistungsträgern wie Robert Zulj (spielt mittlerweile in Katar) mit einem Spieltags-Bann gezeigt, dass er Nachlässigkeiten nicht duldete. Und in dieser Saison durfte sich das Top-Talent Bella-Kotchap schon mal sehr deutlich anhören, dass er seinen Fokus wieder nachschärfen soll. Tat er und spielte nun wieder. Vermutlich aber auch, weil der gesetzte Maxim Leitsch verletzt passen musste.
Reis scheut sich aber nicht nur vor personellen Änderungen, er hat auch seine Taktik angepasst. Der VfL Bochum presst sein Gegner nun nicht mehr so bedingungslos ins Verderben, sondern lässt es nun etwas zurückhaltender angehen. Aber immer lauernd auf gnadenlose Umschaltmomente. Zu groß ist die Gefahr, im Oberhaus überspielt und dann knallhart bestraft zu werden. Von den schwachen Mainzern drohte das allerdings nicht. Was das für den VfL und seine Chancen in der Liga bedeutet? Nun, der Coach formuliert es mal ganz dezent: "Wir wollen nicht nur ein Jahresabo haben, sondern länger in der Liga bleiben." Deswegen gilt auch: "Die Jungs sollen das ruhig genießen, da darf man auch mal feiern", betonte Reis: "Wichtig ist aber, dass man weiß, dass die Realität kommt, wenn die Feierei vorbei ist."
Die größte Anerkennung erhielt der Verein, der einst als unabsteigbar galt, übrigens vom Mainzer Trainer Bo Svensson. "Bochum wird eine sehr gute Rolle in der Bundesliga spielen. Das habe ich schon vorher gewusst."
Quelle: ntv.de