Fußball

RB Leipzig, die "defekte Rakete" Der dramatische Absturz des Bayern-Jägers

Jesse Marsch kann derzeit nicht glücklich sein mit seinem RB Leipzig.

Jesse Marsch kann derzeit nicht glücklich sein mit seinem RB Leipzig.

(Foto: imago images/motivio)

In der Bundesliga dümpelt RB Leipzig auf Platz acht herum, von Bayern-Jäger kann keine Rede mehr sein. Ausgerechnet gegen das Superteam von PSG um Neymar und Mbappé droht nun auch noch das Aus in der Champions League. Was ist passiert mit den Sachsen?

"Die beste erste Elf hat der FC Bayern. Den besten Kader hat RB Leipzig." Dieses durchaus mutige Statement stammt von Lothar Matthäus, gedruckt in der "Sport Bild" vor dem Start der Bundesligasaison. Nun war der Rekordnationalspieler noch nie ein Mann der zurückhaltenden Worte oder einer mit sonderlich ausgeprägten Hellseherfähigkeiten. Doch Matthäus lag mit seiner Einschätzung entweder meilenweit daneben - oder das Team aus Leipzig will und kann schlichtweg nicht so, wie sein nicht mehr ganz so neuer Trainer Jesse Marsch sich das vorstellt.

Eigentlich begann das Engagement des Coaches mehr als rosig bei RB, zumindest nachdem klar war, dass er und nicht der wohl eine zeitlang präferierte Kollege Oliver Glasner den Job erhalten würde. Für Marsch war der Einstieg aber auch fast zu einfach, nachdem Julian Nagelsmanns Abgang zum Konkurrenten aus München für Ärger in Leipzig gesorgt hatte. Der US-Amerikaner menschelte darüber hinaus so angenehm, dass die Mannschaft ihn mit offenen Armen empfing. "Es gab noch keinen Trainer, der so viel Nähe zugelassen hat. Er sagt zu uns 'Jungs, eure Probleme sind meine Probleme'", erzählte Abwehrchef Willi Orban der "Leipziger Volkszeitung" über den Coach, der in der Saison 2018/19 bereits Co-Trainer bei den Sachsen war. Das gebe dem Team ein unheimlich gutes Gefühl. "Für so einen Trainer geht man durchs Feuer."

Jetzt ist das Feuer längst zum nur noch ganz schwer löschbaren Waldbrand mutiert. Die traurige Realität der verbrannten Erde heißt: Platz acht in der Liga, 15 Punkte - und zehn Zähler Rückstand auf die Bayern und neun auf Dortmund. Dabei war Marsch laut eigener Aussage "nach Leipzig gekommen, um mit unserer Truppe zu gewinnen". Hinzu kommen drei Auftaktpleiten in der Champions League und lediglich eine Mini-Chance auf das Erreichen des Achtelfinals. Diese muss heute Abend (21 Uhr/DAZN und im Liveticker auf ntv.de) ausgerechnet gegen das katarische Scheichteam aus Paris wahrgenommen werden.

"Broken rocket"

Was ist mit dem Bayern-Verfolger Nummer eins aus Leipzig passiert? "Wir sind aktuell keines der Teams, das um die Meisterschaft mitkämpft", motzte Marsch nach dem 1:1 am Samstagabend bei Eintracht Frankfurt. Im ZDF wurde der US-Amerikaner später noch deutlicher: "Wir sind noch kein Topteam in dieser Liga." Die RB-Spielidee des Jesse Marsch, sie fehlt noch. Oder anders: Sie kommt nicht richtig in der Mannschaft an und die Mannschaft kann sie nicht umsetzen. Immer und immer wieder lassen die RB-Profis beste Chancen aus.

"Wir waren nicht abgezockt genug vor dem Tor. Wenn wir es gewesen wären, hätten wir vier oder mehr Tore erzielen können", klagte Marsch. Die Ladehemmung seiner Mannschaft definierte er als "Broken rocket" - als defekte Rakete. Der Leipziger Flugkörper, er stottert diese Saison viel zu zuverlässig.

Auch die erste Halbzeit beim 4:1 gegen die SpVgg Greuther Fürth am Spieltag vor Frankfurt war seltsam uninspiriert und harmlos. Davor hatte es nur zu einem 1:1 beim Überraschungsdritten SC Freiburg gereicht und selbst der 3:0-Arbeitssieg am siebten Spieltag gegen den VfL Bochum sprang erst in den letzten 20 Minuten heraus. Der 1:0-Erfolg im Pokal beim SV Babelsberg war erst recht glanzlos.

Marsch-System nicht gemacht für Silva

Sinnbildlich für die Leipziger Ladehemmungen steht der Königstransfer aus dem Sommer. Für 23 Millionen Euro war André Silva mit einem Sack voll Toren zu den Sachsen gewechselt. In 15 Pflichtspielen hat er nun für RB nur dreimal getroffen, dazu aber immerhin vier Vorlagen gesammelt. Seit dem dritten Bundesligaspieltag durfte er keine Partie mehr über die volle Distanz bestreiten. Zum Vergleich: In 34 Pflichtspielen waren es in der vergangenen Saison für Eintracht Frankfurt 29 Tore und zehn Assists.

Gegen seinen Ex-Klub wurde der Portugiese nur eingewechselt. Gut möglich, dass er auch gegen PSG von der Bank kommen muss. "Es läuft noch nicht perfekt mit André, aber das ist normal", sagte Marsch. Nach dem Pokalsieg gegen Babelsberg erklärte der Trainer genauer: "Es ist nicht so leicht für André, die richtige Rolle zu finden und auch für uns, André zu verstehen."

Das Problem für Leipzig: Das Marsch-System ist nicht gemacht für Silva. Er ist ein Stoßstürmer, lebt von Flanken und Kombinationen von außen, aber kann sich bisher bei Leipzig zu selten im Strafraum in Szene setzen. Der US-Amerikaner lässt sein Team vertikaler und mehr gegen den Ball agieren als das noch unter Nagelsmann der Fall war, will energisches Pressing, schnelles Umschaltspiel und ein durchs Zentrum aufgezogenes Kurzpassspiel sehen. Der Portugiese Silva wirkt damit verloren. "Er ist kein Umschaltspieler", sagte Marsch sogar.

Der Angreifer hat auch keinen Flankengeber namens Filip Kostic mehr, der ihm in Frankfurt einen Großteil seiner Tore auflegte. Leipzig rangiert auf der Flankentabelle der Liga nur auf Platz neun. Christopher Nkunku oder Dominik Szoboszlai schließen als eingerückte Flügelspieler lieber selbst ab, als Chancen zu kreieren. Leipzigs Technischer Direktor Christopher Vivell erklärte der "Sport Bild", dass Silva sich zwar "sehr geschickt im Strafraum" bewege, aber momentan schaffe es die Mannschaft "noch nicht, ihn dauerhaft in diesen torgefährlichen Bereich zu bringen".

Nicht ganz Marsch, nicht ganz Nagelsmann

Leipzigs Quasi-Kostic, Linksverteidiger Angeliño, musste in dieser Saison meist weit hinten in einer Viererabwehrkette spielen. Mittlerweile scheint aber Marsch auch das 3-4-3 mit Angeliño als offensivem Außenverteidiger zu präferieren, was Silva zugutekommen könnte. "Er braucht mehr Flanken. Mit Angel versuchen wir, die Verbindung zu verbessern", erklärte Marsch vor dem Pokalspiel in Babelsberg bezüglich Angeliño. Freilich, die Taktik ging gegen den Regionalligisten eher wenig zufriedenstellend auf.

Denn auch der Rest der Mannschaft hadert mit der neuen, und doch irgendwie alten (siehe Ralf Rangnick), RB-DNA. Der Kader war auf das Kombinationsspiel von Nagelsmann ausgerichtet und zusammengestellt, zudem konnten teure Einkäufe drei verloren gegangene Säulen (Marcel Sabitzer, Dayot Upamecano, Ibrahima Konaté) noch nicht ersetzen. Nun wirkt es oft, als wäre Leipzig eine Art Hybrid: nicht ganz Marsch, nicht ganz Nagelsmann, aber ein bisschen von beidem - und dadurch viel zu ineffizient. Das Team spielt verunsichert (siehe: Ladehemmungen vor dem Tor), doch Marsch klammert sich weiterhin an seine Pressing-Taktik, was auch zu fehlender defensiver Stabilität und vielen Gegenstößen führt. Angeblich sollen intern einige Spieler schon Elemente des Nagelsmann'schen Ballbesitzfußballs zurückfordern.

"Ich habe große Bedenken, ob die Mannschaft das, was der Trainer will, machen will", urteilte Dietmar Hamann bei Sky nach dem 1:1 gegen Frankfurt dementsprechend hart. "Forsberg, Nkunku, Olmo - das sind filigrane Spieler. Die wollen nicht 90 Minuten dem Ball hinterherrennen." Es werde "unheimlich schwer" für Marsch, "wenn er mit dieser Philosophie weiter macht", so der Ex-Nationalspieler. Dann werde der Coach mit seinem Team "ein riesengroßes Problem bekommen".

Immerhin fehlt Messi

Das nächste riesengroße Problem heißt aber erst mal PSG. Gegen die Pariser kämpft RB wohl weiter mit der Marsch'schen Pressing-Philosophie um die letzte Chance auf die K.-o.-Runde. Ein wenig Hoffnung macht das starke Hinspiel an der Seine, das die Sachsen nach 2:1-Führung nur knapp mit 2:3 verloren. Gegen den Tabellenführer der Gruppe A darf es für Leipzig nicht noch eine Pleite geben, ansonsten ist das Achtelfinale futsch. "Wir geben noch nicht auf", steht auf der Klub-Webseite geschrieben.

Immerhin: Mit Lionel Messi fehlt einer der drei PSG-Superstars verletzt. Und bei den Sachsen ist der spanische Fußball-Nationalspieler Dani Olmo zurück, der gegen die Eintracht schon eine Minute Bundesligaluft schnuppern durfte, nach seiner langen Verletzungspause wegen eines Muskelfaserrisses im Oberschenkel. Ein Kandidat für die Startelf ist der EM- und Olympia-Teilnehmer aber sicherlich noch nicht.

Vielleicht klappt es ja gegen das Scheichteam aus Paris mit der vollen Fan-Unterstützung - obwohl es zuletzt immer wieder lautstarke Pfiffe der Fans gab. Dank der 2G-Regel werden erstmals wieder mehr als 40.000 Zuschauer ins Stadion gelassen, der stimmgewaltige Kurvenverein Rasenballisten kündigte nach eineinhalb Jahren Corona-Pandemie seine organisierte Rückkehr in die Arena an.

Quelle: ntv.de

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