Fußball

Chaos vor dem Afrika-Cup 2015 "Die Diktatur wird nichts manipulieren"

Äquatorialguinea ist die absolute Notlösung für den Afrika-Cup 2015. Die Wahl hat mehrere Geschmäckle und nicht nur sportliche Gründe.

Äquatorialguinea ist die absolute Notlösung für den Afrika-Cup 2015. Die Wahl hat mehrere Geschmäckle und nicht nur sportliche Gründe.

(Foto: AP)

Kurz vor Turnierstart gibt Deutschland plötzlich die Fußball-EM zurück und als neuen Ausrichter wählt die Uefa die Diktatur Weißrussland. Unvorstellbar? Realität beim Afrika-Cup 2015, der statt in Marokko nun im von Diktator Teodoro Obiang beherrschten Äquatorialguinea stattfindet. Im Interview erklärt Afrika-Experte Lutz Pfannenstiel, wie es zu dieser "seltsamen Entscheidung" kommen konnte, warum die Atmosphäre bei Besuchen im Ausrichterland beklemmend war, wieso das sportliche Niveau immer noch zwischen Weltklasse und Kreisklasse schwankt - und warum er den Afrika-Cup lieber nach Asien vergeben hätte.

Lutz Pfannenstiel ist Experte für internationalen Fußball.

Lutz Pfannenstiel ist Experte für internationalen Fußball.

Zwei Monate vor Beginn des Afrika-Cups 2015 wurde das Turnier von Marokko nach Äquatorialguinea verlegt. Was waren die Gründe für diese Entscheidung?

Offiziell war der Grund die Ebola-Problematik. Marokko hat sich entschieden, das Turnier nicht auszuführen, weil durch die Einreise der Mannschaften und auch der Zuschauer Probleme befürchtet wurden.

Überzeugt Sie dieser offizielle Grund nicht?

Ich finde, das hätte man vor allem wegen der Riesenentfernung von Marokko zu Ebola in Westafrika mit Einschränkungen bei den anreisenden Zuschauern regeln können. Wenn es wirklich extreme Bedenken geben würde, hätte der Afrikanische Fußballverband Caf das Turnier von alleine abgesagt. Ich denke, dass Marokko zum Schluss ganz froh war, dass sie durch die Ebola-Geschichte so aus der Nummer rausgekommen sind.

Der Welttorhüter

Lutz Pfannenstiel ist der erste Fußballer, der in seiner Karriere auf sechs Kontinenten gespielt hat: 25 Vereine in 13 Ländern - nachzulesen in "Unhaltbar - Meine Abenteuer als Welttorhüter". Seit seinem Karriereende verantwortete er unter anderem den Bereich International Relations und Scouting beim Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim. Er war von 2018 bis 2020 Sportdirektor beim Bundesliga-Traditionsverein Fortuna Düsseldorf. Seit August 2020 ist er Sportdirektor beim MLS-Verein St. Louis City SC.

Pfannenstiel ist zudem als TV-Experte für verschiedene nationale und internationale Sender wie ESPN, SRF, BBC und DAZN tätig. Er ist Auslandsexperte beim DFB und Trainerausbilder bei der FIFA. Pfannenstiel ist zudem der Gründer von Global United FC.

Warum?

Weil die Organisation und Vorbereitung in Marokko noch nicht ganz so perfekt war, wie es die Veranstalter geplant hatten. Dafür spricht, dass Marokko eine Verlegung des Turniers auf 2016 beantragt hatte. Aber da hat die Caf aufgrund der Werbeblöcke, der TV-Rechte  und der Tatsache, dass es dann 2016 und 2017 zwei Afrika-Cups hintereinander gegeben hätte, das Richtige gemacht. Der Kontinentalverband hat gesagt: Nein, der Cup muss 2015 stattfinden. So wurde er dann nach Äquatorialguinea verlegt …

… und Marokkos Team vom Turnier ausgeschlossen.

Dass sich die Caf einen Rückzieher zwei Monate vor Turnierstart nicht ohne Sanktionen gefallen lässt, war klar. Der marokkanische Fußball zahlt mit der Suspendierung den Preis dafür.

Mit Äquatorialguinea hat nun ein Land den Zuschlag erhalten, das 1.) von einem Diktator beherrscht wird, 2.) noch näher an der Ebola-Zone liegt und 3.) im Sommer wegen eines Regelverstoßes von der Qualifikation für den Afrika-Cup ausgeschlossen worden war. Erklären Sie uns das bitte.

Das kann man schon als eine etwas seltsame Entscheidung bezeichnen. Marokko hat das Turnier offiziell wegen Ebola-Gefahr abgegeben und jetzt ist man in ein Land gegangen ist, das viel näher am Ebola-Herd ist. Der große, ausschlaggebende Vorteil für die Caf war wohl, dass Äquatorialguinea relativ zeitnahe Afrika-Cup-Erfahrung hat. 2012 hat sich das Land das Turnier mit Gabun geteilt. Deswegen kann man Diktator Teodoro Obiang auch nicht als großen Grund dagegen anführen. Die Entscheidung wurde ja schon einmal getroffen und das Turnier ist damals gut verlaufen.

Was die Entscheidung nicht besser macht.

Das stimmt. Äquatorialguinea ist mit Sicherheit ein Land, das vor allem durch die Politik einen zweifelhaften Ruf hat. Dazu kommt die Geschichte mit extrem vielen eingebürgerten Spielern, aus Spanien, Kolumbien, Kamerun oder der Elfenbeinküste. Eine sehr bunte Mischung. Von vielen Ländern in Afrika wird das nicht gern gesehen, wenn nur eine Handvoll lokaler Spieler in der Nationalmannschaft spielt. Auch nicht, dass Äquatorialguinea eigentlich ausgeschlossen war. Aber der Gastgeber muss jetzt natürlich mitspielen, auch wenn das nicht unbedingt fair ist. Ich persönlich glaube, es hätte bessere Alternativen als Äquatorialguinea gegeben.

Pfannenstiel hat bislang von drei Afrika-Cups live berichtet - auch vom Turnier 2012, das in Gabun und Äquatorialguinea stattfand.

Pfannenstiel hat bislang von drei Afrika-Cups live berichtet - auch vom Turnier 2012, das in Gabun und Äquatorialguinea stattfand.

Sie meinen Katar, das lange im Gespräch war?

Die Caf hat sich mit verschiedenen afrikanischen Ländern unterhalten wie Südafrika. Aber die wollten das Turnier aufgrund der Kurzfristigkeit nicht unbedingt haben. Natürlich ist es schon etwas seltsam, einen Afrika-Cup in Katar, also in Asien, abzuhalten. Und Kameruns Nationaltrainer Volker Finke hat absolut recht, wenn er sagt: Ein Afrika-Cup gehört nach Afrika. Aber es ist leider nicht wie in Europa, dass du zweimal in die Hände klatschst und zehn Nationen hast, die das machen können. Aufgrund dieser einmaligen Notsituation, die in Europa ja undenkbar ist, wäre Katar eine gute Lösung gewesen. Da hätte ich gesagt: Das kann man einmal im Leben machen, um einen reibungslosen Ablauf des Afrika-Cups zu garantieren.

Caf-Präsident Issa Hayatou hat nach der Einigung mit Äquatorialguineas Diktator Teodoro Obiang "brüderliche und fruchtbare Gespräche" angeführt. Sie sind der Afrika-Experte – können Sie uns das übersetzen?

Ich glaube es ist offensichtlich, dass der Kontinentalverband mit dieser Einigung sehr zufrieden war.

Teodoro Obiang gilt als einer der brutalsten und korruptesten Diktatoren in Afrika. Welche Eindrücke hatten Sie, als Sie 2012 beim Afrika-Cup im Land waren?

Es war schwierig und ich war immer froh, wenn ich in Gabun war und nicht in Äquatorialguinea. Dort hat man sich immer sehr, sehr kontrolliert und eingeengt gefühlt. Das ging damit los, dass wir bei der Einreise teilweise am Flughafen abgefangen, in Autos oder Buse verfrachtet und direkt zum Stadion gebracht worden sind. Nach dem Spiel wurde man mehr oder weniger im Stadion abgeholt und direkt zum Flughafen gebracht. Es ist nicht gesagt worden, dass man nicht im Land rumlaufen soll. Aber es wurde einem schon relativ klar gemacht.

Auf welche Weise?

Durch die sehr große Präsenz des Militärs und der Polizei und die immer ganz klar sichtbaren Waffen. Ich habe eine Situation erlebt, wo meinem lokalen Fahrer mit dem Gewehrkolben ins Gesicht geschlagen wurde. Nur weil er an einer Straßensperre gewagt hat, zu fragen, ob er uns näher ans Stadion fahren darf. Auch in Gesprächen mit Einheimischen hatte ich immer das Gefühl, dass die Leute gar nicht mit mir kommunizieren wollen.

Pfannenstiel erwartet volle Stadien - auch weil das der Wunsch von Diktator Obiang ist.

Pfannenstiel erwartet volle Stadien - auch weil das der Wunsch von Diktator Obiang ist.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Wird sich das auf die Stimmung in den Stadien auswirken?

Dass die Stadien voll sein werden mit guter Atmosphäre, glaube ich schon. Erstens sind die Einheimischen große Fußballfans und zweitens wird den Menschen dort auch mitgeteilt, dass sie ins Stadion gehen sollen. Und da macht man das natürlich auch gern.

Wie sind die infrastrukturellen Voraussetzungen in Äquatorialguinea für ein Großturnier mit sechzehn Mannschaften?

In den beiden Hauptstadien von 2012 sind sie definitiv zufriedenstellend, beide vom Niveau her absolut ok. In den beiden anderen Stadien wird es schwierig, da beide keinen internationalen Standard haben. Das wird auch für die Mannschaften problematisch. Es ist auch eine absolute Wahnsinnsgeschichte, dass Topstars in solchen Stadien spielen müssen. Ein großes Problem wird auf jeden Fall die Unterbringung. Es sind einfach nicht genügend gute Hotels für 16 Mannschaften plus Funktionäre plus Presse vorhanden. Das wird also eine große Herausforderung, da muss improvisiert werden.

Wie sieht es mit den Straßen aus?

Die Straßen sind das nächste große Problem. Es wurde zwar groß verkündet, dass die Verbindung zwischen den Spielstädten gut ist. In der Hauptstadt ist die Straße vom Flughafen zum Stadion ganz vernünftig und auch ganz sauber. Aber abseits von diesen zwei, drei gut organisierten Hauptstraßen sieht es anders aus. Es ist generell nicht einfach in Afrika, aber in Äquatorialguinea ist alles noch ein bisschen komplizierter. Einen Stromausfall gibt es in Westafrika eben einmal am Tag, das ist ganz normaler Teil des Lebens. Auch wenn die größeren Mannschaften in besseren Hotels sind, kommt es vor, dass sich die Stars mal kalt duschen müssen und zwei, drei Stunden mit Kerzen oder Taschenlampen  rumlaufen..

Warum machen millionenschwere Weltstars das mit?

Alle Afrikaner sind sehr, sehr stolz, für ihr Land zu spielen. Auch Spieler, die bei Chelsea oder Arsenal spielen und das Beste vom Besten gewohnt sind, fahren mit stolzgeschwellter Brust  zum Afrika-Cup oder zu Qualifikationsspielen – selbst wenn sie auf einem Acker spielen müssen oder in einem Hotel ohne alles wohnen. Sie machen das für ihr Land und das ist teilweise sehr beeindruckend und berührend, was es für afrikanische Spieler immer noch bedeutet, die Fahne auf der Brust zu tragen.

BVB-Trainer Jürgen Klopp hat sich im Vorfeld besorgt wegen seines Stürmers Pierre-Emerick Aubameyang gezeigt. Wie wahrscheinlich ist wegen der Ebola-Gefahr eine kurzfristige Absagewelle der Stars?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Afrikaner haben die Einstellung, dass die Ebola-Epidemie gemeinsam besiegt werden muss, da stehen die Fußballer voll dahinter. Selbst wenn Klubs aus Europa Druck auf die Spieler machen, nicht anzureisen, kann ich mir nicht vorstellen, dass das oft passieren wird.

Die Gruppen beim Afrika-Cup 2015

Gruppe A: Äquatorialguinea, Burkina Faso, Gabun, Kongo-Brazzaville

Gruppe B: Sambia, Tunesien, Kap Verde, Kongo

Gruppe C: Ghana, Algerien, Südafrika, Senegal

Gruppe D: Elfenbeinküste, Mali, Kamerun, Guinea

Kommen wir zum Sportlichen: Wie lautet Ihr Fazit der Gruppenauslosung?

Es ist eine Hammerauslosung. In Gruppe A und B sind acht Mannschaften, von denen ich keine einzige auf meiner Liste fürs Halbfinale gehabt hätte. Und in den Gruppen C und D sind sieben Teams dabei, die das Turnier gewinnen können. Das ist schon eine brutale Auslosung und macht die Gruppenspiele sehr interessant. Und es erhöht die Chancen für die kleineren Länder, dass sie weit kommen und das Momentum mitnehmen können.

Sie sind guten Glaubens, dass alles Zufall war?

Die Auslosung? Ich gehe davon aus, dass diese definitiv sauber war.

Erwarten Sie Einflüsse dadurch, dass das Turnier in einer Diktatur stattfindet? Stichwort Argentinien 1978.

Nein, da sehe ich einfach bestimmte Mannschaften zu stark, als dass man da irgendwie hineinpfuschen könnte. Natürlich ist es immer so, dass der Gastgeber bei der einen oder anderen Entscheidung den Heimvorteil genießt. Aber in Äquatorialguinea wird sich die Diktatur auf keinen Fall negativ einbringen und versuchen, da irgendwas zu manipulieren. Dafür ist das eigene Team vom Fußballniveau einfach nicht stark genug.

Wie steht es um das fußballerische Gesamtniveau beim Afrika-Cup?

Das schwankt immer noch von Weltklasse bis Kreisklasse. Da siehst du teilweise Weltklasseaktionen, und zwei Minuten fasst du dir schon wieder an den Kopf. Die schlechteren Mannschaften beim Afrika-Cup wären in Deutschland maximal eine unterdurchschnittliche Zweitligamannschaft, während bei WM-Teilnehmern wie der Elfenbeinküste Spieler dabei sind, die bei europäischen Spitzenteams spielen. Im Vergleich mit einer EM hängt der Cup vom Niveau weit hinterher. Aber früher war alles noch mehr auf den Zufall und das rohe Talent ausgelegt. In den letzten vier Turnieren hat sich das taktische Element aber schon sehr, sehr stark verbessert.

Mit Lutz Pfannenstiel sprach Christoph Wolf

Mehr vom Welttorhüter gibt es auch bei Twitter.

Quelle: ntv.de

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