Fußball

Köster verteidigt Ancelotti Die Finger-Ermittlung stinkt, lieber DFB!

Der Signore hat ein Zeichen gesetzt.

Der Signore hat ein Zeichen gesetzt.

(Foto: imago/MIS)

Die Aufregung um Carlo Ancelottis Mittelfinger wirft die Frage auf, was wohl als nächstes von der DFB-Benimmschule sanktioniert wird: abschätzige Blicke, hochgezogene Augenbrauen und leichtes Aufstoßen? Höchste Zeit, sich abzuregen.

So kann man sich täuschen. Hätte man ja nicht gedacht, dass Carlo Ancelotti, der gemütliche italienische Signore auf der Bayern-Bank, sich am Samstag im Berliner Olympiastadion tatsächlich zu einer abfälligen Geste hinreißen lassen würde, bloß weil ihn gegnerische Anhänger zuvor angepöbelt haben. Wo er doch immer so viel ausgeglichener wirkte als der hektische Vorgänger. Und wo doch Ancelotti schon in Spanien und Italien gecoacht hat, wo die Anhänger mental noch ein wenig heftiger den Turbo anwerfen.

Philipp Köster.

Philipp Köster.

(Foto: imago/STAR-MEDIA)

Noch viel weniger allerdings hätte man gedacht, dass der DFB-Kontrollausschuss anschließend tatsächlich den Italiener zur Abgabe einer Stellungnahme auffordern würde. Zu einem kurzzeitig gereckten Mittelfinger! Nicht ganz klar deshalb, ob sie in der Presse-Abteilung des FC Bayern wohl leise gekichert haben, als sie postwendend zurück an den Fußballbund kabelten: "Der Cheftrainer des FC Bayern wird dieser Aufforderung selbstverständlich nachkommen".

Denn das dürfte doch ein humoristisches Meisterwerk werden, wenn Carlo Ancelotti den ausgestreckten Finger jugendfrei ausdeutet ("Einen Capuccino bitte!" oder "Wie sind immer noch Erster!" oder "Ein Punkt bei der Hertha ist völlig in Ordnung") Oder er noch einmal zwecks Beweisführung dem hohen Gericht die einschlägige Geste präsentieren wird, was womöglich dann als neuerliche Beleidigung gewertet werden könnte. So oder so erscheint es unwahrscheinlich, dass Ancelotti jemals wieder auf die Bayern-Bank zurückkehren wird – zu schwer das Vergehen, zu uneinsichtig der Trainer.

Lasst die Hände in der Hosentasche!

Zur Person: Philipp Köster

Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Chefredakteur und Herausgeber des Fußballmagazins "11 Freunde". In seiner Kolumne "Kösters Direktabnahme" greift er jeden Dienstag für n-tv.de ein aktuelles Thema aus der Welt des Fußballs auf. Zudem ist er seit der Saison 2016/17 Bundesligaexperte von n-tv.

Aber ernsthaft: Dass der Fußballbund es für angebracht hielt, Ermittlungen auch nur zu erwägen, ist eine Farce. Eine spontane Geste in einem hochemotionalen Umfeld, offenbar als Reaktion angepöbelt von Anhängern, - da stellt sich die Frage, was als nächstes Gegenstand sittenpolizeilicher Ermittlungen wird. Sollten die Übungsleiter in Zukunft sicherheitshalber die Hände in den Hosentaschen lassen? Müssen sich Trainer in Zukunft vorsehen, nicht allzu abschätzig in Richtung Schiedsrichter zu blicken? Und genügt demnächst eine abwinkende Handbewegung, um vors Sportgericht gezerrt zu werden?

Natürlich hat das alles System. Die Trainer im Profifußball sind über die Jahre ohnehin schon weitgehend domestiziert worden. Wie Zootiere im Außenbereich stiefeln die Coaches durch die abgekreidetem Coachingzonen und werden von Aufpassern strafend angestiert, wenn sie mal versehentlich die Linie übertreten. Statt der früher üblichen Trainingsanzüge werden heute schlechtsitzende Jackets aufgetragen. Mikrofone übertragen jeden Laut, den die Trainer im Laufe der neunzig Minuten von sich geben und dienen als gerichtsfeste Beweismittel, wenn mal jemandem eine harmlose Beleidigung entfleucht. Leverkusens Coach Roger Schmidt kann ein Lied von der Totalüberwachung singen.

Die Erinnerung, dass es im Fußballstadion womöglich ein wenig rauer zugeht als im großen Saal der Elbphilharmonie, geht aber auch an Zuschauer und Medien. Dass über mehrere Tage nur wenig über taktische Aspekte des Spiels der Dortmunder Borussia gegen Leipzig debattiert wurde und stattdessen eine leicht schadenfrohe Geste von Dortmunds Coach Thomas Tuchel auf allen Sendern in Endlosschleife lief, macht klar, dass in der öffentlichen Diskussion die Maßstäbe ein wenig verrutscht sind. Was früher der berüchtigte Schwenk auf die gelangweilte Spielerfrau auf der Tribüne war, ist heute die Extrakamera für die Trainerbank.

Höchste Zeit also, sich wieder zu beruhigen. Oder um es mit Ancelottis Geste vom Samstag zu sagen: "Einen Capuccino bitte!"

Quelle: ntv.de

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