Fußball

Wer soll da noch mithalten? Die saudische Maßlosigkeit erschüttert den Fußball

Einst königlich, jetzt saudisch: Cristiano Ronaldo und Karim Benzema.

Einst königlich, jetzt saudisch: Cristiano Ronaldo und Karim Benzema.

(Foto: imago/Agencia EFE)

Die Transferoffensive der Fußballklubs aus Saudi-Arabien sprengt alle Grenzen. Lediglich an Lionel Messi und am derzeit wertvollsten Spieler der Welt, an Kylian Mbappé, beißen sich die Vereine die Zähne aus. Für den Fußball ist die ungeahnte Maßlosigkeit keine gute Nachricht.

Man hat sich dran gewöhnt. Beinahe jeden Tag zieht es einen Fußballer mit klangvollem Namen nach Saudi-Arabien. Auch ein paar Vereinsnamen sind mittlerweile geläufig: Al-Nassr, Al-Hilal oder Al-Ettifaq. Wo noch vor Wochen noch ungläubiges Staunen war, herrscht nun gleichgültiges Achselzucken. Nicht einmal die aufgerufenen Summen sorgen noch für Empörung. Eher für Belustigung. Etwa, dass das wildgewordene Al-Hilal dem katarisch-französischen Giganten Paris St. Germain 300 Millionen Euro Ablöse für Kylian Mbappé bot und 700 Millionen Euro Gehalt - pro Jahr. Eine super Geschichte. Noch besser nur, dass der Franzose abgelehnt hat.

Er gehört damit zu einem elitären Kreis von Spielern, die dem maßlosen Werben der saudischen Klubs nicht erliegen. Zweiter prominenter Vertreter ist Lionel Messi. Ein weiterer: Heung-Min Son. Er will in der Premier League bleiben. Messi zog die gigantische Offerte von Inter Miami der womöglich noch gigantischeren Offerte von Al-Hilal vor. Was für ein Leben. Und Al-Hilal? Verbuddelt sich nicht im Wüstensand, sondern buhlt nach den Absagen der beiden Superstars einfach um den nächsten. Victor Osimhen soll es nun werden. Der überragende Stürmer der SSC Neapel, der ganz Europa wuschig machte, unter anderem den FC Bayern. Doch die Münchner winkten in Person von Klubvater Uli Hoeneß ab. Zu teuer!

Zwei Worte, die es im saudischen Fußball-Wortschatz nicht gibt. Zumal sie sich nicht einer Regelung wie dem Financial Fairplay der UEFA unterwerfen müssen. 140 Millionen Euro soll Al-Hilal jetzt etwa für die Nigerianer Osimhen geboten haben. Klar, das Geld spült in den Markt, es landet bei den Vereinen. Die werden reicher, aber holen in der Preisspirale, im Kampf um neue Stars trotzdem kaum auf. Wer soll da noch mithalten?

Mané steigert sein Gehalt massiv

Die Lage wäre gänzlich anders, wenn lediglich die klappernden Altmeister des Spiels mit prallgefüllten Satteltaschen in ihren fußballerischen Sonnenuntergang reiten würden. Doch längst trampeln die Funktionäre wie die wilden Stiere über Europas Fußball-Weiden und nehmen sich, was sie kriegen können. Zu teuer? Iwo! Spieler im besten Alter wechseln, wie Liverpools Fabinho (29) oder der 41-fache portugiesische Nationalspieler Ruben Neves (26). Auch Sadio Mané, der gescheiterte Weltstar des FC Bayern, hat einen Vertrag bei Al-Nassr unterschrieben. Mit 31 Jahren hätte er trotz seiner traurigen Zeit in München sicher noch gute Möglichkeiten in Europa gehabt. Er selbst hat den Wechsel nicht forciert, er wäre gerne beim Rekordmeister geblieben. Kleiner Trost: Statt angeblich "nur" 25 Millionen Euro brutto pro Jahr soll er künftig 40 Millionen Euro netto verdienen. Wer soll da noch mithalten?

Die Bundesliga? Eher nicht. Borussia Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl warnte im "Kicker"-Interview vor den Folgen der finanziellen Exzesse. Es zeichne sich ab, "dass die Lücke zwischen den englischen Klubs und dem Rest Europas noch einmal gewachsen ist. Und jetzt kommt in Saudi-Arabien noch ein weiterer Player hinzu, der mit so viel Geld um sich wirft, dass einem nahezu schwindlig wird". Das sei rational nicht mehr zu begründen. "Diese Summen, die speziell in Saudi-Arabien gezahlt werden, zu erklären, ist schlicht nicht möglich. Sie verändern den Markt und machen es uns noch schwerer, zu agieren." Es würden "ja inzwischen nicht mehr nur Altstars dorthin gehen, sondern auch jüngere Spieler. Wenn sich das so fortsetzt, entwickelt sich der Fußball in eine Richtung, die ihm ganz sicher großen Schaden zufügen wird".

Bayern Münchens Trainer Thomas Tuchel mag derweil noch nicht einschätzen, wie diese enthemmte Lage den Fußballmarkt beeinflussen wird. "Ich habe keine wirklich schlaue Antwort auf die Frage", bekannte er während der Asienreise der Bayern in Singapur. "Es ist eine sehr neue Situation, ähnlich der, als China seine Liga startete. Es ist jetzt eine Art ähnlicher Goldrausch dort. Es ist die nächste Liga, die versucht, populärer und zu einer Marke zu werden. Sie haben viele Spieler überzeugt, viele Qualitätsspieler - und sogar Trainer." Es sei eine komplett neue Situation. "Und es ist zu früh für mich, dazu eine klare Meinung zu haben." Er sei ein Beobachter der aktuellen Entwicklungen, "ein überraschter Beobachter".

Der Fußball droht auf eine Einbahnstraße abzubiegen. Wer einmal der Maßlosigkeit verfallen ist, scheint kaum mehr tauglich für eine Rückkehr und Integration auf den westlichen Arbeitsmarkt. Den saudischen Machern kann das egal sein, die Grenzsprengung der Gehälter ist für sie auch Mittel, die eigene Attraktivität abzusichern. Ansonsten bleiben als Konkurrenten nur noch die Klubs, die im Besitz von Oligarchen oder Staaten sind. Wie Paris St. Germain, wie Manchester City oder wie Newcastle United, das dem saudischen Staatsfond PIF gehört. Und bei den eigenen Fans große Euphorie auslöst. Der Klub (Newcastle) feiert eine bemerkenswerte Auferstehung. In Deutschland wäre das kaum vorstellbar. Die Ablehnung von Investoren in den Fankreisen ist gigantisch, zuletzt eindrucksvoll demonstriert beim gescheiterten Versuch der DFL, einen externen Milliardendeal einzufädeln.

Per Donnerschlag zum Premiumprodukt

Ein Ende der Maßlosigkeit ist nicht in Sicht: Erst die alten Weltstars um Ronaldo und Karim Benzema, dann die internationalen Topspieler wie N'Golo Kanté, Roberto Firmino oder Riyad Mahrez und nun rücken die Stars der aktuellen Generation in den Fokus. Die saudische Transferoffensive ist der bislang größte und spektakulärste Versuch, eine bedeutungslose Liga per Donnerschlag zum Premiumprodukt der Sportart umzubauen. Vor ein paar Jahren hat China einen ähnlichen Versuch unternommen, aber weniger wuchtig - und ist schließlich schnell gescheitert. Auch weil die Regierung den Kaufrausch der Vereine mit Blick auf die eigene Nationalelf durch Luxussteuer und strikte Ausländerbeschränkung einbremste und damit die Liga letztlich killte.

Ob sich die Geschichte in Saudi-Arabien wiederholt? Der Atem der Liga scheint lang, der Plan des Königreichs viel größer. Das Fußballprojekt gehört zur Räson eines Staates, der in den vergangenen zwei Jahren rund sechs Milliarden Euro und damit das Bruttoinlandsprodukt Montenegros in "Sportswashing" investiert hat. Kronprinz Mohammed bin Salman will sein Land und die Welt des Sports verändern - grundlegend. Das Machtzentrum soll sich von Europa in sein Königreich verlagern. Und sogar in der Politik sehnt sich das Land immer stärker nach einer Führungsrolle, richtet am Wochenende eine Konferenz als Vorbereitung auf Friedensgespräche für die Ukraine aus.

Als Vehikel dazu dient der schier unerschöpflich erscheinende Staatsfonds PIF (Public Investment Fund). Bis zu 600 Milliarden Euro sollen sich in dem Topf befinden, Einnahmen aus den sprudelnden Ölquellen. Fünf Klubs haben bereits Zugriff auf die finanziellen Mega-Ressourcen. Doch es ist längst nicht mehr nur der Fußball, der einverleibt werden soll. Gigantische Boxkämpfe wurden und sollen weiter auf dem Wüstenboden ausgetragen werden, die Formel 1 dreht ihre Runden in Dschidda, auch die Golfelite bedient sich mittlerweile komplett am "Blutgeld" aus Saudi-Arabien. Die Moral? Egal. Weiter geht's: Der Radsport ist bereits im Visier, unter anderem das Superteam von Tour-Sieger Jonas Vingegaard Jumbo-Visma und auch der Tennissport wird umworben.

Im Land zählen Menschenrechte kaum. Im aktuellen Ranking zur Pressefreiheit liegt das Land auf Platz 170, nur zehn Nationen werden noch miserabler eingestuft. Es gibt Hinrichtungen und Auftragsmorde, wie jenen an Journalist und Regimekritiker Jamal Kashoggi. Die Investitionen in den Fußball und Co. sind Sportswashing, als Vehikel nach außen. Und eine Art Gesellschaftsvertrag nach innen. Die junge Bevölkerung sehnt sich nach Events und Stars. Dafür lehnt sie sich nicht gegen das repressive System nicht auf, protestiert nicht. Der Arabische Frühling 2011 ist schließlich immer noch präsent – als Bedrohung für die Herrschenden.

Die FIFA findet's klasse

Das Prestige-Projekt aber bleibt der Fußball. Der Sport, der die Welt am meisten fasziniert. Und der der Nationalmannschaft bei der WM in Katar einen großen Sportmoment bescherte. Als einzige Nationen feierten sie im Turnier einen Sieg gegen Weltmeister Argentinien.

Und die Saudis haben einen mächtigen Verbündeten. Die FIFA. Präziser: FIFA-Boss Gianni Infantino. Die sich ständig wiederholende und sehr wohlwollende Darstellung Saudi-Arabiens durch den Weltverband kommt nicht von ungefähr. Immer enger werden die Verbindungen zwischen dem Schweizer Patriarchen und dem saudischen Kronprinzen. Die von Infantino so herbeigesehnte Machbarkeit einer Weltmeisterschaft im Zweijahres-Rhythmus wurde ganz zufällig vom Königreich beantragt, die Vergabe der Klub-WM liefert weitere Indizien für diese bizarre Partnerschaft.

Und auch hier ist ein Ende nicht in Sicht, aber ein nächster Fixpunkt bereits angepeilt: 2034 will Saudi-Arabien die Weltmeisterschaft ausrichten. Auf dem Weg zu diesem Ziel gehen sie strategisch vor. Da sie ihrer eigentlich geplanten Bewerbung für 2030 angesichts der namhaften Konkurrenz nur wenig Chancen einräumen, haben sie ihren anvisierten Co-Gastgebern Ägypten und Griechenland angeblich abgesagt. Parallel dazu gibt es Gerüchte, dass die FIFA ihre Machtzentrale ins Königreich verlegen könnte - der Fußball verändert sich. Wie weit der Weg vom Traum zur Top-Liga ist, hat sich allerdings am Wochenende gezeigt. Al-Ahli, die neue Mannschaft von Roberto Firmino und Salzburg-Coach Matthias Jaissle verlor mit 2:6 gegen Bundesliga-Aufsteiger Heidenheim. Deren Trainer Frank Schmidt bekannte danach: "Das war heute leider nicht der erhoffte Test für uns. Der Platz stand am Ende komplett unter Wasser, sodass kein richtiges Fußballspiel mehr möglich war. Insbesondere aber die Qualität des Gegners war nicht das, was wir als Herausforderung im Trainingslager brauchen."

Quelle: ntv.de

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