Beim FC Bayern brennt's wieder Die unabsehbaren Folgen des Hoeneß-Angriffs
28.04.2024, 09:39 Uhr
Uli Hoeneß hat mal wieder einen rausgehauen und Tuchels Einstellung zur Talenteentwicklung kritisiert.
(Foto: IMAGO/Lackovic)
Der FC Bayern sucht nach wie vor einen neuen Trainer, während Noch-Amtsinhaber Thomas Tuchel auf ein versöhnliches Ende seiner Zeit beim Rekordmeister zusteuert. Das dachte man zumindest, doch dann kommt am Freitagabend Uli Hoeneß um die Ecke.
Es gibt in dieser niemals ruhigen Saison des FC Bayern auch auf den letzten Metern noch seltsame Wendungen. Doch bevor es um Uli Hoeneß geht, muss man erstmal über Dietmar Hamann sprechen. Der ehemalige Profi des Rekordmeisters ist in seiner Rolle als Sky-Experte zur Persona non grata für die Münchner geworden. Und ganz besonders für deren Noch-Trainer Thomas Tuchel. In einem bemerkenswert offensiven Zank unterhielten beide die Fußball-Nation in der Hinrunde. Und nun, bevor es für Tuchel in ein paar Wochen nicht mehr weitergeht an der Säbener Straße, kommt es quasi zur unausgesprochenen Verbrüderung.
Hoeneß hatte Tuchel am Freitagabend öffentlich abgewatscht, als er dessen angebliche Einstellung oder Nicht-Einstellung zur Entwicklung von Talenten kritisierte. Ohne jede Not stellte er den Trainer an den Pranger, der die erste titellose Saison seit Ewigkeiten noch verhindern soll. Und das mit der größtmöglichen Trophäe: mit einem Triumph in der Champions League. Am Dienstagabend kommt es zum ersten Halbfinal-Duell mit Real Madrid. Doch die Vorfreude auf das Gigantenduell wird von der überraschenden Hoeneß-Attacke komplett aus dem Rampenlicht gestoßen. Tuchel wehrte sich am Samstagnachmittag gegen die "haltlosen" Vorwürfe, gegen die Anschuldigungen, die "meilenweit" von der Realität entfernt seien und fühlt sich in seiner "Trainerehre verletzt".
"Wenn es nicht klappt, sollte man einen anderen kaufen"
Hoeneß war von einem Podiumsgespräch der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit den brisanten Sätzen zitiert worden, Tuchel habe "eine andere Einstellung. Er meint nicht, dass er einen (Alphonso) Davies, (Aleksandar) Pavlovic oder (Jamal) Musiala verbessern kann. Wenn es nicht klappt, sollte man einen anderen kaufen." Der mächtige Boss wiederum meinte, "man sollte hart an ihnen arbeiten und ihnen Selbstvertrauen geben". Bereits im Herbst hatte Hoeneß den Coach laut zurückgepfiffen und ihm öffentlich vorgeworfen, dass er seine ständigen Klagen über den Kader (vor allem die Breite) und verpasste Wunschtransfers (die "Holding Six" ist das Stichwort) im Sommer endlich einstellen möge.
Tuchel zählte nun zur Verteidigung beispielhaft Namen von jungen Fußballern auf, die er bei seinen Stationen beim FSV Mainz 05, bei Borussia Dortmund, bei Paris Saint-Germain und beim FC Chelsea gefördert hatte. Und in München geht ja tatsächlich vor allem die Entwicklung Aleksandar Pavlovics auf das Konto des Trainers. Vom Nachwuchsspieler reifte er zu einem Kandidaten für den deutschen EM-Kader. "Einen Pavlovic hat vor Tuchel keiner gekannt. Er hat jetzt 20 Spiele, wurde in die Nationalmannschaft einberufen", befand Hamann.
Hamann, ausgerechnet Hamann, sprang Tuchel bei: "Man kann nur Mitgefühl mit ihm haben. Das ist vielleicht nur ein kleiner Einblick, was er schlucken musste hinter den Kulissen." Dass das mehr war, als Tuchel vertragen konnte, hatte er zuvor angedeutet: "Wenn ich das auch noch herunterschlucken muss, dann schlucke ich das runter. Schwamm drüber. Ich habe schon zu viel darüber geredet." Aber Schwamm drüber, das klappte eben nicht. Auch nach dem Sieg gegen Eintracht Frankfurt (2:1) blieb die Kritik von Hoeneß das Thema. Tuchel klagte: "Es stehen zehn unglaublich wichtige Tage an. Es gibt keinen schlechteren Zeitpunkt für Nebenschauplätze." Und längst wird der Zoff nicht mehr auf der kleinen Bühne aufgeführt, die Münchner haben ein übergroßes Thema für die nächsten Tage. Und womöglich darüber hinaus.
Thomas Müller war's "scheißegal"
Welche Dimension die Sätze von Hoeneß haben, das ist noch nicht absehbar. In München sind sie aber eiligst bemüht, das Thema so klein wie möglich zu halten. Wohl auch in dem Wissen, dass das nicht gelingen wird. Dem Routinier Thomas Müller war's "scheißegal". Er sah die Medien als Brandbeschleuniger. Die Nebengeräusche entstünden, "weil ihr uns die ganze Zeit danach fragt". Sportvorstand Max Eberl sagte nach dem Sieg gegen die Eintracht: "Die Mannschaft hat gezeigt, dass es sie nicht beeinflusst. Der Trainer hat gezeigt, dass sie es nicht beeinflusst und uns auch nicht. Das werden zwei Männer miteinander besprechen und dann ist die Sache erledigt." Ob das wirklich so einfach ist? Tuchel hatte am Samstagnachmittag, noch vor dem Anpfiff, angedeutet, dass er an einer Aussprache mit der mächtigen Instanz vom Tegernsee nicht interessiert ist. Hoeneß Wort hat immer noch die Wucht, Laufbahnen zu beschädigen. Oder wie der Sportinformationsdienst martialisch schreibt: Das Wort hat die Wucht, Karrieren sogar zu zerstören.
So viel Feuer in Tagen, in denen sich die Flächenbrandlage beim FC Bayern doch eigentlich beruhigt hatte. Nach den starken Leistungen im Viertelfinale der Königsklasse gegen den gehypten FC Arsenal hatten der Coach seine Reputation und die Mannschaft ihr Selbstvertrauen zurückgewonnen. Nach dem zweiten Spiel entstand ein viel beachtetes Bild, vom ausgelassen jubelnden Tuchel mit seiner ausgelassen jubelnden Mannschaft. Auf den letzten Metern des gemeinsamen Wegs schien doch noch zusammenzuwachsen, was bislang keine Wurzeln geschlagen hatte. Für das große Ziel, für Wembley und den Champions-League-Sieg, war das wichtiger Dünger.
Hoeneß lobt Alonsos Charakter - wegen Bayern-Absage
Nun hat Hoeneß den Mähdrescher ausgefahren. Und keiner weiß, warum. Dass diese Sätze einfach so gefallen sind, aus einer Plauderlaune heraus, ist kaum vorstellbar. Zu oft hatte Hoeneß in seinem Wirken Nachweise erbracht, wie perfekt er das Spiel mit Nebelkerzen und verbalen Attacken beherrscht. Wollte er Tuchel noch schaden? Für all dessen öffentliche Kritik der vergangenen Monate, die den FC Bayern nicht immer gut hatte dastehen lassen? Wollte er verhindern, dass die Diskussion um die Petition zum Verbleib des Trainers aus dem Fokus rückt? Wollte er einem neuen Mann den Weg weisen? Noch immer ist ja nicht klar, wer Tuchel beerbt. Die Suche ist zermürbend und zäh. Ralf Rangnick soll es werden, aber nur als dritte Wahl, wie Hoeneß jetzt ebenfalls freimütig verkündet hatte. Auch ein Satz, der den neuen Coach in seiner Autorität mindestens leicht beschädigt. Rangnick hat sich, so heißt es, noch nicht entschieden, ob er das Angebot annimmt. Ob der offensive Hoeneß-Auftritt Folgen hat? Immerhin dürfte ihm nun überdeutlich klar sein, wer die Macht beim Rekordmeister hat.
Als Wunschtrainer geht Rangnick nun nicht mehr durch. Der war eigentlich Xabi Alonso, der Meistercoach von Bayer 04 Leverkusen. Den lobte Hoeneß im Übrigen für seinen Charakter, dass er nicht zum FC Bayern kommt. Der Bayern-Patriarch berichtete, dass seine Frau Susanne bereits geahnt habe, dass Alonso nicht kommt. "Meine Frau hat gleich gesagt: Wenn er Charakter hat, kommt er nicht, und wenn er keinen Charakter hat und zusagt, dann ist er nicht der richtige Trainer für euch", erzählte der 72-Jährige: "Und sie hat wie immer recht behalten." Wieder eine Ansage, deren Wirkung nicht absehbar ist. Empfindet Hoeneß es als charakterschwach, wenn ein Trainer aus einem laufenden Vertrag aussteigt und der Bayern-Offerte erliegt? Puh, schwierig. In München werden sie sich auch fragen müssen, warum niemand aus der neuen Chefetage den Ehrenpräsidenten zurückpfeift. Warum niemand ihn dazu bewegt, die Dinge, die wieder mal aus dem Ruder gelaufen sind, einzufangen. Wie auch immer.
Hamann findet: "Mich würde es wundern, wenn Hoeneß nicht versucht, das richtigzustellen in der nächsten halben Stunde oder Stunde. Wenn das nicht kommt, weiß ich nicht, wie es in dem Verein weitergehen soll."
Quelle: ntv.de