Fix: Die Challenge kommt nicht Dieses System hätte Stegemann beschützen können
06.05.2023, 07:12 Uhr
Der BVB konnte die Entscheidung von Schiri Stegemann nicht fassen.
(Foto: IMAGO/Team 2)
In Fußball-Deutschland werden die Rufe nach einer Challenge für Trainer samt Videobeweis lauter. Doch das internationale Regelgremium IFAB macht derlei Pläne zunichte. Dabei würde ein neues System für mehr Ruhe am Spielfeldrand sorgen - und Schiedsrichter entlasten.
Neues Wochenende, neuer Ärger. Im Zentrum: Ein Schiedsrichter. Fußball-Deutschland regt sich über nichts und niemanden lieber auf. Das gilt für die Bundesliga-Arena wie den Dorf-Acker. Auch an diesem Samstag und Sonntag wird es wieder so weit sein. Hier ein nicht gegebener Handelfmeter, dort eine "klare Rote Karte", die nicht gezogen wird. Jetzt, da die höchste deutsche Spielklasse auf die Zielgerade einbiegt, kochen die Emotionen besonders hoch. So geschehen am vergangenen Freitag in Bochum, als Referee Sascha Stegemann Borussia Dortmund einen doch sehr deutlichen Elfmeter verweigerte, und hernach von BVB-Fans auf schlimmste Weise bedroht worden war.
Weil Stegemann, der an Tag nach der Entscheidung seinen Fehler eingestand, sich nicht mal in die Review-Area bewegte, der Kölner Keller wies ihn auch nicht an, um das Foul von Danilo Soares an Karim Adeyemi zu überprüfen, werden nun die Rufe nach einer Challenge laut. Die gab es schon mal, als der VAR eingeführt wurde. Ist die Challenge samt Videobeweis eine Verbesserung, die der Fußball braucht? Selbst wenn, die internationalen Regelhüter, das International Football Association Board (IFAB), lehnen das System ab. Ein Sprecher des Regelgremiums erklärt gegenüber ntv.de: "Die Einführung einer Challenge-Option steht aktuell nicht zur Diskussion, da alle Vorfälle automatisch vom Videoassistenten überprüft werden."
Challenge ist Englisch und steht für Anfechtung. Einer strittigen Entscheidung kann damit widersprochen werden, wodurch sie per Videobeweis überprüft und gegebenenfalls richtiggestellt werden kann. Im Hockey und in den US-amerikanischen Profiligen NFL (American Football) und NBA (Basketball) ist die Challenge längst Standard. Sie geht so: Jede Mannschaft hat eine gewisse Anzahl an Anfechtungen pro Spiel oder Halbzeit und wirft dafür, so etwa in der NFL, eine rote Flagge auf das Feld. Wird zugunsten des Teams entschieden, wenn die Beweislast die Entscheidung auf dem Platz eindeutig widerlegt, erhält es die Challenge zurück. Es ist zudem klar definiert, was angefochten werden kann und was nicht. Im Fußball wären das angelehnt an die VAR-Regeln nur Tore, ein mutmaßliches Foul oder Handspiel im Strafraum und Situationen mit Roten Karten.
"Würde Problem der Eingriffsschwelle lösen"
Mit Blick auf die Situation in Bochum, die dem BVB wichtige (womöglich sogar entscheidende) Punkte in der Meisterschaft kostete, sagte Dortmund-Trainer Edin Terzic am Freitag wenig überraschend: "Ich bin dafür, dass man alles versucht, den Sport, den wir so lieben, einfach gerechter zu machen. Wenn es das ist, was uns hilft, sollte man definitiv darüber nachdenken". Unter der Woche erklärte auch Jürgen Klopp gegenüber dem "Kicker": "Eine Challenge wäre die Lösung, so etwas in Zukunft zu vermeiden." Es gäbe viele gute Beispiele, "wie das funktionieren kann" so der Coach des FC Liverpool. "Im Hockey etwa hat sich die Challenge längst bewährt." Der frühere FIFA-Schiedsrichter Urs Meier pflichtete dem ehemaligen Dortmunder Trainer gegenüber "ran" bei: Challenges seien "etwas Sinnvolles. Mit der Reglementierung einer Challenge pro Halbzeit. Und wenn diese dann aufgebraucht sind, dann hat man halt Pech gehabt."
Fest steht: Seit der Einführung des VAR zur Saison 2017/18 läuft immer noch vieles nicht rund. Viele Fans wünschen sich die Zeit ohne den Kölner Keller zurück. Denn auch wenn auf dem Papier deutlich beschrieben ist, wann eine Überprüfung durch den VAR geboten ist, die Realität sieht anders aus: voller Grauzonen und Emotionen, mit der einen oder anderen Fehlentscheidung. Dass der VAR wieder abgeschafft wird, ist aber nicht realistisch. Doch Eingriffe und Abläufe können und sollten definitiv verbessert und transparenter gestaltet werden. Hierfür wäre die Challenge durchaus sinnvoll.
Auch manche Kritik ist nicht nachvollziehbar. FIFA-Schiedsrichter Felix Brych hält die Challenge für "schwierig", weil "wir viel zu viele Szenen im Graubereich haben, die ja trotzdem jemand entscheiden muss", wie Brych im Podcast "kicker meets DAZN" sagte: "Challenge heißt ja nicht, dass du sofort recht bekommst. Du musst dann auch jemanden haben, der dir recht gibt." Ein Allheilmittel ist die Challenge natürlich nicht, aber wie oft ist es vorgekommen, dass ein Schiedsrichter sich eine Szene nicht auf dem Bildschirm anschaut. Der Wut der Bank könnte vorgebeugt werden, die Trainer hätten ein Werkzeug in der Hand, um zumindest die Überprüfung zu erzwingen. Genau dieses "Schau' es dir doch wenigstens mal an" ist oftmals die Forderung.
Die Challenge "würde das Problem der Eingriffsschwelle lösen, weil eine Intervention dann nicht mehr davon abhinge, ob der VAR eine Entscheidung als klar und offensichtlich falsch bewertet", sagt Alex Feuerherdt gegenüber ntv.de. Der Schiedsrichter-Experte von "Collinas Erben", meint, die Challenge könnte durchaus "eine Idee sein", denn die "Unparteiischen und ihre Video-Assistenten wären von der Bürde befreit, in einem großen Graubereich festlegen zu müssen, wann die Grenzen zu Schwarz und zu Weiß überschritten sind."
Mehr Ruhe durch die Challenge?
Schiedsrichter, auf denen sowohl in der Bundesliga als auf dem Acker großer Druck lastet, würden mit dem neuen System zumindest in den oberen Spielkassen also sogar ein wenig entlastet. Kritik, dass ihre Autorität untergraben würde durch die Challenge, ist zu altbacken gedacht: Diese Kritik gab es bei der VAR-Einführung auch. Neue Techniken und Regeländerungen als Hindernisse und nicht als Hilfsmittel ansehen, bringt die Bundesliga nicht weiter.
Feuerherdt sieht aber ebenfalls Nachteile: "So könnte etwa ein gravierender Fehler nicht mehr überprüft werden, wenn alle Challenge-Möglichkeiten in Anspruch genommen wurden. Und natürlich gäbe es auch weiterhin Diskussionen über die finale Entscheidung, die der Referee nach dem Gang an den Monitor trifft." Letzteres lässt sich wohl nie komplett abstellen. So ist Fußball schließlich. Die Challenge könnte jedoch auf lange Sicht für mehr Ruhe sorgen, weil die Teams wissen, dass sie diese Mittel in der Hinterhand haben und weil sie sich zumindest bis zu einem gewissen Grad an die eigene Nase fassen müssten, wenn die Experten dann konträr zur eigenen Sicht entschieden.
Auch die Kritik, das Spiel würde zu oft und zu lange unterbrochen, zieht nicht: Seit der VAR-Einführung hat sich ein Fußballspiel verändert. Manchmal dauert eine Off-Field- samt anschließender On-Field-Überprüfung minutenlang. Eine oder zwei zusätzliche Unterbrechungen machen keinen Unterschied mehr. Wenn Christian Heidel, Sportvorstand des 1. FSV Mainz 05, die Idee kritisiert, weil sie dazu führen würde, "dass jeder Klub eigene Leute beauftragt, die das Spiel auf dem Bildschirm beobachten, um Infos an die Bank weiterzugeben, um dann zu entscheiden, ob eine Challenge veranlasst wird", dann steckt nicht viel Sinn hinter seiner Beanstandung. In der NFL stören diese Beobachter aus Boxen im Stadionrund niemanden. Und überhaupt: Die Trainerteams zücken ohnehin bereits in jedem Spiel ihre Tablets am Spielfeldrand und überprüfen Schiedsrichter-Entscheidungen quasi in Echtzeit, die Scouts sitzen oben auf den Rängen und beobachten.
Challenge entlastet Schiedsrichter
Die Challenge wird trotz allem in den nächsten Jahren nicht in der Bundesliga angewendet werden, Deutschland darf auch keinen Sonderweg betreten, weil nur das IFAB zuständig ist. Geschäftsführer Lukas Brud sprach sich schon 2019 noch klar gegen eine Einführung der Challenge aus. Seine damalige Erklärung kann aber heute durchaus widerlegt werden (wie auch dieser Text zeigt): "Challenges könnten taktisch missbraucht werden und sind nicht die Lösung", sagte Brud. "Sie würden das Spiel unterbrechen und könnte die Schiedsrichter zusätzlich unter Druck setzen."
DFL und DFB könnten sich für die Einführung einer Regeländerung einsetzen. Ein IFAB-Sprecher erklärt gegenüber ntv.de: "Diskussionspunkte können dem IFAB bis zum 1. Oktober eines jeden Jahres über die Nationalverbände eingereicht werden. Anschließend werden die Anträge von den technischen Experten des IFAB geprüft", bevor die neuen Regeln verabschiedet und schließlich getestet werden.
Auf der Homepage schreibt das Gremium, eine Regel werde "immer nur dann geändert, wenn der IFAB und all seine Organe überzeugt sind, dass der Fußball davon profitiert" und bei jeder Änderung würde man "dem Gebot der Fairness" folgen. Der BVB und der Fußball hätten von der Challenge, im Sinne der Gerechtigkeit, am Freitag vor einer Woche durchaus profitiert.
Quelle: ntv.de