Pokalfinale wird ein Spektakel Dortmunds Schwachstelle, Wolfsburgs Waffe
30.05.2015, 16:54 Uhr
Sie werden sich schon etwas überlegt haben: die Trainer Jürgen Klopp und Dieter Hecking.
(Foto: imago/Jan Huebner)
Für Dortmund ist das Finale im DFB-Pokal das emotionale Endspiel von Jürgen Klopp. Für Wolfsburg wäre ein Titel die Krönung einer tollen Saison. Unser Kolumnist Daniel Memmert erklärt, wo der BVB schwächelt und warum der VfL Favorit ist.
Psychologie: Psychologisch ist Dortmund im Vorteil. Das letzte Spiel unter Jürgen Klopp sorgt bei allen Spielern für zusätzliche Motivation. Auf der anderen Seite wollen die Wolfsburger ihre super Saison krönen, entsprechend forsch und selbstbewusst ist das Team auch aufgetreten. Dass Dieter Hecking sein Team als Favorit bezeichnet, sind Töne, die man sonst nicht von ihm kennt. Auch den Faktor des tödlich verunglückten Wolfsburgers Junior Malanda sollte man nicht unterschätzen, für den das gesamte Team mit seiner Rückennummer 19 aufläuft. Das sind psychologische Momente um dem Abschied von Jürgen Klopp, der wie eine Glocke über dem Spiel hängt, auf emotionaler Ebene zu begegnen.
Individualtaktik: Den größten Unterschied zwischen beiden Mannschaften sehe ich auf den Außenverteidigerpositionen. Wolfsburg hat vor allem mit Ricardo Rodriguez einen überragenden Linksverteidiger aufzubieten, der sicher unter den ersten Fünf in der Welt ist. Auch Vierinha spielt eine sehr konstante Saison, schaltet sich ähnlich in die Offensive ein und ist wie Rodriguez extrem pressingresistent. Auf Seiten des BVB fallen dagegen Marcel Schmelzer und Eric Durm klar ab, die in dieser Saison einfach nicht ins Rollen gekommen sind. Das ist ein Big Point für Wolfsburg, diese Schwachstelle des BVB wird der VfL versuchen, schwerpunktmäßig auszunutzen. Dazu haben die Wölfe auch auf der Zehner-Position Vorteile. Kevin de Bruyne hat in dieser Spielzeit auf dieser Position überragt, Shinji Kagawa ist in der aktuellen Form nicht mehr als Mittelmaß. Auf den übrigen Positionen sehe ich beide Teams in etwa gleichauf.
Professor Daniel Memmert leitet das Institut für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Bereich der Sportspielforschung, hier geht es um Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Kreativität, Spielintelligenz und Motivation. Er besitzt Trainerlizenzen in den Sportarten Fußball, Tennis, Snowboard sowie Ski-Alpin und ist Herausgeber und Autor von Lehrbüchern zu modernem Fußballtraining. Seine neueste, populärwissenschaftliche Veröffentlichung - gemeinsam mit Bernd Strauss und Daniel Theweleit - heißt: "Der Fußball. Die Wahrheit. Fußballspiele werden im Kopf entschieden".
Gruppentaktisch: Eine der spannenden taktischen Fragen des Spiels wird sein, wie die Wolfsburger Innenverteidiger auf den schnellen BVB-Stürmer Aubameyang reagieren. Naldo etwa ist nicht der schnellste und hat gegen den pfeilschnellen Pierre-Emerick Aubameyang Geschwindigkeitsnachteile. Auf der anderen Seite ist sein Pendant Bas Dost auch in der Luft sehr gefährlich. Da haben die BVB-Verteidiger Mats Hummels und Neven Subotic jedoch einiges entgegenzusetzen.
Noch interessanter freilich ist, wie Dortmund versuchen wird, de Bruyne aus dem Spiel zu nehmen. Wenn sich der Belgier zurückfallen lässt, sind bereits Dortmunds Offensive wie Shinji Kagawa gefragt, der versuchen wird, seine Räume zu kontrollieren. Auch Aubameyang muss situativ versuchen, die Passwege zu versperren. Wenn de Bruyne sich nach vorn verschiebt, wird ihn wohl Sebastian Kehl aufnehmen. Ich bin gespannt, wie sich die Dortmunder Sechser den defensiven Raum vor der Viererkette einteilen.
Mannschaftstaktik: Dortmund hat Respekt vor dem Pressingspiel des VfL Wolfsburg, das hat man zuletzt in der Bundesliga gesehen. Also wird Dortmund versuchen, die erste Pressingwelle der Wolfsburger mit langen Bällen zu überspielen und die Halbspieler Marco Reus und Henrikh Mkhitaryan zu suchen. Ganz anders stellt sich die Situation des VfL Wolfsburg dar. Deren Spielidee liegt wohl eher darin, ihre stärksten Waffen einzusetzen und die Schwachstellen des BVB auszunutzen: die Außenverteidiger. Das Spiel des VfL wird also voraussichtlich verstärkt über die Flügel mittels kurzer und flacher Bälle vorgetragen - vor allem die linke Seite, wo neben Rodriguez de Bruyne und Daniel Caligiuri als Ideengeber und Bandenspieler wirbeln werden. Entscheidend wird dann einerseits sein, wie es um die Passsicherheit der Wolfsburger mit dem Ball bestellt ist. Die Niedersachsen dürfen in diesen Situationen auf gar keinen Fall viele Bälle verlieren. Auf der anderen Seite entscheidet die Kompaktheit des BVB gegen den Ball. Da war die Klopp-Elf immer wieder anfällig in dieser Saison, da müssen schon alle Dortmunder beim Pressing mitmachen, um Ballgewinne zu erlangen und ins Umschaltspiel zu kommen.
Spielverlauf: Daraus ergeben sich für mich folgende mögliche Szenarien für dieses Endspiel: Naiv gedacht, könnte man meinen, dass Wolfsburg so agiert wie beim letzten Aufeinandertreffen mit Dortmund am 31. Spieltag. Da hatte der BVB einen Tick mehr Ballbesitz, Wolfsburg ließ den BVB das Spiel machen und verlegte sich wie bei der Entstehung des 1:0 eher aufs Kontern. Das Team von Dieter Hecking stand gut und schaltete aus ausgesuchten Pressingsituationen heraus schnell um.
Die Zuschauer freilich hoffen auf ein anderes Spiel, einen offenen Schlagabtausch. Beide Teams können sehr hoch attackieren; wenn das eintritt, werden wir auf beiden Seiten ein unfassbar rasantes Umschaltspiel sehen, das sehr schnell und teilweise wild in beide Richtungen gehen wird. Ein Spektakel.
Zum dritten wäre es möglich, dass beide den Schwerpunkt auf die Defensive legen und versuchen, erst einmal die Null zu halten. Ein solches Spiel liefe auf ein spätes Tor oder eine Verlängerung hinaus. Aber natürlich kann ein frühes Tor - beispielsweise durch einen Standard - den Spielverlauf jederzeit in die eine oder andere Richtung beeinflussen.
Fazit: Die Dortmunder haben ihrem Gegner zwar die Erfahrung vieler Endspiele und Titel voraus. Zudem ist das Spiel wegen des Abschieds von Jürgen Klopp extrem emotional aufgeladen. Dennoch geht Wolfsburg für mich als leichter Favorit in dieses Spiel. Dieter Hecking ist ein sehr analytischer Trainer, kann seine Mannschaft taktisch perfekt auf die möglichen Szenarien vorbereiten, sein Team beherrscht Pressing, Gegenpressing und Ballbesitz gleichermaßen. Da ist Wolfsburg voll auf der Höhe der Zeit. Dazu hat der VfL auf den entscheidenden Positionen die besseren Einzelspieler, die versuchen werden, die Problemzonen des BVB schonungslos ausnutzen.
Quelle: ntv.de, Aufgezeichnet von Ullrich Kroemer