Anschlag auf BVB? Vermarktung! Dortmunds Teenager-Elf zur Show verdammt
12.04.2017, 10:27 Uhr
Und heute dann schon wieder Fußball? BVB-Fan am Dienstagabend.
(Foto: imago/ActionPictures)
Für die Profis des BVB ist es die schwierigste Herausforderung ihrer Laufbahn. Einen Tag nach dem Anschlag auf ihren Bus sollen sie Fußball spielen - gegen Monaco in der Champions League auf hohem Niveau. Ist das richtig?
Hans-Joachim Watzke stand auf dem Rasen des Dortmunder Stadions, also genau dort, wo eigentlich seit wenigen Minuten Fußball gespielt werden sollte. Doch dazu war es nicht gekommen, an jenem besonderen Dienstagabend, als die Mannschaft der Borussia auf dem Weg ins Stadion von drei Sprengsätzen attackiert worden war, worauf die Champions-League-Begegnung gegen den AS Monaco abgesagt wurde. Der Geschäftsführer des börsennotierten Klubs wirkte ruhig und gefasst, der 57-jährige Geschäftsmann aus dem sauerländischen Marsberg gab damit die Gefühlslage der vielen tausend Fans auf den Tribünen ziemlich exakt wieder.
Ruhig und gefasst, so ging es auch bei den Fans zu, die weder panisch noch verärgert auf die dramatischen Vorfälle reagierten. Eine Stunde vor Spielbeginn hatte sich die Kunde vom Anschlag über die Sozialen Netzwerke und über Mundpropaganda auf den Tribünen ausgebreitet. Als die Nachricht die Runde machte, der Dortmunder Profi Marc Bartra sei verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden, "war uns schnell klar, dass die Jungs heute nicht spielen können", berichtet BVB-Fan Lisa Wolff aus Münster, die den Abend auf ihrem angestammten Platz im Block 14 auf der weltbekannten Südtribüne erlebte.
Dass die Dinge in solch geordneten Bahnen abliefen, war auch dem äußerst umsichtigen Krisenmanagement des gastgebenden Vereins geschuldet. Stadionsprecher Norbert Dickel hielt die Zuschauer permanent auf dem Laufenden, über die Videoleinwand wurden die wichtigsten Botschaften transportiert, insgesamt war die Nachrichtenlage so transparent, dass erst gar keine beunruhigenden Gerüchte aufkommen konnten. Lisa Wolff lobt die "unfassbar gute Deeskalation. Es ist überhaupt keine Panik geschürt worden."
Uefa hält Vermarktungsmaschinerie am Laufen
Das galt auch für das Verhalten der aus Südfrankreich angereisten Fans des Gegners, die auf die Absage mit rhythmischem Klatschen und Sprechchören "Dortmund, Dortmund" reagierten, womit sie ihre Solidarität mit dem BVB bekundeten. Eine Reaktion, die auf der anderen Seite der riesigen Betonschüssel mit warmem Applaus begrüßt wurde. Lisa Wolff spricht von einem "Gänsehaut-Moment", es war der einzige an einem Abend, der eigentlich ein Festakt werden sollte.

Eine Kollision mit der Begegnung Bayern München gegen Real Madrid vermeiden: Hans-Joachim Watzke.
(Foto: imago/Thomas Bielefeld)
Pfiffe gab es eigentlich nur ein Mal, als Watzke verkündete, das ausgefallene Spiel werde am kommenden Tag - also heute - ab 18.45 Uhr nachgeholt. Champions League am frühen Abend, das gefällt dem Dortmunder nicht, der es gewohnt ist, flutlichtgetränkte Festakte unter nächtlichem Himmel zu feiern. Als Watzke dann auch noch als Begründung lieferte, man wolle eine Kollision mit der Begegnung Bayern München gegen Real Madrid (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) vermeiden, manifestierte sich der Unmut der Fans. Man darf das tatsächlich kritisch betrachten. Auch in Krisensituationen achtet die Uefa peinlich genau darauf, dass die Vermarktungsmaschinerie ihrer Zig-Millionen-Euro-Show Champions League nicht ins Stocken gerät. "The Games must go on", jener legendäre Satz, den Avery Brundage, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, 1972 nach dem Attentat auf die Spiele in München geprägt hatte, er gilt auch für die jüngsten Vorkommnisse in Dortmund.
Es hat in der Geschichte des Fußballs schon Katastrophen weit größeren Ausmaßes gegeben als die drei Sprengsätze, die vor dem Hotel "L'Arrivée" auf dem Höhenzug Wittbräucke im ländlichen Stadtteil Höchsten gezündet wurden, als der Dortmunder Mannschaftsbus losfuhr, um das Team ins etwa zehn Kilometer entfernte Stadion zu bringen. Und doch offenbaren die gestrigen Vorkommnisse eine neue Qualität: Niemals zuvor wurde eine Mannschaft direkt angegriffen.
"Mit einem mulmigen Gefühl"
Umso schwieriger wird es für die Profis in schwarz-gelb sein, weniger als 24 Stunden später auf den Rasen zu gehen und in einem bedeutsamen Spiel ihre Bestleistung zu bringen. "Solche Bilder", sagt Watzke, "kriegst du so schnell nicht aus dem Kopf. Wir müssen aber trotzdem versuchen, zum neuen Termin einigermaßen wettbewerbsfähig zu sein." Darüber macht sich BVB-Präsident Reinhard Rauball keine größeren Gedanken: "Das sind Profis, da bin ich der Auffassung, dass sie das wegstecken können." Eine Hoffnung, von der auch Geschäftsführer Watzke getragen wird: "Borussia Dortmund ist ein Verein, bei dem immer dann, wenn die Situation besonders schwierig ist, die Mannschaft besonders stark reagiert."
De facto dürfte die heutige Begegnung für die Profis, von denen sich einige noch im Teenager-Alter befinden, zur schwierigsten Herausforderung ihrer Laufbahn werden. Schließlich müssen sie mit den Bildern und den Ängsten, die sie seit gestern begleiten, fertig werden. Zudem steht ihr Verein nun weltweit im Fokus, ihr Auftritt wird unter besonderen Sicherheitsstandards und unter besonderem Interesse stattfinden.
Bereits am Dienstagabend gab es mannigfaltige Solidaritäts-Kundgebungen für Marc Bartra, der im Krankenhaus an der Speiche seines rechten Arms operiert wurde, und seine Mitspieler. Unter anderem meldete sich kurz vor Mitternacht Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit einer Depesche an den Revierklub zu Wort: "Meine Gedanken sind bei der Mannschaft. Ich hoffe, dass morgen wieder der Fußball im Mittelpunkt steht." Dann wird auch Lisa Wolff wieder im Block 14 stehen und ihren BVB anfeuern. Eigentlich passe es ihr gar nicht, dass so kurz nach den dramatischen Ereignissen schon wieder dem Ball hinterhergejagt werde, sagt die 55-Jährige. Sie macht sich heute "mit einem mulmigen Gefühl" auf den Weg ins Revier: "Aber in solchen Momenten müssen wir Borussen zusammenrücken und sagen: Jetzt erst recht."
Quelle: ntv.de