Fußball

Verbot wegen Mikroplastik? EU schürt Kunstrasen-Panik bei Vereinen

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Das Gummigranulat im Kunstrasen soll abgeschafft werden.

(Foto: imago images / Ulmer)

Die Europäische Union sorgt für Entsetzen bei kleinen Fußball-Vereinen. Ab 2022 soll eine Richtlinie zur Vermeidung von Mikroplastik in Kraft treten - und plötzlich sind Kunstrasenplätze bedroht. In die hitzige Debatte um eine umstrittene Studie schaltet sich sogar Innenminister Horst Seehofer ein.

Ferdinand Rath ist einigermaßen perplex. Zähe zwölf Jahre hatten sie beim Kölner Kreisligisten SV Adler Dellbrück um ihren Kunstrasenplatz gekämpft, endlich nahm das Abwandern der Spieler zu den umliegenden Vereinen ein Ende - und dann kommt die Europäische Union daher. "Jetzt legen wir für die Umwelt 5000 Plätze still, und der gesamte Spielbetrieb bricht zusammen?", sagte Rath: "Das kann doch nicht funktionieren!"

Niemand bricht jetzt in Panik aus, bei Adler Dellbrück schon gar nicht. Aber die Diskussion über eine Mikroplastik-Belastung durch Gummigranulat hat die Basis beunruhigt. Es geht also nicht um den gesamten Kunstrasenplatz, sondern lediglich um das Granulat, mit dem der Platz aufgefüllt wird. Das Problem ist ganz oben angekommen: Horst Seehofer persönlich spricht sich für die Verschiebung einer geplanten EU-Richtlinie zur Vermeidung von Mikroplastik aus, derzufolge ab 2022 die Verwendung des so typischen synthetischen Kautschuks nicht mehr erlaubt sein soll. "Als Sportminister werbe ich für einen vernünftigen Ausgleich zwischen Umweltschutz und Interessen des Sports", sagte er der "Welt am Sonntag".

Hersteller nennt Studie "falsch"

Er malte durchaus den Teufel an die Wand: "Viele Tausend Sportanlagen in deutschen Kommunen wären sonst von der Schließung bedroht." In einem Brief an Bundesumweltministerin Svenja Schulze schloss Seehofer sich der Forderung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nach einer sechsjährigen Übergangsfrist an. Der DFB teilte zudem mit, dass er "und seine Landesverbände einen Bestandsschutz der in Betrieb befindlichen Kunstrasenplätze" fordern. Es wird nicht ad hoc alles zusammenbrechen. "Ob die EU-Kommission ein Verbot von Plastik-Einstreumaterial für Kunstrasensportplätze vorschlagen wird, steht noch längst nicht fest", teilte ein Sprecher von Schulze mit. Grundsätzlich sei das Umweltministerium dafür, Mikroplastik zu vermeiden. Es habe aber auch "großes Interesse daran, dass Sportvereine ihren Spiel- und Trainingsbetrieb, insbesondere im Breiten- und Jugendsport, ohne Einschränkungen durchführen können". Die Europäische Chemikalienagentur (Echa) sei "in einer frühen Phase der Meinungsbildung".

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Reifenabrieb verbreitet laut Studie am meisten Mikroplastik.

(Foto: imago stock&people)

Es bleiben Fragen, wie diese von Ferdinand Rath: "Warum ist man darauf nicht früher gekommen, die ganzen Plätze umzustellen?" Ein Nachbarverein habe kürzlich eine Korkvariante eingeweiht - und jetzt keine Sorgen. Ursache der Aufregung ist eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik, kurz: UMSICHT. Darin stehen unter "Verwehungen Sport- und Spielplätze", der Nummer fünf der Großverschmutzer, beeindruckende Zahlen: Bis zu 11.000 Tonnen Mikroplastik im Jahr gelangten über Kunstrasenplätze insgesamt in die Umwelt, mehr beispielsweise als durch Kosmetika oder Faserabrieb bei Textilwäsche. Oberster Verschmutzer: der Reifenabrieb. Tobias Müller ist Kommunikationsleiter beim Kunstrasenplatzbauer Polytan. Das Unternehmen kritisiert die Studie scharf. "Wir sagen ganz klar: Sie ist nicht richtig", sagte Müller. "Weil sie nicht die Bauweise in Deutschland berücksichtigt, die ganz anders ist als im Ausland. Die angenommenen Mengen Gummigranulat sind schlicht falsch."

Seine Rechnung, die auch die RAL-Gütegemeinschaft "Kunststoffbeläge in Sportfreianlagen" stützt, geht ganz anders. Zirka 3500 der 5000 Plätze in Deutschland seien mit den Kautschuk-Kügelchen bestreut. Die Studie gehe von zwölf Kilogramm pro Quadratmeter aus, richtig seien aber fünf Kilogramm - also bei 70 Mal 100 Metern 35 Tonnen pro Platz. Neueste Modelle kämen mit nur 1,7 Kilogramm Granulat pro Quadratmeter aus.

Alternativen: Kork, Sand, Mischrasen

Ergo: Bei angenommenen 11.000 Tonnen Gesamtbelastung müsste jeder Platz jährlich mehr als drei Tonnen Granulat an die Umwelt abgeben - durch Wind, Regen, das Anpappen an Kleidung und Schuhen. "Absolut illusorisch", sagt Müller. Realistisch seien pro Jahr 250 bis 300 Kilogramm Nachfüllung. Auch die Gütegemeinschaft geht davon aus, dass die Belastung um "mindestens den Faktor zehn" niedriger liegt als von Fraunhofer behauptet.

Das Institut räumte ein, mit Schätzungen und "nicht-absoluten Zahlen auch basierend auf Daten aus dem Ausland" gearbeitet zu haben. Derzeit laufen Folge-Untersuchungen, weitere Zahlen sollen im August veröffentlicht werden. 450 Kunstrasenplätze werden jährlich in Deutschland gebaut, für etwa 500.000 bis 700.000 Euro pro Stück. Polytan arbeitet mit der Firma Hauraton zusammen, die behauptet, dass ihre Rinnensysteme 98 Prozent des Mikroplastiks von der Umwelt fernhalten. Zudem gibt es Alternativen: Kork, Sand, Mischrasen. Inzwischen, sagt Müller, bestehe selbst das Gummigranulat nur noch zu rund 30 Prozent aus Synthetik-Kautschuk. Ferdinand Rath hilft das in Köln-Dellbrück erst mal nicht weiter. Er hat eine Taktik festgelegt: "Einfach mal abwarten."

Quelle: ntv.de, ara/sid/dpa

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