VfL kultiviert die Torsensation Ein Wahnsinniger verblüfft die Liga
28.11.2021, 07:19 Uhr
Wer ist hier der Boss?
(Foto: imago images/RHR-Foto)
In der Bundesliga reift eine neue Erkenntnis: Den Bochumer Miloš Pantović, den lässt man besser nicht schießen. Dabei ist fürchterlich egal, wo sich der Mittelfeldmann des Aufsteigers befindet. Für den fassungslosen Freiburger Coach Christian Streich kommt dieses Wissen zu spät.
Zu behaupten, Christian Streich wäre an diesem späten Samstagnachmittag bloß wütend oder gar nur enttäuscht gewesen, das wäre reichlich weit an der Wahrheit vorbei geschildert. Denn Christian Streich war fassungslos. Mindestens. Dass sein SC Freiburg beim VfL Bochum mit 1:2 (0:0) verloren hatte, das konnte der Coach nun gar nicht verstehen. Nun ist es ja nicht so, dass es dem 56-Jährigen an Erfahrungen im Umgang mit Niederlagen (auch skurrilen) fehlt, aber dennoch mochte er nicht akzeptieren, dass seine Mannschaft, der Tabellendritte, zum nun dritten Mal in Serie verloren hatte. "Es ist eines der ungerechtesten Ergebnisse, die ich als Trainer erlebt habe." Da Streich als ehrlicher Typ bekannt ist, darf man also annehmen, dass an diesem Urteil etwas dran ist.
Tore: 0:1 Lienhart (51.), 1:1 Polter (54.), 2:1 Pantovic (82.)
Bochum: Riemann - Stafylidis, Masovic, Lampropoulos, Soares - Losilla - Löwen, Rexhbecaj (84. Leitsch) - Asano (85. Antwi-Adjei), Polter (74. Ganvoula), Holtmann (65. Pantovic); Trainer: Reis.
Freiburg: Flekken - Kübler, Lienhart, Schlotterbeck, Günter - Maximilian Eggestein (65. Keitel), Höfler - Schade (75. Sallai), Grifo - Jeong (65. Demirovic), Höler; Trainer: Streich.
Schiedsrichter: Patrick Ittrich (Hamburg)
Zuschauer: 19.700
Gelbe Karten: Losilla (2), Antwi-Adjei - Kübler
Tatsächlich lässt sich die 113. Pleite im 300. Erstligaspiel ziemlich simpel aufarbeiten. Der Sportclub machte ein wirklich sehr gutes Spiel. Und der Sportclub hatte viele gute bis sehr gute Gelegenheiten. Aber bis auf ein eher unkonventionelles Kopfball-Schulter-Tor von Innenverteidiger Philipp Lienhart (51.) nach einem Freistoß von Vincenzo Grifo wurde keine zweite Chance genutzt. Das wiederum lag verdammt oft an Manuel Riemann. Das ist der Torwart des VfL Bochum. Bis zum Aufstieg in diesem Sommer war der 33-Jährige wieder und wieder an seinem großen Traum, der Bundesliga, verzweifelt. Doch nun, wo es geklappt hat, will der extrovertierte Keeper alles nachholen – und möglichst lange bleiben. Und dass der Aufsteiger nach 13 Spieltagen mit 16 Punkten gut dasteht, das liegt ganz besonders an Riemann. Nach Noten gehört er zu den fünf besten Keepern der Saison.
Seinen spektakulärsten Moment an diesem Samstagnachmittag hatte er nach 62 Minuten, als er einen Abschluss von Stürmer Lukas Höler mit der rechten Hand noch sensationell parierte. An Spektakel und Sensation wird der Keeper in seinem Team seit Wochen aber von einem Mann noch übertroffen. Von Miloš Pantović. Der 25 Jahre alte Serbe kultiviert nämlich den Sensationstor-Wahnsinn "anne Castroper". Vor zwei Wochen versenkte der offensive Mittelfeldspieler alle Hoffenheimer Ambitionen auf Zählbares aus über 60 Metern. Und nun zerlupfte er eben Streichs Jubiläum mit einem gefühlvollen und genialen Heber aus deutlich über 40 Metern. Nach einem offenkundigen Missverständnis (zwischen SC-Torwart Mark Flekken und Lienhart) und einem Ausrutscher (von Lienhart) landete der Ball beim eingewechselten Pantović und über dessen feines Zauberfüßchen im Tor vor der eskalierenden Ostkurve (82.). Die Krönung des leidenschaftlichen, wenn auch glücklichen, VfL-Comebacks, das Stürmer Sebastian Polter zuvor kurz nach Rückstand eingeleitet hatte (54.).
"Sofort gespürt, dass er reingehen wird"
Ein Wahnsinn, den der Wahnsinnige recht sachlich aufarbeitete: "Als der Ball von meinem Fuß weg ist, habe ich sofort gespürt, dass der reingehen wird." Immerhin gestand Pantović: "Ich bin wahnsinnig froh, dass ich wieder so ein Tor schießen konnte." Und dann wieder ganz sachlich: "Ich gebe immer mein Bestes und bin froh, wenn ich der Mannschaft helfen kann." Schon nach seinem Treffer gegen die TSG hatte der Serbe souverän bekannt, dass er halt Vertrauen in seinen linken Fuß habe. Gleiches gilt nun offenbar auch für den rechten. Denn der war dieses Mal verantwortlich, dass das Ruhrstadion erst in kollektives Staunen, dann in kollektive Euphorie verfiel.
Dabei ist die furiose Entwicklung des 25-Jährigen beim Aufsteiger zum Unterschiedsspieler eine ohne erwartbare Vorgeschichte. Denn es war lange Zeit keine ausgemachte Sache, dass der Mann der einst dank des legendären Hermann Gerland vom FC Bayern (2. Mannschaft) ins Ruhrgebiet gewechselt war, mit den Bochumern aufsteigen würde. Zumal sein Vertag nach der vergangenen Saison auch ausgelaufen wäre. Denn etablierter Startelfspieler war er bislang nicht – und ist es übrigens auch in dieser Spielzeit (noch) nicht. In der 2. Liga war er einer der Männer hinter dem so phänomenalen Robert Zulj. Der Österreicher war Bochums offensiver Schlüsselspieler. 15 Tore erzielte er. 15 Tore bereitete er vor. Und zog dann völlig überraschend weiter: in die Vereinigten Arabischen Emirate. Eine sonderlich kluge Entscheidung für seine Karriere war das nicht. Und sportlich setzt er auch keine Ausrufezeichen beim Al Ittihad Kalba Sports Club.
Niemand hat auf ihn gewettet
Zulj war also weg. Für gerade einmal 350.000 Euro (so niedrig war die Ausstiegsklausel). Ein doppelter Schock für den VfL. Wie sollte der Klub das bloß kompensieren? Einen neuen Mann verpflichten? Kleiner Spoiler (I): Jawohl. Das System umstellen? Kleiner Spoiler (II): Jawohl. Lösungen aus dem eigenen Bestand kreieren? Denkbar war vieles. Fast alles. Nur nicht, dass Pantović diese so wichtige Rolle ausfüllen könnte oder würde. Und tatsächlich tut er das auch nicht. Er ist ein Joker. Ein hochwertiger. Sein Platz im Kader verdankt er seiner Zuverlässigkeit. Wenn er gebraucht wird, dann liefert er mittlerweile. So auch in der zweiten Runde des DFB-Pokals. Beim Drama-Erfolg gegen Augsburg hatte er den VfL mit zwei Toren in Führung gebracht, ehe sich die Gäste noch in das Elfmeterschießen retteten. Dort wurde Riemann dann zum Helden (wie Sie hier nachlesen können).
Pantović, über den ausgerechnet Gerland nach dem Wechsel 2018 bekannte, dass er schon bessere Spieler aus München nach Bochum geschickt habe, hat sich beim VfL aber beharrlich behauptet. Gegen all die Kritik, die ihm wieder und wieder entgegengeschlagen ist: nicht effizient genug sei er (Argumente für diese These sammelte er in Minute 87, als er die endgültige Entscheidung im Eins-gegen-eins mit Flekken verpasste), nicht robust genug im Duell, nicht schnell genug für die Außenpositionen (das allerdings ist im System von Coach Thomas Reis ganz besonders wichtig, anders als die Halbräume, in den sich der 25-Jährige eher wohlfühlt) und oft zu phlegmatisch. Für einen Zehner, der er eigentlich ist, fehle ihm zudem oft das Geniale. Nicht all diese Kritik konnte der Serbe bis heute nachhaltig entkräften. Tatsächlich aber ist er ein Spieler, auf den sich der Trainer stets voll verlassen kann. Immer fleißig. Immer professionell. Auch ohne diese eine hervorstechende Qualität. So dachte man. Doch nun zertrümmert er die Liga. Und große Jubiläen. Mit Toren, die eine Sensation sind.
Quelle: ntv.de