DFB-Elf in der Kreativfalle Einer wie Özil, das wär's
08.09.2018, 13:27 Uhr
Reus und Müller weisen durchaus beeindruckende Assist-Statistiken auf, müssen aber auch entsprechend aufgestellt werden.
(Foto: imago/Team 2)
Gegen Frankreich machen Deutschlands Fußballer fast alles besser als bei der WM und viel sogar richtig gut. Die Defensive hält gegen den Weltmeister die Null, aber vorn fehlt die zündende Idee, der allerletzte Pass. Es fehlt ein Mesut Özil.
War das ordentlich oder war das gar gut? Auf jeden Fall war es besser. Selten hat das Publikum ein 0:0 einer deutschen Fußballnationalelf so wohlwollend und ausgiebig beklatscht wie am Donnerstag im ausverkauften Stadion in München. Die Partie in der Nations League gegen den Weltmeister aus Frankreich war ein erster Schritt, das Image der immer noch populärsten Mannschaft des Landes ein wenig aufzubessern. Das hat nach dem historisch einmaligen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland vor etwas mehr als zwei Monaten arg gelitten. Gemessen am nach eigener Einschätzung arroganten und selbstgefälligen Auftritt bei der WM ist fast zwangsläufig alles besser als in Russland.
Aber auch bei härterer Prüfung ergibt sich, dass dem Spiel der Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw gar nicht so viel gefehlt hat. Gegen die aktuell beste Mannschaft der Welt war die demütige, auf Sicherheit bedachte Aufstellung die richtige: vier Innenverteidiger in der Abwehrkette und ein Joshua Kimmich als Absicherung davor. Eine Entscheidung, die der Angst vor der nächsten Niederlage und der Stärke des Gegners geschuldet war. Wenn es nun am Sonntag (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) in Sinsheim in einem Testspiel gegen Peru geht, dürfte das etwas anders aussehen.
Dann wird die Mannschaft, die in Heidelberg logiert und sich vorbereitet, nicht mehr allein daran gemessen, ob sie mit dem Gegner mithalten kann. Schon gegen Frankreich pfiffen einige Zuschauer, als Toni Kroos, der unermüdliche Ballverteiler von Real Madrid, nach einer knappen Stunde einen aussichtsreichen Konter abbrach, um doch lieber den Sicherheitspass zu spielen. Grundsätzlich ist es so: Wer defensive Stabilität will, der büßt Durchschlagskraft in der Offensive ein. Erst gegen Ende der Partie, als den Franzosen anzumerken war, dass es für sie um wesentlich weniger ging, kam die deutsche Mannschaft zu ihren Torchancen und hätte mit ein wenig Fortune sogar gewinnen können.
Die zündende Idee, der entscheidende Pass
Trotz allem hat der DFB-Elf einer gefehlt, der die zündende Idee hatte, dem der entscheidende letzte Pass vor des Gegners Tor gelang. Einer, der mit seiner Kreativität das Spiel gestaltet, auch wenn er bisweilen nicht groß auffällt und gar unsichtbar zu sein scheint. Einer wie Mesut Özil. Oder gar Mesut Özil selbst, der beste Vorbereiter in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaften. In seinen 92 Länderspielen seit 2009 erzielte er 23 Tore, vor allem aber legte er 40 Mal für einen Kollegen auf. Das ist DFB-Rekord.
"Im Spiel nach vorne waren wir nicht so befreit wie in unseren besten Zeiten", sagte Thomas Müller, der mit Özil 2014 Weltmeister geworden war. Und Leon Goretzka, der seit dieser Saison mit Müller im Mittelfeld beim FC Bayern spielt, befand: "Nach dem Spiel hatten wir alle ein bisschen das Gefühl, das wir noch etwas mehr ins Risiko hätten gehen können." So steckte die DFB-Elf in der Kreativfalle. Und der Bundestrainer muss überlegen, wie er Özils Fehlen kompensieren will. Marco Reus, der im Sturmzentrum verschenkt war, könnte seine Rolle übernehmen. Aber auch Müller, der mit 36 Vorlagen in 95 Länderspielen nur eine unwesentlich schlechtere Bilanz als Özil hat, wäre eine Option. Vielleicht sogar eine richtig gute, denn Müller überzeugte in der Vergangenheit nicht nur als Assistent, sondern mit seinen 38 Länderspieltoren auch als Vollstrecker.
Dass Özil zurückkehrt, scheint ausgeschlossen. Das Thema sei erledigt, hatte der Bundestrainer vor der Partie gesagt: "Wenn ein Spieler so seinen Rücktritt erklärt, holt man ihn ja nicht acht Wochen später einfach zurück." In seiner Rücktrittserklärung Ende Juli hatte Özil insbesondere DFB-Präsident Reinhard Grindel nach der Affäre um die Fotos mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan Rassismus unterstellt - nicht aber seinen Teamkollegen.
Er wolle aber nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen solange er, unter anderem in den Stadien, "dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre", hatte Özil verlauten lassen. Weder vorher noch nachher habe sich der Spieler bei ihm gemeldet, sagt Löw. Er werde sich weiter darum bemühen, seinen einstigen Lieblingsspieler ans Telefon zu bekommen. "Vielleicht bietet sich nach den Länderspielen die Möglichkeit", kündigte er nach der Partie gegen Frankreich an. Er wolle gerne wissen, warum Özil bisher nicht mit ihm sprechen mochte. "Ich bin menschlich enttäuscht."
Quelle: ntv.de