Über West Ham ins EL-Finale? "Eintracht hat noch eine Rechnung offen"
28.04.2022, 12:08 Uhr Artikel anhören
Haben die Frankfurter auch im Londoner Olympiastadion gegen West Ham wieder Grund zum Feiern?
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Noch drei Spiele bis zum Europa-League-Sieg: Nach dem sensationellen Triumph über den FC Barcelona bekommt es Eintracht Frankfurt nun mit West Ham United zu tun. Die Londoner sind keine Unbekannten für die SGE. Da war doch mal was - und "Charly" Körbel damals dabei. Die Eintracht-Legende erinnert sich und erklärt, worauf es ankommt, wo der Schlüssel zum Weiterkommen liegen könnte.
ntv.de: Herr Körbel, denken Sie immer noch an den Eintracht-Coup vom Camp Nou, der den Frankfurtern den Einzug ins Halbfinale der Europa League beschert hat?

Rekordspieler der Bundesliga und Uefa-Pokalsieger mit Eintracht Frankfurt: Karl-Heinz "Charly" Körbel.
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Karl-Heinz "Charly" Körbel: (lacht). Das wird für immer in meinem Kopf bleiben, es war einfach der helle Wahnsinn, etwas Außergewöhnliches! Der Elfmeter im genau richtigen Augenblick, dann der Schuss von Rafael Borre zum 2:0 - ich wusste bis dahin gar nicht, dass der Junge so schießen kann. Und dann wieder Kostic und plötzlich liegt die Eintracht 3:0 gegen Barcelona vorn. Da fragst du dich schon: Wo bin ich her, was ist hier los? Einmalig auch die Sache mit den Fans, ein absoluter Traum. Die Eintracht hatte im Camp Nou ein Heimspiel. Und so kam eins zum anderen. Am Ende war es das perfekte Spiel.
War es das Jahrhundertspiel der Eintracht?
Ja, aber dann hätte es bereits das Finale sein und wir den Pokal am Ende hochhalten müssen. Dann wäre die Partie in die Geschichte eingegangen. So hat die Eintracht noch ein Stück Weg vor sich. Und der wird kein einfacher sein.
Denn im Halbfinale wartet West Ham United. Da war doch was …
(lacht) Ja, mit West Ham hat die Eintracht noch eine Rechnung offen, eine recht alte zugegebenermaßen. Europacup der Pokalsieger, Saison 1975/1976, Halbfinale. Ich war damals Anfang 20, wir haben zuerst im Waldstadion gespielt. Ins Finale hat es West Ham dann geschafft, auch mit Spielglück und weil es den Video-Schiedsrichter noch nicht gab. Pfostenschuss, Handtor, Regen. Es hatte schon was, aber eben leider das schlechtere Ende für die Eintracht. West Ham hat dann das Finale gegen RSC Anderlecht vergeigt.
Und das, obwohl Frank Lampards Vater damals bei West Ham mitgespielt hat …
Genau! Damals war West Ham keine Laufkundschaft, heute sind sie es übrigens auch nicht. Platz sieben in der Premier League aktuell hinter den ganzen großen Namen der letzten Jahre. Aber West Ham ist einer der beliebtesten Traditionsvereine auf der Insel. Die Fans sind legendär.
Das klingt wie das englische Eintracht Frankfurt …
Ja, mit den beiden Teams treffen zwei absolute Traditionsvereine aufeinander: mit einer Fankultur, die sich sehen lassen kann. Zudem kommen beide Mannschaften aktuell auch über ihre Körperlichkeit, die Aggressivität. Die Spiele gegen West Ham werden ganz anders aussehen, als das der Eintracht im Camp Nou. Ich denke, dass vor allem das Hinspiel in London richtungsweisend sein wird.
Weshalb?
West Ham ist in dieser Saison, so wie wir auch in der Bundesliga, eher heimschwach. Wir werden also Chancen bekommen. Nutzen wir die, ist alles möglich. Wir dürfen uns nur den Schneid nicht abkaufen lassen. Barcelona war von unserem körperbetonten Spiel überrascht. West Ham wird das nicht passieren, denn in der Premier League ist gesunde Härte im Spiel die Regel, nicht die Ausnahme.
Die richtig großen Namen, die Superstars, sucht man bei West Ham vergeblich. Wo liegen die Stärken der Mannschaft?
West Ham hat vielleicht nicht den bekannten Superstar wie beispielsweise Dembélé oder Aubameyang bei Barça. Aber West Ham hat mit Jarrod Bowen einen Knipser, der weiß, wo das Tor steht. Gleichzeitig ist das Team kopfballstark und gehört zu den besten Mannschaften der Premier League, was Standards betrifft. Mit dem Schotten David Moyes sitzt zudem ein erfahrener Coach auf der Trainerbank.
Das letzte Premier-League-Spiel bei Chelsea hat West Ham 0:1 verloren.
Da hat Moyes auch einen Großteil der Stammkräfte lange geschont. Wie Eintracht-Trainer Glasner baut auch Moyes auf einen festen Stamm. West Ham ist eine eingespielte Mannschaft. Und dass er Spieler wie Bowen schont, zeigt auch, dass der Klub die Eintracht ernst nimmt, uns nicht unterschätzt. Das gilt umgekehrt aber auch!
Also zwei Teams, die sich auf Augenhöhe begegnen?
Absolut! Ich rechne mit zwei völlig offenen Spielen, sehr intensiv geführten Partien.
Und auch zwei Mannschaften, die den Pokal nicht nur holen wollen, sondern auch müssen?
Karl-Heinz "Charly" Körbel spielte von 1972 bis 1991 für Eintracht Frankfurt und ist mit 602 absolvierten Bundesligapartien der Rekordspieler der Liga. Sechs Mal trug er das deutsche Nationaltrikot. Mit der Eintracht gewann er vier Mal den DFB-Pokal (1974, 1975, 1981, 1988) und den UEFA-Cup (1980). In den 1990ern saß er bei den Frankfurtern auch auf der Trainerbank. Heute leitet er die Eintracht-Frankfurt-Fußballschule.
West Ham hat die internationalen Ränge noch selbst in der Hand, die Eintracht nicht mehr. Allerdings liegt der letzte Titel oder Pokal von West Ham mehr als 40 Jahre zurück, FA Cup 1980, im selben Jahr holte die Eintracht den UEFA-Cup-Sieg. Der Hunger nach Pokalen ist bei beiden groß, der Druck auf beiden Seiten vorhanden. Wenn man einmal im Halbfinale steht, will man auch ins Finale und dann den Pokal stemmen. Und klar: Für die Eintracht wäre der mögliche EL-Sieg die sichere erste Teilnahme in der Champions League, gewissermaßen der nächste große Schritt für den gesamten Verein.
Wie lautet Ihr Tipp?
Die Chancen für ein Weiterkommen stehen bei 50:50 (lacht). Der Grundstein für ein Weiterkommen wird in London gelegt. Die Eintracht muss ihr Europacup-Gesicht wieder zeigen, wovon ich aber fest ausgehe, denn die Mannschaft ist heiß.
Apropos heiß: Mit Christian Jaikic und Evan N'Dicka fehlen zwei Stammspieler gesperrt. Almamy Toure und Sebastian Rode dürften dafür auflaufen. Was ist mit Makoto Hasebe?
Dass Hasebe auch spielt, kann ich mir durchaus vorstellen. Seine Erfahrung, sein Auge fürs Spiel könnten durchaus einen Unterschied machen. Wenn er spielt, bleibt aber noch die Frage, ob in der Abwehrkette oder als reiner Sechser davor. Vorstellen kann ich mir beides. Als Sechser wäre das Mittelfeld noch kompakter. Wir werden sehen und drücken die Daumen für die Eintracht!
Mit Karl-Heinz "Charly" Körbel sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de