Sensibles Thema beim FC Bayern Tuchel hält flammendes Plädoyer für "Reservist" Müller
21.04.2023, 14:59 Uhr
Für Thomas Tuchel ist Thomas Müller weiterhin ein Schlüsselspieler beim FC Bayern.
(Foto: IMAGO/ActionPictures)
Kein anderer Spieler steht mehr für den FC Bayern als Thomas Müller. Dennoch verzichtet Trainer Thomas Tuchel in beiden Champions-League-Duellen mit Manchester City auf den 33-Jährigen in der Startelf. Vor dem Duell mit Ex-Klub FSV Mainz 05 lobt er Müller in den Himmel.
Es gibt exakt zwei Spiele, in denen Thomas Müller dem FC Bayern nicht das gibt, was er seinem Klub sonst geben kann. So sieht es Trainer Thomas Tuchel. Bitter für Müller: Es waren exakt die beiden Duelle mit Manchester City im Viertelfinale der Champions League. Jene Duelle, die den Rekordmeister mindestens in die emotionale Krise gestürzt hatten. Mit dem Aus gegen die Mannschaft von Josep Guardiola platzte für die Münchner bereits die zweite Titelchance unter der Regie von Tuchel. In alle Richtungen entbrannten hernach die Debatten. Wieder einmal ging es um Trainerwechsel. Es ging aber auch um die Zukunft der Bosse - und um Müller.
Manch ein Experte interpretierte in die Entscheidung von Tuchel gar einen Fingerzeig für die nächste Saison. In der würde dem ewigen Gaudibursch endgültig der Spaß an seinem FC Bayern genommen. Bedeutet: Tuchel habe beim wahrscheinlichen Neuaufbau der Mannschaft im Sommer keinen Platz mehr für den Freigeist, der schon in der Vergangenheit immer mal wieder nah an das Ende seiner unnachahmlichen Wichtigkeit geschrieben worden war - und dabei auch jene Trainer überlebt hatte, die ihn entweder nur als Notnagel gesehen (Kovac) oder ihn schleichend aus der übergroßen Rolle gedrängt hatten (Nagelsmann). Tuchel mag von all dem noch nichts wissen. Und so hält der Coach vor seiner Heimkehr zum 1. FSV Mainz 05 eine emotionale Laudatio für Müller.
"Jedes andere Spiel ist ein Thomas-Müller-Spiel"
"Ich bin selbst großer Thomas-Müller-Fan", bekannte der neue Trainer und kassierte damit alle Diskussionen ein. Ein Satz, den man sonst so eher bei "Super-Super-Super-Alles"-Fan Guardiola ("1000 Dantes!") verorten würde. Zumindest bemühte er sich bei diesem sensiblen Thema darum. "Diese Undefinierbarkeit in Weltklasse-Ausprägung, das ist ganz besonders." Aber warum dann der Verzicht? "Ich bin der Meinung gewesen, dass diese Spiele in ihrer Charakteristik die einzigen beiden Spiele waren, die nicht seine sind, die nicht hundertprozentig passen." In all den anderen Konstellationen im Viertelfinale "wäre die Möglichkeit hoch gewesen, dass wir ihn auf dem Platz haben. Deshalb würde ich sagen: Jedes andere Spiel ist ein Thomas-Müller-Spiel". Tatsächlich war es ja auch so: In allen vier weiteren Bayern-Partien unter Tuchel stand Müller jeweils in der Startelf.
Nun auch wieder gegen Mainz 05? Einem Schlüsselspiel auf dem Weg zur elften Meisterschaft in Serie. Denn nicht im Duell gegen den Ex-Klub des Trainers liegt eine emotionale Brisanz, auch die aktuelle Form des Teams von Bo Svensson macht die Aufgabe für die Münchner so schwer. In der Rückrunden-Tabelle stehen die Mainzer auf Rang drei und haben sehr gute Chancen auf eine Rückkehr in den Europapokal. "Der Kern, der Mainz 05 ausmacht, ist gefunden. Sie machen aus der Rolle des Underdogs wieder mal das Maximale." Anders als seine Münchner. Ob Müller nun spielt oder nicht, das sprach Tuchel konkret nicht aus.
Aber in seinem flammenden Plädoyer für den Mann mit den ungreifbaren Möglichkeiten schwang so viel Subtext mit, dass alles andere als eine Startelf-Nominierung eine gigantische Überraschung wäre. Etwa dieser Satz: "Thomas Müller verdient meinen maximalen Respekt und bekommt ihn auch." Oder jene hier: "Ich war extrem beeindruckt, wie Thomas die Entscheidung aufgenommen hat. Er hat eine extrem harte Entscheidung gegen sich bekommen." Da sei überhaupt keine persönliche Note drin. Jeder müsse so eine Entscheidung in einem Kader mit solch einer Konkurrenzsituation akzeptieren. Aber natürlich werde Müller wie jeder Spieler nie fröhlich sein, wenn er auf die Bank müsse. Zumal er dem Team nicht nur sportliche Qualität gibt, sondern auch emotional. Die Leidenschaft war ja ein großes Thema gewesen in München. Nicht in den Duellen gegen City, aber nach dem aufschreckenden 1:1 gegen Abstiegskandidat TSG Hoffenheim im eigenen Stadion.
"Er ist vorbildlich damit umgegangen"
"Ich habe mich wahnsinnig über seine Reaktion auf dem Trainingsplatz gefreut. Der Umgang war nicht nur professionell, sondern vorbildlich. Er hat das beste Signal von allen gesendet", bekannte Tuchel über den Eifer von Müller. Er, Tuchel, spüre daher auch kein Problem zwischen den beiden Alphatieren. Es sei alles in Ordnung, befand der Coach. Auch Müller hatte seine Rolle nach dem City-Aus nicht zum Thema machen wollen. Im Kampf um den letzten verbliebenen Titel, im Kampf gegen die erste titellose Saison seit Anno Tuck kann Müller für Tuchel zum Schlüsselspieler werden. Zumal andere Spieler der hochgelobten Offensive weiter massiv mit Formproblemen kämpfen. Serge Gnabry etwa. Aber auch Leroy Sané und Eric Maxim Choupo-Moting geht die Leichtigkeit ab. Und mit Leon Goretzka ist da ja auch ein Spieler auf Suche nach einer bayernliken Verfassung.
In der präsentiert sich auch der Verein als Ganzes nicht. Überall brennen kleine Feuer. Fliegt Oliver Kahn in Bälde aus dem Amt als Klubboss? Muss Sportvorstand Hasan Salihamidžić am Saisonende gehen? Überall sprießen die Gerüchte - schneller, als jeder Gärtner das Kraut bei der Wurzel packen kann. Womöglich kehrt sogar Uli Hoeneß mit der Heckenschere zurück. Auch darüber wurde nun schon wieder diskutiert, weil er nach dem Spiel gegen City in die Kabine der Münchner gegangen war. Etwas, das der Ehrenpräsident zuletzt seltener tat. Aber als Schutzpatron, der er für immer für "seinen" FC Bayern bleiben wird, wird jedem Schritt von Hoeneß das Höchstmaß an Wichtigkeit beigemessen. Tuchel will von all dem nichts mitbekommen, weil er auf das Lesen derzeit verzichtet. "Ich komme in der Früh hierher und spüre eine ruhige Atmosphäre. Ich spüre eine fokussierte und positive Energie. So wie im Auge des Sturms." Und in diesem steht der FC Bayern, egal wie man die Situation für sich umdeuten möchte.
Tuchel wehrt sich gegen das Krisengerede
Allerdings wehrt sich Tuchel gegen jedes Krisengerede bei seinem neuen Klub. "Ich kann absolut nachvollziehen, dass drei Jahre ohne Halbfinale im DFB-Pokal nicht der Anspruch sind. Ich kann es aber nicht nachvollziehen, dass drei Jahre Viertelfinale in der Champions League eine Krise sind", sagte er in aller Deutlichkeit und mahnte mehr "Realitätssinn" in der Bewertung an "Wir dürfen nicht vergessen, mit wem wir es zu tun haben. Liverpool war nicht im Viertelfinale, Arsenal war nicht im Viertelfinale. Natürlich ist es mein Anspruch weiterzukommen."
Hilfreich dafür wäre deutlich mehr Effektivität vor dem gegnerischen Tor. Auch das war wieder einmal Thema geworden, weil Bayern das 1:0 im Rückspiel liegen ließ und Sekunden später durch Erling Haaland bestraft worden war. "Man kann viele Videos zeigen und Gespräche führen. Aber für die Offensivspieler hilft nur ein Tor oder eine Torbeteiligung. Im Rückspiel hätten wir eine große Effizienz gebraucht. Man muss auch mal aus einer Halbchance, aus dem Nichts ein Tor machen. Das fällt uns aktuell schwer, das ist offensichtlich. Manchmal denkt man, es fehlt uns ein Schuss Zielstrebigkeit und ein Schuss Egoismus. Es geht am Ende um Entscheidungen." Eine dürfte lauten: Müller spielt (wieder).
Quelle: ntv.de