Rummenigge verzweifelt lautstark FC Bayern taumelt der Winterpause entgegen
13.12.2020, 08:40 Uhr
Am Boden.
(Foto: imago images/Matthias Koch)
Wieder kein Sieg, wieder nicht stabil in der Abwehr: Der 1. FC Union macht dem FC Bayern mehr Probleme als gedacht und ist dem Sieg gegen den Rekordmeister überraschend nah. Es ist eine eigenartige Atmosphäre in Köpenick, und das liegt nicht nur an den Fans der Berliner.
In der Pause wird erst einmal ein großer Schluck aus der Likör-Flasche genommen. Die Fans des 1. FC Union Berlin sind sehr zufrieden. Ihre Eisernen führen mit 1:0 gegen den großen FC Bayern. Eine Sensation liegt in der Köpenicker Luft, die hier von rund 150 Fans geatmet wird. Vom eigentlichen Geschehen auf dem Platz haben sie nichts gesehen. Sie verfolgen es über ihre Handys, manche mit Sky und andere über illegale Streams. In der zweiten Halbzeit erhellen einige Raketen den Abendhimmel. Da sie das Spiel nicht sehen, wirken diese in dem Moment etwas deplatziert. Auf dem Platz werden Robert Lewandowski und Marvin Friedrich mit einer Kopfverletzung behandelt.
Inmitten der Pandemie, am Vorabend eines neuen Lockdowns sind diese Unterstützungsbemühungen in Köpenick eine bemerkenswerte Seltsamkeit. Nirgendwo sonst gelangen die Fans derart nah an ein Stadion und nirgendwo sonst hört man sie Woche für Woche singen. Mehrfach haben die Behörden keine Einwände gehabt, und deswegen kommen sie immer wieder, und im Spiel gegen die großen Bayern natürlich in noch größerer Anzahl. Als Grischa Prömel in der 4. Minute seinen ersten Treffer in der Bundesliga erzielt, singen sie munter weiter. Der Jubel im Stadion ist zu gering. Erst mit 32 Sekunden Verzögerung erreicht die Nachricht die hinter der Waldseite der Alten Försterei stehenden Fans. Dann bricht lauter Jubel los.
"Die Fans sind immer da. Wir können die Atmosphäre von draußen spüren. Du siehst das Feuerwerk und du hörst sie singen. Das war natürlich schon eine gute Motivation für das Team", sagt Union-Stürmer Taiwo Awoniyi nach dem Spiel. "Wir hören sie von draußen, wir sehen das Feuerwerk." So taumeln die Bayern zu altbekannten "Zieht den Bayern die Lederhosen aus"-Schlachtrufen in Richtung Winterpause. Sie haben sich das sicher anders vorgestellt. Aber nach einem langen, langen Jahr sind die Köpfe leer, die Körper nicht mehr in der Lage, über die Dauer der 90 Minuten alles zu geben.
Boateng sucht keine Ausreden
Prömels Kopfballtreffer nach einer Ecke von Christopher Trimmel ist in der Bundesliga bereits der fünfte 0:1-Rückstand in Folge. "Wir waren die ersten Minuten einfach nicht auf dem Platz. Das Selbstvertrauen war nicht so ganz da", sagt Hansi Flick im Anschluss an das Spiel. Die 17 Gegentore in 11 Spielen sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache, zwei sieglose Spiele in Folge sind ein weiterer Beweis für diese "schwierige Saison" für die Bayern.
"Es gibt dafür keine Ausreden. Wir wissen, dass wir jeden dritten Tag in Folge ran müssen. Du kannst aber nicht alle drei Tage ein perfektes Spiel abliefern", sagt Jérôme Boateng, der in Berlin in Abwesenheit von Niklas Süle neben David Alaba die Abwehrzentrale der Bayern bildet. Diese wird bereits in der ersten Minute gefordert. Taiwo Awoniyi taucht frei vor Keeper Manuel Neuer auf. Er scheitert, wie noch häufiger an diesem Abend, an dem Union Berlin in den entscheidenden Momenten das Glück, die Präzision und ein wenig auch der Glaube an eine Sensation fehlt. Immer wieder scheitern sie in aussichtsreichen Positionen, immer wieder ist der letzte Pass nicht exakt genug, und einmal kurz vor der Pause versucht Sheraldo Becker trotz Überzahlsituation den aufgerückten Neuer aus 60 Metern zu überwinden.
Bayern hingegen findet kaum ins Spiel. In der ersten Halbzeit geht nur Thomas Müller ins Pressing, der Rest wirkt zu müde. Einmal fällt Robert Lewandowski nach einem leichten Schubser im Strafraum. Er fordert einen Elfmeter, bleibt stehen und hört die "Hier regiert der FCU"-Gesänge hinter der Tribüne. Schiedsrichter Bastian Dankert winkt aber nach einem kurzen Check ab. Lewandowski kann es nicht fassen. Sein Tor wird er trotzdem erzielen. In der zweiten Halbzeit, nach einem schönen Dribbling von Kingsley Coman, steht der Spieler des Jahres frei im Strafraum und rettet den Bayern den Punkt.
Ein bisschen wie in der Muppet-Show
Obwohl nach Lewandowskis Treffer noch weit über 20 Minuten zu spielen sind, kommen die Hausherren dem Sieg näher, ohne Neuer ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. In Abwesenheit von Max Kruse und Robert Andrich, die nach der 1:3-Derby-Niederlage in der Vorwoche erst im Jahr 2021 wieder in den Ligabetrieb eingreifen werden, sind die Köpenicker frischer. Am Ende ärgern sie sich über die verpasste Sensation. Draußen vor dem Stadion wird wieder ein Feuerwerk gezündet, diesmal kommt es von der anderen Seite.
Die besondere Geisterspiel-Atmosphäre hat Bayern-Trainer Hansi Flick bereits am Freitag beschäftigt. "Es ist schon so, dass sehr viel auf dem Platz zu hören ist - und auch von der gegnerischen Bank", erklärt er da und verweist auf die "große Herausforderung", nicht auf die Emotionen und Zwischenrufe zu reagieren. Karl-Heinz Rummenigge interessiert das nicht. Vielleicht angestachelt von einem Banner der Union-Fans, das eine gerechtere Verteilung der TV-Gelder fordert und mit Sicherheit besorgt um die Tabellenführung, kommentiert er in der zweiten Halbzeit das Spielgeschehen von der Tribüne.
Auf jedes "Eisern! Union!" der Fans vor dem Stadion, setzt es ein "Fußball spielen! Wahnsinn!", ein "Wir müssen wach werden!" von Rummenigge, dessen Kommentare an Statler und Waldorf, den beiden ewig nörgelnden Logenbesuchern im Muppet-Show-Theater, erinnern. Der Lippstädter ist auch nach Lewandowskis Ausgleichstreffer nicht zufrieden. "Außen, außen", brüllt er und immer wieder "Spielt Fußball!" Das will an diesem Abend nicht so recht gelingen.
Hinter der Waldseite singen die Union-Fans ihre Lieder, nehmen einen letzten Schluck aus der Flasche, noch einmal fliegt ein Ball weit über das Neuer-Tor, und dann ist es vorbei. Bayern München bleibt vorerst Tabellenführer der Fußball-Bundesliga. Anders als Borussia Dortmund kommen sie nach Rückständen immer wieder zurück. Aber die Akkus sind leer. Zeit für eine Pause. Wie lange diese sein wird, liegt dabei nicht unbedingt in den Händen des Sports, sondern wird auch Gegenstand der heutigen Besprechungen zu einem neuen Lockdown sein.
Quelle: ntv.de