Fußball

St. Pauli bittet um Verzeihung Fans spielen mit Geschmacklosigkeiten

Mit dem Banner sei "eine Grenze überschritten worden, werden dort doch die Toten der Luftangriffe auf Dresden verhöhnt": Der FC St. Pauli bittet um Entschuldigung.

Mit dem Banner sei "eine Grenze überschritten worden, werden dort doch die Toten der Luftangriffe auf Dresden verhöhnt": Der FC St. Pauli bittet um Entschuldigung.

(Foto: imago/Robert Michael)

Was geht? Und was geht nicht? Wo hört Fan-Folklore auf, wo wird es kriminell? Die Fans des FC St. Pauli überschreiten eine Grenze und verhöhnen die Toten der Luftangriffe auf Dresden. Im Stadion bekommt das kaum einer mit.

Es hätte ein ungetrübter Nachmittag im sonnigen Februar sein können für den FC St. Pauli. Der Zweitligist aus dem Hamburger Vergnügungsviertel hatte sein Heimspiel gegen Dynamo Dresden 2:0 gewonnen. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit ist der Klub nicht mehr Tabellenletzter. Der Klassenerhalt, der zwischenzeitlich fast schon außer Reichweite schien, ist wieder eine realistische Option. Gegen Dresden kam der Glaube zurück. Das war spürbar und hörbar. In den letzten Minuten der Partie stand das gesamte Publikum und sang ein Lied auf den FC St. Pauli. Ein Chor aus fast 30.000 Stimmen. Wegen solcher Momente ist das Millerntorstadion ein Sehnsuchtsort für Freunde der Fankultur auf der ganzen Welt.

Eine Eskalation fand nicht statt: Fans aus Dresden am Millerntor.

Eine Eskalation fand nicht statt: Fans aus Dresden am Millerntor.

(Foto: imago/Robert Michael)

Doch der Frohsinn wurde überschattet. Kurz vor Beginn der zweiten Halbzeit zeigten ein paar Fans in der Südkurve, der Heimat von St. Paulis Ultras, ein Plakat in Richtung des Dresdener Anhangs, das die Einen provokant, die Anderen menschenverachtend, in jedem Fall aber geschmacklos finden. "Schon Eure Großeltern haben für Dresden gebrannt", war darauf zu lesen. Eine Anspielung auf die Zerstörung der Stadt im zweiten Weltkrieg, die sich an diesem Montag zum 72. Mal jährt. Im zweiten Teil der Banner-Komposition hieß es: "Gegen den deutschen Opfer-Mythos." In rechtsextremen Kreisen wird die Bombardierung Dresdens immer wieder instrumentalisiert, um die Verbrechen der Nazis zu relativieren.

Im Stadion erregte das Spruchband wenig Aufsehen. Das lag auch daran, dass sich viele Zuschauer noch auf der Toilette, am Bratwurst- und Bierstand befanden. Viele Zuschauer haben von dem Banner nichts mitbekommen. Die Fans im Dresdener Block natürlich schon. Sie waren ja die Adressaten. Es wurde kurz laut, einige von ihnen rüttelten am Zaun, schwangen die Fäuste und brüllten: "Auf die Fresse! Auf die Fresse!" Sie beruhigten sich aber schnell wieder. Eine Eskalation fand nicht statt. Laut Polizei blieb es um das Spiel friedlich.

"Die Toten der Luftangriffe auf Dresden verhöhnt"

Der FC St. Pauli reagierte umgehend auf das Plakat. Noch am Abend verschickte der Klub eine Mitteilung, in der er Dynamo Dresden um Entschuldigung bat. Mit dem Banner sei "eine Grenze überschritten worden, werden dort doch die Toten der Luftangriffe auf Dresden verhöhnt", heißt er darin. Mit der schnellen Entschuldigung versuchte der Klub, die Deutungshoheit zu gewinnen. Er machte das Plakat zum Thema, ehe Boulevardmedien oder Polizeigewerkschafter dazu die Möglichkeit haben. Auch dürfte der Deutsche Fußball-Bund St. Paulis Reaktion wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Der Klub handelte geschickt.

DFB ermittelt gegen St. Pauli

Der Kontrollausschuss des DFB leitet gegen den Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli ein Ermittlungsverfahren ein - eben wegen jenes verunglimpfenden Spruchbands. Der Ausschuss wird vom FC St. Pauli eine Stellungnahme anfordern und den Sachverhalt bewerten, teilte der DFB auf Anfrage mit. Strafen gegen die Hamburger würden auf Grundlage der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB geprüft.

Dynamo Dresden verurteilte das Plakat. "Opfer von Krieg und Gewalt zu verhöhnen - das überschreitet nicht nur alle Grenzen des Geschmacks und der Meinungsfreiheit, es ist nicht zu akzeptieren und untergräbt unsere auch im Sport geltenden humanistischen Werte", sagte Geschäftsführer Michael Born. St. Paulis Entschuldigung begrüßte der Verein. Und damit könnte die Geschichte eigentlich erledigt sein.

Doch vermutlich wird sie noch eine Weile köcheln. Denn die Stimmung ist im Moment aufgeladen. Seit Borussia Dortmunds Spiel gegen RB Leipzig, das von Fan-Gewalt und stapelweise beleidigenden Spruchbändern auf der berüchtigten Südtribüne begleitetet wurde, werden die Grenzen des Geschmacks diskutiert. Wo hört Fan-Folklore auf, wo wird es kriminell? Der DFB sperrt die Südtribüne für das kommende Heimspiel gegen Wolfsburg und führt als Begründung nicht nur die Ausschreitungen vor dem Stadion, die beleidigenden Banner und das Abbrennen von Pyrotechnik ab, sondern auch Schmähgesänge. Viele Fußballfans haben im Moment wieder einmal den Eindruck, dass es der DFB mit seinen Strafen übertreibt.

Einige Fans des FC St. Pauli vermuten, dass sich der Klub bei seiner Entschuldigung für das Plakat gegen Dresden von der gegenwärtigen Stimmung hat treiben lassen. "Entschuldigungen anderer Vereine für ähnlich niveauvolle Dinge der Vergangenheit suche ich vergeblich", heißt es im Blog des Fan-Magazins "Der Übersteiger". In der Tat haben Grenzüberschreitungen in Fankurven Tradition. Im Dresdener Stadion waren im August beim Pokalspiel gegen Leipzig viele Plakate zu lesen, die sich nicht von den Bannern unterscheiden, die jetzt zur Sperrung der Dortmunder Südtribüne beitrugen. "Bullen in die Fleischerei", hieß es zum Beispiel in Dresden. Oder: "Rübe ab dem Bullenpack."

Auch rassistische, homophobe und sexistische Banner tauchen immer wieder in Fankurven auf. Nicht nur, aber auch in Dresden. Besonders gerne arbeiten sich Dynamos Anhänger offenbar an St. Paulis alternativer Fanszene ab. Im Hinspiel gegen den Hamburger Klub forderten sie per Banner eine Burka-Pflicht ("Euch will keiner sehen!") für die Frauen bei St. Paulis Ultras. Das Spiel der Geschmacklosigkeiten wird von vielen Fan-Lagern gespielt. Im Millerntorstadion war die nächste Runde zu beobachten.

Quelle: ntv.de

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