Systematisches Doping im Fußball Forscher belasten Stuttgart und Freiburg
02.03.2015, 15:35 Uhr
Die Sportmedizin der Uniklinik Freiburg setzte in der Vergangenheit auch auf verbotene Substanzen und Methoden.
(Foto: dpa)
Bei der Aufarbeitung deutscher Dopinggeschichte rückt der Profi-Fußball in den Fokus. Beim VfB Stuttgart und SC Freiburg sollen in den 1970er und 1980er Jahren systematisch Anabolika an Spieler verabreicht worden sein. Darauf deuten Akten in Freiburg hin.
Bei der Aufarbeitung der Doping-Vergangenheit an der Universität Freiburg haben die Forscher schwere Vorwürfe gegen den VfB Stuttgart und SC Freiburg erhoben. Neben Beweisen für flächendeckendes Doping im Radsport hat die Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin demnach auch Belege für die Verabreichung von Anabolika bei den Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart und SC Freiburg gefunden.
Dies gehe aus den gut 60 "Klümper-Akten" hervor, die sich mit dem abgeschlossenen Betrugsverfahren gegen den damaligen Leiter der Sporttraumatologischen Spezialambulanz Armin Klümper befassen. "Erstmals" sei der "sichere Befund möglich, dass Anabolikadoping auch im Profi-Fußball eine signifikante Rolle spielte", schrieb Andreas Singler, Mitglied der Evaluierungskommission. Er veröffentlichte die Details ohne Rücksprache mit seinen Kollegen und gegen den Willen der Kommissionsvorsitzenden Letizia Paoli.
Der bestätigte in einer eigenen Mitteilung aber die inhaltliche Korrektheit der Dopingvorwürfe, die sich sowohl gegen den Fußball als auch Radsport richten. Den Forschungsergebnissen zufolge ist in den "späten 1970er und frühen 1980er Jahren" beim Erstligisten aus Stuttgart "im größeren Umfang" und "wenn auch nur punktuell nachweisbar" auch beim damaligen Zweitligisten aus Freiburg Anabolikadoping vorgenommen worden. Die Schlüsselfigur ist Klümper, es geht vor allem um das Anabolikum Megagrisevit. Dieses war auch von der von Klümper behandelten und 1987 verstorbenen Leichtathletin Birgit Dressel zeitweise eingenommen worden.
"Mensch Professor, ich muss am Samstag wieder ran"

Armin Klümper machte müde Sportlerbeine wieder munter: Der damalige Leiter der Sporttraumatologischen Spezialambulanz gilt als Schlüsselfigur der Dopingvergangenheit an der Freiburger Uni.
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Die Erkenntnisse werfen einen dunklen Schatten auf beide Vereine, für die in dem genannten Zeitraum auch der heutige Bundestrainer Joachim Löw gespielt hatte. Die Kommission hielt in ihrem Zwischenbericht aber ausdrücklich fest, "dass eine Zuordnung von Medikationen an einzelne, konkret zu benennende Spieler nach Auswertung der Akten der Staatsanwaltschaft Freiburg nicht möglich ist".
Der SC Freiburg spielte damals in der zweiten Liga, der VfB Stuttgart befand sich mit Spielern wie Bernd und Karlheinz Förster, Hansi Müller, Karl Allgöwer oder Rainer Adrion auf dem Höhenflug und wurde 1984 deutscher Meister. Löw war damals bei beiden Klubs als Spieler aktiv: 1978 bis 1980 sowie 1982 bis 1984 in Freiburg, 1980/81 in Stuttgart.
Der VfB Stuttgart äußerte sich zurückhaltend zu Doping-Vorwürfen. Der Verein erklärte, an einer "lückenlosen Aufklärung des Sachverhaltes" interessiert zu sein. Der Bericht liege dem Verein aber nicht vor, teilte der Klub mit. Man könne "nach dem derzeitigen Kenntnisstand" nicht nachvollziehen, "worauf die Vorwürfe fußen beziehungsweise ob und wenn ja in welcher Form sie zutreffend sind", hieß es weiter.
Für den ehemaligen VfB-Trainer Hans-Jürgen Sundermann (1976 bis 1979 und 1980 bis 1982) sind die Erkenntnisse "absurd". Er sagte dem Sportinformationsdienst: "Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen und halte das für völlig ausgeschlossen." Immerhin bestätigte Sundermann, dass verletzte VfB-Spieler von Klümper behandelt wurden. "Wenn's Spitz auf Knopf ging, da haben wir gesagt: Mensch Professor, ich muss am Samstag wieder ran. Da hat man auch mal was Unvernünftiges gemacht", hatte Karlheinz Förster jüngst in einer Dokumentation des SWR gesagt.
Strukturen des Dopings im Fußball
Kommissionsmitglied Singler betonte: "Gezeigt werden können erstmalig die Strukturen des Dopings im Fußball am Beispiel der hauptverantwortlichen Mitwirkung von Prof. Dr. Klümper inklusive der Finanzierung solcher Aktivitäten durch die Vereine." Beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) fand "Doping vor allem mit anabolen Steroiden in den Jahren zwischen 1975 und 1980 nicht nur in fast flächendeckender Manier auf Veranlassung Klümpers statt", schrieb die Kommission: "Dieses Doping wurde, wie hier erstmals bewiesen werden kann, auch vom BDR aus einem eigenen 'Ärzteplan' finanziert. Dabei ist derzeit nicht auszuschließen, dass auch Minderjährige Dopingmittel erhalten haben könnten."
Die neuen Erkenntnisse zum Doping im BDR und im Profi-Fußball wurden in einem etwa 60-seitigen Sondergutachten zusammengefasst. Die Evaluierungskommission werde in den nächsten Wochen darüber beraten, ob sie diesen Text als Zwischenbericht gegebenenfalls vor Abschluss sämtlicher Arbeiten veröffentlichen will, hieß es in Singlers Stellungnahme.
"Berechtigtes Informationsbedürfnis"
Singler, der am Heidelberger Zentrum für Dopingprävention arbeitet, veröffentlichte die Details, da er das "berechtigte Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit so zeitnah bedient werden soll, wie dies der Kommission nach wochenlanger intensiver Sichtung und Auswertung der Akten möglich war". Gleichzeitig bot er den übrigen Kommissionsmitgliedern seinen Rücktritt an. Paoli teilte mit, dass die Kommission über dieses Angebot beraten werde.
Die Mafia-Expertin von der belgischen Universität in Leuven bestätigte immerhin: "Die von Dr. Singler aus den bei Prof. Dr. Armin Klümper im Zuge der Ermittlungen 1983 und 1984 beschlagnahmten Unterlagen erhobenen Dopingvorwürfe gegen Prof. Klümper, dem Bund Deutscher Radfahrer, dem VFB Stuttgart und dem SC Freiburg sind nach meiner Kenntnis durch die Akten belegt."
Singler schrieb: Es sei mit den Ermittlungen der Nachweis möglich, "dass Doping in der Bundesrepublik Deutschland keineswegs nur der individuellen Verantwortung einzelner Sportler überstellt war, sondern dass es über einzelne Sportverbände oder Sportvereine mitunter zentral organisiert und finanziert wurde".
Quelle: ntv.de, cwo/dpa/sid