Fußball

Hamann lässt es wieder krachen Für Thomas Tuchel wird's arg ungemütlich

446544910.jpg

Bayer 04 Leverkusen lässt dem FC Bayern im Topspiel der Fußball-Bundesliga keine Chance. Hernach rückt Münchens Trainer Thomas Tuchel in den Fokus. Er hatte mit einem neuen System und personellen Entscheidungen überrascht, die keine Früchte trugen. Der Druck steigt.

Der FC Bayern verliert niemals einfach nur so. Niederlagen des Rekordmeisters hallen nach. Und jene von diesem Wochenende ganz besonders. Mit 0:3 (0:1) hatten die Münchner bei Bayer 04 Leverkusen verloren und damit auch den Anschluss an die Tabellenspitze. Bei einem Sieg wäre sogar die Eroberung des Spitzenplatzes möglich gewesen. So aber schleppen die Bayern nun einen Rückstand von fünf Punkten auf Bayer mit sich herum. Ob sie den noch abknabbern können? Ob sie tatsächlich noch einmal das Ruder im Titelkampf herumreißen können?

Schwerer als der Punkterucksack aber wiegen die sportlichen Folgen des erschütternden Auftritts in der BayArena. Zwar bemühte sich Trainer Thomas Tuchel darum, die eigene Leistung besser zu reden als sie war. Er lobte die hohe Verteidigung und die vielen Ballgewinne, vor allem in der ersten Halbzeit, seiner Mannschaft. Er empfand die Niederlage als zu hoch. Und sah den Unterschied zwischen beiden Teams in den geschossenen Toren. Die Statistiken wiesen mehr Ballbesitz für seinen FC Bayern aus und eine bessere Zweikampfquote.

Was die Zahlen indes nicht ausdrücken: das Level der Leidenschaft. Und in dieser Kategorie performten die Gastgeber wieder einmal auf einem ganz hohen Niveau, während die Gäste ideenlos, mutlos, leblos agierten. Von den gefürchteten Topspiel-Bayern fehlte jede Spur. Joker Thomas Müller nahm seine Mitspieler mit einer Brandrede in die Pflicht. Wieder einmal. Schon nach der Pokal-Blamage beim 1. FC Saarbrücken hatte die Ikone tüchtig gerüffelt, damals, weil seine Kollegen überwiegend grußlos in die Katakomben geschlichen waren.

Tuchel? "Da ändert sich gar nichts"

In Leverkusen passierte das nicht. Mit leerem Blick bedankten sich die schwer angeschlagenen Stars bei den Fans für die Unterstützung. Lediglich einer sprintete unmittelbar nach Abpfiff in die Kabine: Trainer Tuchel. Mit Wut in den Augen brauchte er ganz offensichtlich einen Moment für sich. Erst ein, zwei Minuten später folgten seine Spieler. Was in der Kabine passiert ist, gesagt wurde, das wissen wir nicht. Allerdings waren die Sprachrohre der Münchner, Thomas Müller, Joshua Kimmich und Manuel Neuer, mächtig angezündet. Sie alle waren angesichts der gezeigten Leistung fassungslos und richteten hart über sich. Eine Erklärung fanden sie aber nicht.

Für die ist Tuchel verantwortlich. Das fand auch Klubchef Jan-Christian Dreesen. Erklärungen für die Demütigung seien notwendig. Zu erfragen seien diese beim Trainer, darum bat der Boss. Ihm war es aber unbedingt wichtig, sich gegen die nun heraufziehenden Diskussionen um Tuchel zu wehren. "Da ändert sich gar nichts", sagte der Vorstandschef und meinte Tuchels Situation. Aber Antworten will er schon, dadurch wirkte der Versuch, allen Zweifeln vorzubeugen, nur halbwegs gelungen. Mit einer Entlassung, wie einst Nagelsmann nach der Pleite gegen Bayer, muss der amtierende Übungsleiter nun nicht rechnen. Aber mit reichlich Kritik.

Den Boden dafür hatte er selbst gelegt. Gegen Leverkusen hatte er sein System verändert, statt der etablierten Viererkette, gab es erstmals einen Verbund mit drei Innen- und zwei Außenverteidigern. Alles war ausgerichtet auf den pfeilschnellen Jeremie Frimpong, den Xabi Alonso aber zunächst auf der Bank ließ. Das erste Duell am Pokertisch der Trainer hatte Bayers Spanier gewonnen. Und auch das zweite: Er überließ den Bayern den Ball, seine Mannschaft sollte mit allem Freigeist gnadenlos kontern. Die Münchner fanden keine Mittel gegen die überragend gut sortierten Leverkusener. Und die schlugen in den richtigen Momenten zu. Mit messerscharfer Präzision, aber stets auch begleitet von schlafmützigen Bayern-Verteidigern.

Die lange Liste der Warum-Fragen

Dies warf weitere große Fragen auf. Warum vertraute Tuchel auf Dayot Upamecano, der gerade erst von einer Verletzung genesen war. Und warum auf Min-jae Kim, der erst wenige Tage zuvor ausgelaugt vom Asien-Cup zurückgekehrt war? Immerhin konnte Eric Dier, der auf diesem Niveau lange keine Spielzeit bekommen hatte, ein paar Argumente für sich liefern. Er organisierte und übernahm die Chefrolle. Aber warum setzte der Trainer Matthijs de Ligt nur auf die Bank, der in guter Form und "topfit" war, wie er in der Katakomben erklärte und dabei ziemlich gekränkt wirkte. Die Liste der Warum-Fragen war damit längst nicht abgehakt. Warum spielte Joshua Kimmich, der sich fit gemeldet hatte, nicht von Beginn an? Und warum nicht Thomas Müller?

Nun, die Müller-Frage ist in München längst keine große mehr. Tuchel hat den mächtigsten Vertreter der "Mia-san-mia"-Fraktion zum Joker erklärt. Startelfeinsätze gibt es kaum noch, weil die meisten Spiele keine Thomas-Müller-Spiele sind, so begründet es Tuchel. Was dann genau ein Spiel für Müller ist, scheint indes nicht so ganz klar. Dabei gebe es gerade viele Gründe, den 34-Jährigen zu bringen. Diese Mannschaft taumelt und sehnt sich nach Führung. Nach Typen wie Müller und Kimmich. Als sie am Samstagabend nach 60 Minuten aufs Feld kamen, um noch zu retten, was nicht mehr zu retten war, erhielt das Münchner Spiel sofort mehr Halt. An der erschreckenden Harmlosigkeit der Rekordmeister-Elf konnten sie allerdings auch nichts mehr reparieren.

Die Bayern blieben ohne Torschuss, Starstürmer Harry Kane ohne Wirkung und Leroy Sané ohne nennenswerten Einfluss. Diese beiden waren es aber gewesen, die die Münchner durch die Hinrunde getragen hatten. Sie hatten mit überragenden Leistungen so einiges kaschiert, was nicht rund gelaufen war, aber immerhin noch mit guten Ergebnissen belohnt worden war. Nun ist Kane vom Offensivspiel abgeschnitten und Sané nicht mehr mit dem Selbstvertrauen der Hinrunde unterwegs. Weil auch Jamal Musiala derzeit schwächelt, ist die Offensive außer Dienst gestellt. Müller vermisst die Freiheit zum Zocken, die Freude am Spiel, die Bayer mit jeder Pore lebt.

Tuchel-raus-Plakat an der Säbener Straße

Mehr zum Thema

Tuchel steht angesichts der übergroßen Liste an Problemen mächtig unter Druck. Die ersten Fans wenden sich gegen den Trainer. An der Säbener Straße tauchte am Sonntag ein Plakat auf, das den Rauswurf forderte. Der ist aber aktuell kein Thema. Der FC Bayern würde immer mehr zum Trainerfresser werden, zuletzt waren ja bereits Julian Nagelsmann und Hansi Flick gestolpert. Auch ein Carlo Ancelotti. Große Namen. Was bleibt? Eventuell ja ein Xabi Alonso. Die Gerüchte um die Zuneigung der Münchner für den Spanier halten sich hartnäckig.

Dietmar Hamann, der Chefkritiker, der zuletzt über das Ziel hinausgeschossen war und sich dafür entschuldigt hatte, hat neue Kraft für den nächsten Frontalangriff auf Tuchel genutzt. Er zerfledderte dessen Plan gegen Bayer und sah über die vergangenen Monate drei Spieler "demontiert", de Ligt, Kimmich und auch Leon Goretzka. "Da brauchst du dich nicht wundern, wenn du in so einem Spiel keine Führung hast und es keinen Widerstand gibt." Und auf rasendem Puls, ließ er es weiter krachen: "Bei Bayern hast du das Gefühl, dass immer nur der läuft, der den Ball hat. Sie machen momentan Einzelsport in der Gruppe. Und so spielen sie seit Wochen und Monaten." Lothar Matthäus, der leiser gewordene Experte, sieht eine "Sturmgefahr an der Säbener Straße". Nun werde es bei den Bayern "rauschen". Auf allen Ebenen. Der FC Bayern verliert niemals einfach nur so.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen