Fußball

Zum Tod von Kay Bernstein Der deutsche Fußball verliert eine Stimme der Menschlichkeit

Kay Bernstein.

Kay Bernstein.

(Foto: picture alliance / nordphoto GmbH / Engler)

Der plötzliche Tod des Hertha-Präsidenten Kay Bernstein erschüttert Berlin und den deutschen Fußball. Der 43-Jährige hinterlässt ein gewaltiges Erbe. Seine Vision von einem neuen Fußball war nicht nur auf Hertha BSC angelegt. Der Profisport verliert eine wichtige Stimme.

Kay Bernstein ist tot. Der Präsident von Hertha BSC ist mit nur 43 Jahren gestorben. Sein Tod reißt eine klaffende Wunde in die Welt des Fußballs, weit über Berlin hinaus. Dem im Juni 2022 zum Präsidenten gewählten Bernstein war es in den kurzen Monaten seiner Amtszeit gelungen, Hertha BSC nach turbulenten Jahren zurück zu den Menschen bringen. In kürzester Zeit war er zu einer prägenden Figur des Fußballs aufgestiegen. Nur ganz selten sah man ihn ohne sein Markenzeichen, seine blaue Hertha-Trainingsjacke. Hertha BSC hatte ihn, den sie im vergangenen Jahr noch "Kay aus der Kurve" nannten, nie losgelassen. Der Hauptstadtklub hatte sein Leben geprägt.

Seine Wahl zum Vereinspräsidenten im Juni 2022 war überraschend und doch eine logische Entwicklung. Damals setzte er sich gegen den Kandidaten des Establishments, Frank Steffel, durch. Die Berliner hatten genug von den chaotischen Jahren und wählten den kompletten Neuanfang. Bernstein hatte sich im Vorfeld der Wahl klar positioniert. Es ging ihm um seinen Verein und es ging ihm auch darum, dem Fußball neue Perspektiven aufzuzeigen. Das war ihm ein Anliegen. Weil er an die Kraft des Fußballs als Kulturgut glaubte.

Als es nach seiner Wahl zu Vereinsaustritten kam, wollte er wissen, warum die Fans ihre Mitgliedschaft aufkündigen wollten. Bernstein war von dem Gedanken einer großen Hertha-Familie beseelt und wusste, dass es dabei auch andere Meinungen auszuhalten gilt. Indem er den Menschen zuhörte, sie ernst nahm und sie auf Augenhöhe behandelte, gewann er viele Herzen. Dabei war es ihm nicht wichtig, woher die Menschen kamen und welchen Nutzen sie für ihn haben könnten. Bernstein glaubte an das Gute im Menschen. Das wollte er, der im Jahr 1998 Mitgründer der Berliner Ultra-Gruppierung Harlekins war, aus ihnen herauskitzeln.

Mit der Ultraszene die Affenlaute aus dem Stadion vertrieben

Seine Zeit in der Kurve war für ihn ein riesengroßer Abenteuerspielplatz. Dort probierte er sich aus. Der gelernte Elektriker und Industriemechaniker ging freitags Blutspenden, um seine Reisen zu den Auswärtsspielen seiner Hertha zu finanzieren. Sein Lebensinhalt damals waren "Auswärtsfahrten, Trainingslager, Choreos, die Gruppe", erzählte er im vergangenen Juli gegenüber ntv.de. Bernstein gehört der ersten Generation von Ultras an. Er war stolz darauf, mit der Ultraszene die Affenlaute aus dem Stadion und die NPD vom Stadionvorplatz vertrieben zu haben. Sie hatten einfach losgelegt, ohne Plan, aber mit dem Gespür dafür, was jetzt sein musste.

Bereits 2012 organisierte er, damals noch ein aktiver Fan, den Fankongress in Berlin. Vertreter aller Fanszenen des Landes, aber auch Hannover-Präsident Martin Kind, Vertreter von Sky und DFB waren dabei, um über die Zukunft des deutschen Fußballs aus Sicht der Fans zu diskutieren. Es war der beste Versuch, zerstrittene Lager zusammenzubringen. "Wir sollten einfach mal fragen, wem der Fußball eigentlich gehört. Was haben wir für eine Verantwortung für das Spiel", so Bernstein im Sommer 2023, als er nach dem Abstieg der Hertha bemerkenswert offen über das System Fußball sprach, das für ihn in Teilen korrupt war.

Immer wieder muss er Feuer löschen

Hertha selbst war für die Irrwege des Profifußballs das beste Beispiel. Die Auswirkungen der turbulenten Jahre begleiteten Hertha durch die kurze Amtszeit von Bernstein. Das Ende der Verbindung mit dem omnipräsenten Investor Lars Windhorst, die massiven Kürzungen auf der Geschäftsstelle, die gerichtlichen Auseinandersetzungen mit ehemaligen Mitarbeitern, der Einstieg des neuen, ebenfalls umstrittenen Investors 777 Partners, der Abstieg in die Zweite Bundesliga, das Bangen um die Lizenz und die Affäre um Torhüter Marius Gersbeck. Sein erstes Jahr als Präsident habe sich angefühlt wie drei Jahre, erzählte Bernstein im Sommer 2023. Die ersten Monate in der zweiten Liga mussten sich wie ein Jahr angefühlt haben. Immer war etwas los, immer war ein Feuer zu löschen. Dazu kamen die zermürbenden Attacken des Boulevards, die auch gegen seine Person gerichtet waren.

Bernstein gab nicht auf, die Stimmung rund um den Verein wurde immer besser und der Berliner Weg mit vollem Fokus auf junge Talente aus dem eigenen Nachwuchs erfolgreicher. Nicht nur der ewige Trainer Pal Dardai war zurückgekehrt, sondern auch der heutige Sportdirektor Benjamin Weber oder die Vereinslegende Zecke Neuendorf. Sie begannen, seine Vision umzusetzen. Im Oktober verpasste Bernstein nach einem Unfall die Mitgliederversammlung. Er meldete sich aus dem Krankenhaus.

In der vergangenen Woche hatte er das Profiteam im Trainingslager in Spanien besucht und sich dabei wie immer optimistisch gezeigt. Wie alle im Verein träumte auch Bernstein von der großen Sensation im DFB-Pokal. Dort empfängt Hertha Ende des Monats im Viertelfinale den Liga-Konkurrenten 1. FC Kaiserslautern. Das Finale im Olympiastadion war sein großer Traum. Das hatte noch keine Profimannschaft von Hertha geschafft. Was wäre das für eine Freude, es im Jahr nach dem Abstieg den Hertha-Bubis von 1993 gleichzutun. Die zweite Mannschaft hatte damals sensationell das Pokalfinale erreicht und dort gegen Bayer Leverkusen verloren.

Bernstein verschafft Hertha eine neue Identität

Aber das waren Träume. Der 43-Jährige sah Hertha auch so auf einem guten Weg. Der Verein hatte sich im ersten Halbjahr der zweiten Liga erholen können. Sie standen nicht länger im Rampenlicht, sie konnten einmal verschnaufen. In den kommenden Monaten, so hoffte der bis Oktober 2024 gewählte Bernstein, würde der Klub die gröbsten Probleme überwunden haben, auch wenn der Weg zur finanziellen Gesundung weiter ein beschwerlicher war und ist. Der Weg führt weiter über umstrittene Investoren und Trikotsponsoren. All das war ihm bewusst.

Mit Kay Bernstein verliert der deutsche Fußball einen, der noch überhaupt nicht angefangen hatte. Er verliert eine große Persönlichkeit, die um die Kraft des Fußballs wusste und die gewillt war, gegen die immer wilderen Auswüchse zu kämpfen. Dass Bernstein dazu befähigt war, beweist die Bilanz seiner Zeit bei Hertha BSC. Anfangs belächelt, hat er mit seiner Revolution der Menschlichkeit der Hertha eine neue Identität verschafft. Es ist eine, die sich nicht mehr nur über sportliche Erfolge definiert, sondern darüber, was ein Fußballverein im Jahr 2024 auch ist: Ein Ort, an dem sich Menschen treffen und gemeinsame Erinnerungen schaffen. Ein großer Abenteuerspielplatz, auf dem so viel mehr nachgespielt wird, als das, was unten auf dem Feld passiert.

"Die Menschen", sagte Bernstein, "lieben dieses Spiel, für sie ist das Stadion Heimat. Der Fußball braucht einen verantwortungsvollen Umgang gegenüber den Menschen, die diesen Fußball ausmachen, den Fans." Diese ursprüngliche Liebe für den Fußball vermittelte der in Berlin-Marzahn aufgewachsene Bernstein. Sein großer Traum war ein "Buch der Generationen". Es sollte ein Buch werden, in der jede Fan-Generation der nächsten übermittelt, was die Ausgangslage war und was erreicht wurde. "Ein Buch, in dem festgehalten wird, was bewahrt werden soll." Nicht nur in diesem Buch, das noch nicht geschrieben ist, hat Bernstein seine Spuren hinterlassen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen