Fußball

Großes Kino, keine Magie Gladbach scheitert, Favre hadert, Fans feiern

Entsetzen auf der Tribüne: Xhaka bekommt die Rote Karte.

Entsetzen auf der Tribüne: Xhaka bekommt die Rote Karte.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wenn der Kapitän sich schämt, weil die Anhänger ihre Mannschaft bejubeln - dann hat Borussia Mönchengladbach gerade das Achtelfinale der Europaliga verpasst. Weil der FC Sevilla cleverer ist.

Mit der Magie ist das so eine Sache. Man kann sie schwer erzwingen. Auch die Fußballer von Borussia Mönchengladbach nicht. Klar, Christoph Kramer hatte schon darüber nachgedacht, was passiert wäre, hätte sein Kollege Thorgan Hazard den Ball nach 74 Minuten, als es noch 2:2 stand, nicht an den Pfosten geschossen - sondern ins Tor des FC Sevilla. "Dann brennt’s hier richtig." Und den Gladbachern hätte nur noch ein Treffer gefehlt. "Aber", sagte Kramer, "das ist mir ein bisschen zu viel hätte und wenn". Fünf Minuten später traf Sevillas Vitolo zum zweiten Mal an diesem Donnerstagabend, der Titelverteidiger aus Spanien gewann mit 3:2 und zog nach dem 1:0 im Hinspiel vor einer Woche ins Achtelfinale der Europaliga ein.

Mönchengladbach - Sevilla 2:3 (2:2)

Tore: 0:1 Bacca (8.), 1:1 Xhaka (19.), 1:2 Vitolo (26.), 2:2 Hazard (29.), 2:3 Vitolo (79.)

Mönchengladbach: Sommer - Jantschke  (78. Johnson), Stranzl, Dominguez (78. Hrgota), Wendt - Xhaka,  Kramer - Herrmann (73. Traore), Hazard - Raffael, Kruse

Sevilla: Rico - Figueiras, Carrico, Kolodziejczak, Tremoulinas  (82. Navarro) - Krychowiak, Iborra - Aleix Vidal, Banega (65. Mbia),  Vitolo - Bacca (78. Gameiro)

Referee: Strahonja Zuschauer: 45.337
Schüsse: 25:14 Ecken: 7:0 Ballbes.: 70:30

Dabei hatten sie sich in Mönchengladbach doch so danach gesehnt, zum ersten Mal seit 1987 bei einem europäischen Wettbewerb die Runde der besten 16 Teams zu erreichen. Sie hatten auf eine "unvergessliche", gar "magische" Europapokalnacht gehofft. Nun müssen sie sich damit zufrieden sein, den 45.337 Zuschauern zwar großes Kino geboten zu haben, aber es eben wieder nicht geschafft zu haben. Trainer Lucien Favre bemühte sich hinterher, das Gute im Schlechten zu sehen. "Wir sind hohes Risiko gegangen, sind enorm viel gelaufen und haben viele Torchancen kreiert." Das ist alles richtig, aber allenfalls die halbe Wahrheit.

Die Gladbacher ließen sich auskontern. Das war nicht der Plan, natürlich nicht. "Wir müssen die Konzentration 90 Minuten hochhalten und cleverer verteidigen", räumte Favre ein. "Wir dürfen nicht den Ball verlieren, wenn es gefährlich wird." Hatten sie aber, zum ersten Mal nach neun Minuten, als Carlos Bacca Sevilla erstmals in Führung brachte, zum zweiten Mal nach 20 Minuten, als besagter Vitolo sein erstes Tor schoss. Zwischendurch hatten Granit Xhaka (19.) und Thorgan Hazard (29.) jeweils ausgeglichen. Dennoch: "Wir hatten einen so guten Gegner wie den FC Sevilla lange Zeit im Griff und sind unglaublich viel gelaufen. Das ist positiv." Und dann haderte Favre doch ein wenig: "Ich habe immer daran geglaubt, dass alles möglich ist. Wenn wir das 3:2 machen, ich bin sicher, dann hätten wir es geschafft."

"Die Konzentration 90 Minuten hochhalten und cleverer verteidigen": Trainer Lucien Favre (r.) erklärt Max Kruse die Strategie.

"Die Konzentration 90 Minuten hochhalten und cleverer verteidigen": Trainer Lucien Favre (r.) erklärt Max Kruse die Strategie.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Ein bisschen zu viel hätte und wenn"

Mag sein, aber am Ende war das doch "ein bisschen zu viel hätte und wenn". So ist es müßig, darüber zu spekulieren, wie die Sache ausgegangen wäre, hätte Xhaka, einer der besten Borussen an diesem Abend, nach 68. Minuten nicht nach seiner zweiten Gelben Karte vom Rasen gemusst. Seiner Mannschaft tat er jedenfalls mit seinem dummen Tritt in die Hacken seines Gegenspielers Benoit Trémoulinas keinen Gefallen. "Es war sehr enttäuschend für mich und es tut mir sehr leid, dass ich der Mannschaft in den letzten Minuten nicht mehr helfen konnte." Es ist auch müßig, darauf hinzuweisen, dass Favre den Schweizer Nationalspieler besser vorher ausgewechselt hätte. Der Traum von Europa ist vorbei.

Dabei war es eben jener Xhaka, 22 Jahre alt, der just seinen Vertrag bis 2019 verlängert und im Interview mit der "Sport Bild" seine und die Sehnsüchte seines Klubs formuliert hatte: "Wir werden auch mit Gladbach Titel holen. Ich bin überzeugt, dass dieser Traum mal in Erfüllung gehen wird." Als Xhaka zwei Jahre alt war, hat die Borussia zum bisher letzten Mal etwas gewonnen - den DFB-Pokal im Jahr 1995, der dritte Sieg in diesem Wettbewerb nach 1960 und 1973. Der bisher letzte internationale Titel liegt noch länger zurück: 1979, da war Xhaka noch nicht einmal geplant, siegten die Gladbacher zum zweiten Mal nach 1975 im Uefa-Pokal, dem Vorläufer der Europaliga. Deutscher Meister wurden sie 1970, 1971, 1975, 1976 und 1977. Und wie jeder Verein, der eine hat, betonen sie diese Tradition.

Die Tradition lebt, doch die Sehnsucht ist groß

Die Logen im Borussia-Park haben Namen wie "Pfostenbruch" und "Zwölf zu Null", es gibt den VIP-Raum "Büchsenwurf". Das waren Zeiten, als am 3. April 1971 im alten Stadion auf dem Bökelberg während der Partie gegen Werder Bremen der Holzpfosten eines der Tore einknickte und das Spiel abgebrochen werden musste; als die Fohlenelf am letzten Spieltag der Saison 1977/1978 die Namenscousine aus Dortmund mit 12:0 - immer noch der höchste Sieg in der Geschichte der Bundesliga - aus dem Düsseldorfer Rheinstadion fegte - und doch dem 1. FC Köln die Meisterschaft überlassen musste; und als die Gladbacher am 20. Oktober 1971 Inter Mailand mit 7:1 besiegten - und das Spiel wiederholt werden musste, weil der Italiener Roberto Boninsegna von einer Getränkedose getroffen worden war. Das ist ein Teil der Geschichte von Borussia - aber lange her. Nun sehnen sie sich nach neuen Erfolgen.

Es ist nicht verkehrt, das zu wissen, um zu begreifen, warum sie sich am Niederrhein so sehr an dieser Europaliga erfreut haben, die als kleine Schwester der Champions League nur europäische Zweitklassigkeit bedeutet. Die Stimmung im Stadion jedenfalls war an diesem Donnerstagabend schlichtweg grandios. Nach der Partie mussten die Verlierer eine komplette Ehrenrunde laufen - und von allen Seiten brandete ihnen Applaus entgegen. Kapitän Martin Stranzl war diese überbordende Begeisterung fast peinlich. "Das war schon ein wenig unangenehm, weil die Fans uns doch die ganze Zeit angefeuert und gepusht haben." Lieber hätte er ihnen etwas zurückgegeben und sich ihnen als Sieger präsentiert

Aber es gibt noch Hoffnung für die Gladbacher. Das ist ja das Schöne am Fußball, es geht immer weiter. In der Tabelle der Bundesliga sind die Plätze eins und zwei in dieser Saison fest an den FC Bayern und den VfL Wolfsburg vergeben. Dahinter aber folgt die Elf vom Niederrhein auf Rang drei. Hält sie das bis zum Ende durch, heißt es in der nächsten Saison wieder: Europapokal. Und zwar eine Etage höher in der Königsklasse. Neue Liga, neues Glück? Jedenfalls eine neue Option auf das, was sie sich in Mönchengladbach so sehr wünschen. Auch wenn sie eine magische Nacht nicht erzwingen können.

Quelle: ntv.de

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