Uli Stein im Interview "HSV fehlt fußballerische Fachkompetenz"
14.05.2018, 13:00 Uhr
Nach 1866 Spielen ist die Erstliga-Uhr des Hamburger SV abgelaufen. "Das kam nicht überraschend", sagt Klubidol Uli Stein. Er nennt im Interview mit ntv.de Gründe und Schuldige für den Niedergang des nun Ex-Dinos der Fußball-Bundesliga, sagt, was in der kommenden Saison zählt und hat auch eine Meinung dazu, ob der HSV den direkten Wiederaufstieg schafft.
n-tv.de: 55 Jahre, 1866 Erstliga-Spiele - nun heißt es erstmals: "2. Liga, der HSV ist dabei!" Wie ist die Stimmung nach dem Abstieg in Hamburg?
Uli Stein: Auf der einen Seite klar Trauer. Auf der anderen Seite hört man aber auch viele, die sagen: Kopf hoch, weiter geht's! Das ist verbunden mit der Hoffnung, dass man es in der zweiten Liga besser macht als in der jüngsten Erstliga-Vergangenheit.
Also keine Depression, sondern eher in Richtung "Na dann eben jetzt eine Saison Zweitklassigkeit und direkt zurück ins deutsche Fußball-Oberhaus"?
Genau so. Aber man sollte hier auch nicht vergessen, dass das auch Gefahren birgt.
Welche sind das?
Naja, nur weil es alle wollen, ist das Ganze ja noch kein Selbstläufer. In der zweiten Liga wird anders gespielt als in der Fußball-Bundesliga. Mehr Härte, mehr Kampf. Fight, Fight, Fight!
Spielt es eine Rolle, dass es nun erst einmal nicht mehr gegen die Bayern, Dortmunder oder Schalker geht, sondern gegen Sandhausen oder Heidenheim?
Das spielt im mentalen Bereich sicher eine Rolle, wenn du auswärts nicht vor 80.000 wie in Dortmund spielst, sondern vielleicht vor 8000 Fans. Je eher man als Spieler das weiß und verarbeitet, umso besser für das Team. Ganz klar.
Uli Stein, 1954 in Hamburg geboren, spielte 512 Mal in der Bundesliga. Neben Arminia Bielefeld (1976-80, 1995-97) und Eintracht Frankfurt (1987-94, Pokalsieger 1988) stand er auch im Tor des Hamburger SV (1980-87, 1994/95). Mit dem HSV gewann er 1983 den Europapokal der Landesmeister, 1987 den DFB-Pokal und wurde zweimal Deutscher Meister (1982, 1983). Sechs Mal stand er im Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Bei der WM 1986 in Mexiko bezeichnete er Teamchef Franz Beckenbauer als "Suppenkasper" und flog aus dem Team. Steins Autobiografie "Halbzeit" (1993) war ein Bestseller. Heute ist er unter anderem RTL-Fußballexperte.
In die Köpfe der HSV-Spieler muss auch: Jeder Zweitligist will den "Bundesliga-Dino" besiegen, der nach dem Abstieg so etwas wie der FC Bayern der zweiten Liga sein dürfte.
Das kommt noch hinzu. Aber das gilt auch für den 1. FC Köln. Darauf müssen sich die beiden Erstliga-Absteiger einstellen. Darüber müssen sich die Verantwortlichen sowohl in Hamburg als auch beim FC im Klaren sein.
Kann der direkte Wiederaufstieg gelingen?
Schaut man sich die anderen Mannschaften der zweiten Liga an, bei allem Respekt natürlich, kann es für den HSV, für Köln aber auch, als Ziel nur heißen: direkter Wiederaufstieg! Aber wie gesagt: Es wird kein Selbstläufer, sondern ein hartes Stück Arbeit. Die zweite Liga ist zumindest für den HSV ja Neuland.
Anders gefragt: Muss er sogar gelingen? Schließlich will Mäzen Klaus-Michael Kühne sein Engagement ja auf den Prüfstand stellen.
Das ist schwer zu sagen. Dafür bin ich, was das betrifft, zu weit weg. Allerdings hat man ja die Lizenz ohne Auflagen erhalten, auch für die zweite Liga. So gesehen dürfte es kaum finanziellen Druck geben. Zumindest was die kommende Saison betrifft. Darüber hinaus mag das vielleicht schon wieder ganz anders aussehen. Aber so weit sollten Mannschaft und Verantwortliche nicht vorausschauen. Jetzt heißt es erst einmal: Situation annehmen und das Beste daraus machen.
Eben das ist dem Verein in den vergangenen Jahren nicht gelungen. Der Abstieg kam ja nicht überraschend, er hat sich vielmehr über Jahre abgezeichnet.
Ich würde so weit gehen, zu sagen: Die Verantwortlichen des Vereins haben systematisch darauf hingearbeitet. Man hat zwei Mal in Folge Relegation gespielt und nicht wirklich überzeugt. Und im vergangenen Jahr konnte man sich erst am letzten Spieltag retten. Trotzdem hat man nichts daraus gelernt, hat es vielmehr von Jahr zu Jahr noch schlechter gemacht - das spricht natürlich nicht für die Qualität der Verantwortlichen innerhalb des Vereins. Es fehlt an fußballerischer Fachkompetenz.
Ein Problem, das jetzt auch Boss Bernd Hoffmann erkannt hat.
Richtig. Er hat deutlich gemacht, dass es höchste Zeit ist, sich in der sportlichen Führung zu verstärken, und dass man Leute holt, die vom Fußball Ahnung haben. Wenn das gelingt, ist das schon einmal ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung.
Apropos Schritt in die richtige Richtung: Erst der dritte Trainer in dieser Saison, Christian Titz, hauchte der Mannschaft wieder Leben ein. 13 Punkte aus 8 Spielen - sein Punkteschnitt ist der fünftbeste der Liga. Kam der Wechsel von Bernd Hollerbach zu ihm zu spät?
Ich sage ganz klar: Definitiv! Wenn man Titz drei, vier Wochen eher geholt hätte, wäre der HSV nicht abgestiegen.
Andererseits hatten viele bereits bei Hollerbach, einem HSV-Urgestein, gedacht, das wird etwas ...
Hollerbach war in meinen Augen eine komplette Fehleinschätzung. Wenn ich als Verantwortlicher einen Trainer hole, schaue ich: Was hat er früher gemacht, wo kommt er her? Sicher, Hollerbach ist mit Würzburg in die 2. Liga aufgestiegen. Aber wie er die Würzburger dort hat spielen lassen, war mir zumindest klar, dass das kein Trainer für den HSV ist.
Im Gegensatz zu Titz. Er bleibt auch in der zweiten Liga Trainer des HSV. Mitabsteiger 1. FC Köln holt dagegen mit Markus Anfang einen neuen Coach. Ist die Entscheidung pro Titz die richtige?
Absolut! Dass der HSV auch in der zweiten Liga an Titz festhält, ist die richtige Entscheidung. Er hat die Spieler erreicht. Sie haben das umgesetzt, was er ihnen vorgegeben hat. Seine Handschrift ist klar erkennbar. Und: Er hat eine Menge Spieler besser gemacht. In dieser Situation nun einen neuen Trainer zu holen, wäre fatal gewesen.
Auch einige Spieler haben ihre Bereitschaft erklärt, mit in die zweite Liga zu gehen. Der ehemalige U23-Coach Titz hat zuletzt vor allem jungen, hungrigen Spielern die Möglichkeit gegeben, sich zu präsentieren: Torwart Julian Pollersbeck, Matti Steinmann, Tatsuya Ito. Auch Jann-Fiete Arp gilt als ein HSV-Juwel. Die wecken natürlich Begehrlichkeiten.
Ganz klar. Aber wenn der HSV die finanziellen Möglichkeiten hat, sollte er versuchen, sie unbedingt zu halten. Sie sind die Zukunft des HSV, können Identifikationsfiguren werden. Aber darüber hinaus gilt es, eine gesunde Mischung zu finden.
Also auch ein paar ältere, gestandene Profis wie beispielsweise Lews Holtby, Aaron Hunt oder Götoku Sakai versuchen zu halten?
Genau. Da muss man jetzt halt schauen, wer von denen ist bereit, den Schritt in die Zweitklassigkeit mit zu gehen. Da spielt das Finanzielle natürlich eine Rolle: Sind die Spieler bereit, Einbußen hinzunehmen? Wenn ja, wie hoch? Und man muss halt auch schauen: Wer will den Spieler haben? Wenn da ein englischer Zweitligist daherkommt, hat der HSV kaum eine Chance. Da müssen die Verantwortlichen genau abwägen. Ich kann mir vorstellen, dass bei Holtby oder auch Filip Kostic das eine oder andere Angebot ins Haus flattern wird.
Offensiv hat der HSV mit Bobby Wood einen Stürmer, der beim 1. FC Union Berlin bereits bewiesen hat, dass er 2. Liga kann.
Vollkommen richtig. Wood hat gezeigt, dass er ein erstklassiger Zweitliga-Spieler ist. An ihm hat man aber auch gesehen, wie groß der Unterschied zwischen erster und zweiter Fußball-Bundesliga ist. Nichtsdestotrotz: Wood kann ich mir beim HSV in der neuen Saison sehr gut vorstellen.
Die Optimisten sprechen von einer Erneuerung, einem Neuaufbau in der zweiten Liga und führen das Beispiel VfB Stuttgart an, der nach dem direkten Wiederaufstieg noch von Europa träumen darf ...
Sie sagen es: Träumen! Der HSV ist gerade zum ersten Mal in seiner traditionsreichen Geschichte aus der 1. Fußball-Bundesliga abgestiegen. Er muss sich jetzt auf die Zweitliga-Saison konzentrieren. Fokus: direkter Wiederaufstieg. Punkt. Aus. Alles, was danach kommt, wird man später sehen.
Direkter Wiederaufstieg: Schafft ihn der HSV?
Wenn die Verantwortlichen seriös an die zweite Liga herangehen, bin ich überzeugt davon, dass der HSV in einem Jahr wieder erstklassig sein wird.
Mit Uli Stein sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de