Nur ins Stadion geh'n sie nicht Hertha in Europa? Ach, egal
15.09.2017, 09:33 Uhr
Sieht nach wenig aus; und ist es auch: 28.832 Zuschauer.
(Foto: imago/Nordphoto)
Vor trostloser Kulisse startet die Hertha in die Saison der Fußball-Europaliga - mit einer Nullnummer gegen Bilbao. Das Problem: Die, die dort waren, werden demnächst kaum ihre Freunde mitbringen. Was nun?
Wie heißt es in Herthas Hymne, die Frank Zander einst auf die Melodie von Rod Stewards Klassiker "Sailing" dichtete und vor fast 25 Jahren zum ersten Mal im Olympiastadion sang? "Nur nach Hause, nur nach Hause, nur nach Hause geh'n wir nicht." Abgesehen davon, dass sich der Sinn dieser Zeile auch dem geneigten Zuhörer bis heute nicht vollständig erschließt, sollte er, dieser Kalauer sei erlaubt, zur just begonnenen Saison in der Fußball-Europaliga das Lied bitte flugs umtexten: "Nur ins Stadion geh'n sie nicht."
Dabei haben die Berliner das ganze Schlamassel dem BVB zu verdanken. Weil Dortmund Ende Mai das Endspiel des DFB-Pokals gegen Frankfurt gewann, stand eine Woche nach dem letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga fest: Die Hertha hat sich als Tabellensechster direkt für die Europaliga qualifiziert. Und Trainer Pal Dardai hatte unmittelbar nach dem Abpfiff gesagt: "Das freut mich vor allem für meine Jungs, die unglaublich Tolles geleistet haben, aber auch für den gesamten Verein und unsere Fans." Das Problem ist: "Nur ins Stadion geh'n sie nicht." Genau so hatte es Dardai am Tag vor der Partie im Interview mit dem "Tagesspiegel" formuliert.
Beim 0:0 gegen den Athletic Club aus Bilbao sah das beim ersten Heimspiel seit Februar 2010 in Europas zweiter Liga so aus: 28.832 Zuschauer waren ins Olympiastadion gekommen, das erst ausverkauft ist, wenn 74.475 Menschen dort sind. Dabei waren die Preise moderat: Der Dreierpack für alle Gruppenspiele kostete 40,50 Euro für die Ostkurve mit den Heimfans, doch selbst die war nicht komplett voll; für die Kurve gegenüber kosteten die Tickets 54 Euro. Einzelkarten waren ab 15 und 20 Euro zu haben - ähnlich wie in der Bundesliga. Half aber alles nichts, die Kulisse an diesem kühlen Septemberabend im nur zu einem guten Drittel gefüllten Stadion war eher trostlos, auch wenn sie sich im Osten nach Kräften und im Rahmen dessen erfolgreich mühten, etwas Europapokalflair zu verbreiten: "Olé, olé, olé, Hertha BSC, wir spielen im Europacup, Power von der Spree."
Das hatte auch Dardai registriert: "Danke an die Zuschauer. Ich glaube, sie haben ein gutes Spiel gesehen. Wir können stolz sein auf unsere Farben." Immerhin stellen die Berliner die einzige deutsche Mannschaft, die zum Auftakt in der Europaliga einen Punkt geholt hat. Kapitän Vedad Ibisevic gab sich daher auch zufrieden: "Es war eine geilere Stimmung als an manchen Tagen, als es voller war. Schade, dass es nicht für den Sieg gereicht hat." Auch Mitchel Weiser wollte keine Publikumsschelte betreiben, im Gegenteil: "Ich mache den Fans keinen Vorwurf. Vielleicht kommen beim nächsten Mal wieder mehr - das liegt ja auch an unserer Leistung."
"Weil es mir zu spät ist"
Das Boulevardblatt "BZ" hatte vor dem Spiel seine Leser gefragt, warum sie nicht hingehen. Ergebnis: 57 Prozent der 2500 Menschen, die online abgestimmt hatten, gaben: "Weil es mir zu spät ist." Das Spiel am Donnerstag begann um 21 Uhr. Und 24 Prozent goutieren nicht, wie die Hertha Fußball spielt. Um sich für die Europaliga zu begeistern, muss man wohl Kölner sein. Oder eben echter Fan. Das Nullnull jedenfalls dürfte kaum einen Euphorieschub auslösen. Die Nullnummer gegen den mutmaßlich stärksten und attraktivsten Gegner in der Gruppe J geht für die Berliner zwar in Ordnung - mehr aber auch nicht. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass es bei den Partien gegen Sorja Luhansk aus der Ukraine am 2. November und gegen den Östersunds FK aus Schweden am 7. Dezember noch etwas trostloser wird.
Auch wenn sich die Hertha nach der Pause steigerte, besser war, zu Torchancen kam und mit etwas Glück hatte gewinnen können, war es kein Spiel, nach dem man nach Hause geht und bei seinen Freunden begeistert dafür wirbt, beim nächsten Europapokalabend doch bitte mitzukommen, weil es so aufregend war. Zehn, vielleicht 15 starke Minuten der Basken zu Beginn, und gute 15 Minuten der Herthaner rund um den Seitenwechsel - viel mehr gibt es da nicht zu erzählen. Vielleicht noch die Chance von Salomon Kalou eine Viertelstunde vor dem Abpfiff. Dabei hatten sie sich doch so darauf gefreut. Eigentlich.
Dardai, mit 42 Partien Berlins Rekordspieler im Europapokal, hatte allerdings bereits vorher erkannt: "Das ist die bittere Wahrheit. Das muss man akzeptieren, so sind die Berliner." Zuletzt hatte es die Hertha in der Saison 2009/2010 in die Gruppenphase der Europaliga geschafft. Beim 1:1 gegen den lettischen FK Ventspils kamen 13.454 Zuschauer in Olympiastadion. Noch einmal 320 weniger waren es beim 0:1 gegen den SC Heerenveen aus den Niederlanden, bevor 14.417 sich das 1:0 gegen Sporting aus Lissabon ansahen. Zum 1:1 in der Zwischenrunde gegen Benfica kamen 13.684 Fans.
Nur einmal im den vergangenen 17 Jahren war die Hütte annähernd voll: gegen Galatasaray am 2. Dezember 2008 vor 62.612 Zuschauern. "Groß-Istanbul gewinnt in Klein-Istanbul", titelte der "Tagesspiegel" nach dem 0:1. Welche Mannschaft ein Großteil der Fans anfeuerte hatte, dürfte klar sein. Und die Hertha hatte als gute Gastgeberin gar einen türkischen Stadionsprecher engagiert, Vielleicht ist das eine Idee für die Partie gegen Luhansk. Es sollen ja immerhin 11.134 Ukrainer in Berlin leben. Vielleicht gehen die ja ins Stadion.
Quelle: ntv.de