Schillernde Trainer-Ikone tot Provokateur, Großmaul, DFB-Fiasko: Mit Daum war's nie langweilig
25.08.2024, 08:19 Uhr
Christoph Daum galt als Sprücheklopfer und Lautsprecher, als Motivationskünstler und Messias. Hohen Hürden hat der einstige Meistertrainer sich nie widersetzt, seinen größten Kampf nun aber verloren. Die Fußball-Bundesliga verliert eine seiner schillerndsten Persönlichkeiten.
Nachrichten wie diese erwischen einen ja immer auf dem falschen Fuß. Selbst wenn man sich seit längerer Zeit darauf einstellen konnte. Christoph Daum, eine der schillerndsten Figuren der Fußball-Bundesliga, hat an diesem Samstag den Kampf gegen den Krebs verloren. Im Alter von nur 70 Jahren ist der ebenso streitbare wie beliebte Trainer "im Kreise seiner Familie verstorben." In den vergangenen Monaten hatte der Mann, der am 24. Oktober 1953 in Zwickau geboren wurde, und nun in Köln verstarb, stark abgebaut. Die Deutsche Presseagentur berichtet davon, dass es Nächte gab, in denen Daum kaum mehr einschlafen konnte. Die Chemotherapien raubten dem ehemaligen Meistertrainer des VfB Stuttgart peu à peu die schier unendliche Energie aus dem Körper.
Seit dem Herbst 2022 hatte Christoph Daum gegen den Lungenkrebs gekämpft. Erst zog er sich zurück, kehrte kurz darauf in die Öffentlichkeit, die er so sehr mochte, zurück. Er gab unzählige Interviews, setzte sich in eine Talkshow nach der anderen oder tauchte in Podcasts auf. "Der Krebs hat sich den falschen Körper ausgesucht." Dieses Mantra trug er kraftvoll vor sich her. Immer wieder hatte er über den Krebs gesprochen, nie gejammert, sondern Lebensmut ausgestrahlt. "Es ist ein Kampf, das ist kein Zuckerschlecken und da musst du durch und da hast du auch Scheißtage. Aber dann scheint auch wieder die Sonne. Ende!", sagte er etwa noch im März dieses Jahres gegenüber RTL/ntv. Danach wurde es ruhiger um ihn, um diesen Lautsprecher und Sprücheklopfer, der die Bundesliga mit seiner Art so bereichert hatte. An dem sich aber auch so viele Menschen abarbeiten konnten.
Langweilig wurde es nie mit ihm. "Christoph Daum war immer und ist immer einer aus dem Volk, für das Volk", sagte Daum. Er stehe "zu den Dingen, die ich gemacht habe. Klar, einige hätte ich gerne ausgelassen, aber sie gehören zu meiner Vita dazu. Das nennt man Leben", sagt er einmal in der Sky-Doku.
"Ich bin einmalig, es gibt kaum bessere"
Der stets optimistische und mit markigen Worten geführte Kampf gegen den Krebs ist auch ein Sinnbild für sein großes und polarisierendes Leben im Fußball-Business. Christoph Daum trug den Branchennamen "Cassius". Und das wahrlich zu Recht: "Ich weiß: Ich bin einzigartig, ich bin einmalig, es gibt kaum bessere. Es gibt auch andere, die gut sind, aber ich bin einer der Besten. Ich stelle mich nie infrage." Wenn ihn mal wieder niemand lobte, dann erledigte er das ganz alleine. Hilfreich sei natürlich, sagte er einst, ein unbegrenztes Selbstvertrauen zu haben. "Wenn man dich Großmaul nennt, hast du es geschafft." Genau nach dieser Devise lebte Daum. Für berühmte Weggefährten wie Matthias Sammer ("Daum war ein Visionär") oder Rudi Völler ("Er hat Spieler besser gemacht") war er eine Inspiration. Nicht nur, weil er seine Spieler auch mal über Glasscherben laufen ließ. Als Menschenfänger brachte er dem Fußball eine neue Komponente.
Als Daum 1986 Cheftrainer beim 1. FC Köln wurde, ging alles sehr schnell. Unter seiner Leitung gewann der FC häufiger, als dass er verlor. Daum sagte Sätze für die Ewigkeit, wie diesen: "Das war heute eine Mannschaft, die hatte eine Blutgruppe. Und diese Blutgruppe lautete Sieg." Nach seiner überraschenden Entlassung in Köln schlug der VfB Stuttgart schnell zu und verpflichtete den "Siegertyp" (Selbstbeschreibung) im November 1990. Anderthalb Jahre später gab's die Meisterschaft. Die einzige für den speziellen Trainertypen Daum in der Bundesliga. In der Türkei mit Besiktas und Fenerbahçe sowie in Österreich mit Austria Wien ließ er noch vier weitere Meisterschaften folgen. Als Spieler war er übrigens nie über die Oberliga hinausgekommen.
Ein Leben wie ein Hollywood-Film
Seine Karriere ist die Story eines Hollywood-Films. Eines sehr unterhaltsamen. Die wechselnden Auf und Abs, die Dramen und Tragödien, aber auch die unvergesslichen Triumphe haben diesen Mann, der ein großer Trainer und dabei seiner Zeit oft voraus war, geprägt. Einst als junger und noch unbekannter Trainer des 1. FC Köln richtete er völlig überraschend eine krachende Kampfansage an den mächtigen FC Bayern und dessen Manager Uli Hoeneß - und stürzte den Bundesliga-Dominator fast sogar.
In der Saison 1988/89 entstand so einst eines der legendärsten Gespräche, die je im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF stattgefunden haben. Das Rededuell zwischen Daum und Udo Lattek auf der einen sowie Hoeneß und Jupp Heynckes auf der anderen Seite ging in die Geschichte ein. Über Wochen hatte Daum verbale Attacken Richtung München und dort vor allem auf den Heynckes gefahren. Daum ließ sich zu Äußerungen wie "Heynckes könnte auch Werbung für Schlaftabletten machen" oder "Jeder Wetterbericht ist aussagekräftiger als ein Gespräch mit Heynckes" hinreißen. Als er auch noch sagte: "Die Münchner Journalisten haben mich nach dem Unterschied zwischen Heynckes und einem großen Trainer gefragt", war Bayern-Manager Uli Hoeneß richtig sauer: "Das Semester der Rhetorik hat der Daum wohl versäumt." Auch Heynckes teilte nach dem ersten Schock kräftig aus: "Der Daum ist eine billige Lattek-Imitation. Er hat zu viel Hafenstraßen - und Kreuzberg-Niveau. Er hätte den Knopf finden müssen, um sich abzustellen, der braucht doch Medikamente gegen Höhenrausch."
Auch vor Beckenbauer machte er einen Halt
Angst vor großen Namen hatte er nie. Daum sagte, was er dachte. Nicht immer kam das gut an. Als er 1988 während der Fußball-Europameisterschaft dem ikonischen Trainer Franz Beckenbauer vorhielt, auf die falschen Spieler gesetzt zu haben, reagierte der Kaiser sehr entspannt: "Was kümmert es den Mond, wenn der Hund ihn anbellt?" Daum nutzte diese Antwort zu einem weiteren verbalen Schachzug: "Man müsse sich fragen, ob es sich um einen zunehmenden oder abnehmenden Mond handelt." Echte Freunde sind die beiden nie geworden, auch wenn sie damals die Sache mit einem gemeinsamen Bier begradigen konnten.
Auch im späteren Leben war Daum keine Herausforderung zu groß. Doch je höher er strebte, desto tiefer stürzte er auch. Kurz nach der Meisterschaft mit dem VfB verdaddelte er durch einen Wechselfehler die Qualifikation für die Champions League. Eng verbunden ist sein Name aber auch mit dem Drama um die verspielte Meisterschaft von Bayer Leverkusen in Unterhaching. Als bis heute einer der besten Trainer der Werkself verhinderte die legendäre Kokain-Affäre 2000 seine eigentlich schon sichere Anstellung als neuer Bundestrainer.
Es begann die Geschichte vom tiefen Fall des Hoffnungsträgers der Republik zum geächteten Kokainschnupfer, der das Land schließlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verließ. Als Erich Ribbeck nach der katastrophalen EM in Belgien und den Niederlanden seinen Posten räumen musste, bildete man beim DFB eine Task-Force, deren Chef Karl-Heinz Rummenigge war. Diese schaffte es, Daum davon zu überzeugen, Leverkusen am Ende der Saison zu verlassen, um die DFB-Elf zu übernehmen. Teil des Deals: Übergangsweise wurde Rudi Völler zum Bundestrainer ernannt. Auf den ersten Blick war alles gut durchdacht, doch dann wurde die Sache kompliziert.
"Nicht entscheidend, wie oft du hinfällst"
Daum stolperte über seine eigene Courage, über die Haarprobe, die ihn doch eigentlich entlasten sollte. Ins Rollen gebracht wurde die Affäre damals durch ein Interview von Hoeneß, der vom "verschnupften" Daum sprach. Als Deutschland kein anderes Thema mehr kannte, ließ sich Daum zu der Haarprobe hinreißen. Der Rest ist Fußball-Geschichte. Bittere Randnotiz übrigens: Mit Daum nun und Willi Lemke zuletzt starben die beiden größten Gegenspieler von Hoeneß aus den 80er- und 90er-Jahren binnen weniger Tage.
Aber Daum rappelte sich immer wieder auf, kam immer wieder zurück und machte Sätze wie diesen zu seinem Lebensmotto: "Du kannst hinfallen. Es ist auch nicht entscheidend, wie oft du hinfällst. Du musst nur immer wieder aufstehen." Erst der Krebs hinderte ihn daran, stehenzubleiben. Die Krankheit veränderte auch das Bild dieses schillernden Typen. Aufgrund seiner polarisierenden Art wurde er davor entweder verehrt oder verachtet. Grautöne in der Bewertung gab es nicht. Doch sein offener und unerschütterlich lebensbejahender Umgang mit dem Krebs brachte ihm viele Sympathien. Selbst sein einstiger Dauerfeind Hoeneß versöhnte sich öffentlich mit ihm. Und egal, wie man Daum nun in Erinnerung behält: Als Sprücheklopfer, Provokateur, Motivationskünstler, Messias, Fast-Bundestrainer oder Dauer-Vizemeister mit Leverkusen - langweilig wurde es mit ihm nie.
"Eher zu sterben ist auch eine Art vorangehen", diesen Satz sagte Daum im Herbst 2023 in einem Interview mit RTL/n-tv. Es ist einer dieser Sätze, in denen so viel Tiefe – und gleichzeitig so viel Leichtigkeit steckt. Von einem Mann, der zu jeder Zeit, mit jeder Faser seines Seins, genau das verkörpert hat: Tiefe und Leichtigkeit.
Quelle: ntv.de, mit Ben Redelings und Nils Bastek, dpa