Fußball

Werner, Glück, Corona-Chaos In den EM-Endspurt gehts per Stotterstart

Viel einfachere Tore wird Timo Werner nicht mehr erzielen, als das 2:1 gegen die Ukraine.

Viel einfachere Tore wird Timo Werner nicht mehr erzielen, als das 2:1 gegen die Ukraine.

(Foto: imago images/Matthias Koch)

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft muss liefern und sie liefert: Ein Erfolgserlebnis steht am Ende einer Partie, die es beinahe gar nicht gegeben hätte. Das wäre vor allem für den Bundestrainer problematisch gewesen.

Was ist im Leipziger Fußball-Stadion passiert?

Es gab mal Zeiten, da ging es in Spielen gegen die Ukraine um alles, mindestens die Zukunft des deutschen Fußballs und ganz konkret: Um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea. Eine maue Qualifikation hatte der Mannschaft von Rudi Völler den Umweg über zwei Entscheidungsspiele im Herbst 2001 beschert - eben gegen die Ukraine. Das Hinspiel in Kiew endete 1:1, das Rückspiel in Dortmund 4:1. Gerade nochmal gut gegangen. Fußball-Deutschland atmete kollektiv auf, wie es vorher kollektiv gezittert hatte.

19 Jahre später ist alles anders: Gezittert wurde "dank" fünf Coronafällen im ukrainischen Tross höchstens um die Austragung des Spiels, aber wenn es ausgefallen wäre, wäre es wohl auch nicht so schlimm gewesen. Nicht für die Spieler, die auf Nations League eh keine Lust haben, wie Toni Kroos jüngst ungewohnt deutlich klar machte, und nicht für die Fans, die sich während des jüngsten 1:0 eines zusammengewürfelten DFB-Teams gegen Tschechien mehrheitlich lieber das parallel ausgestrahlte Trödel-Verschachern ansahen. Gut, Manuel Neuer hätte seinen DFB-Rekord ein wenig später feiern müssen und man hätte am Dienstag im Corona-Risikogebiet eben noch nicht den Einzug ins Finalturnier der Nations League klarmachen können.

Bundestrainer Joachim Löw aber hatte das Spiel durchaus mit größerer Bedeutung aufgeladen: Es markiere das Ende der Experimentierphase. Zuletzt, bei den beiden wilden 3:3 gegen die Schweiz und die Türkei, habe er bewusst "allerhöchstes Risiko spielen" lassen, "Mann gegen Mann verteidigen." Das ist vorbei, denn nun, sieben Monate vor der Europameisterschaft, geht es ums Einspielen und um den Feinschliff. Ab heute geht der Blick in Richtung EM, und zwar geschärft! Was Löw dann zu sehen bekam, sorgte nicht für ungetrübte Aussichten aufs Auftaktspiel in München gegen Frankreich, aber doch auch für manchen Sonnenstrahl. Es gab wieder ein für die Stimmung in der und um die Mannschaft wichtiges Erfolgserlebnis, das trotz diverser defensiver Unsicherheiten letztendlich recht souverän zustande kam. Nun sind es nur noch vier Spiele, bevor die EM startet. Ein kurzer Endspurt.

Hier geht´s zum Spielbericht: DFB-Team arbeitet sich in Richtung Gruppensieg

Teams & Tore

Deutschland: Neuer - Ginter, Süle, Rüdiger, Max - Koch - Goretzka, Gündogan - Gnabry, Werner (76. Brandt), Sane (ab 86. Waldschmidt) - Trainer: Löw
Ukraine: Pjatow - Konoplja, Sabarny, Matwijenko, Sobol - Stepanenko (69. Makarenko), Malinowski - Sintschenko (86. Charatin), Subkow (75. Mychaylytschenko), Marlos - Jaremtschuk (75. Junior Moraes) - Trainer: Schewtschenko
Schiedsrichter: Ovidiu Hategan (Rumänien)
Tore: 0:1 Jaremtschuk (12.), 1:1 Sane (23.), 2:1 Werner (33.), 3:1 Werner (64.)
Zuschauer: keine

Der Endspurt-Auftakt im Spielfilm

1. Minute: Mit dem Anpfiff ist Manuel Neuer geteilter Rekord-Torwart des DFB: Der Kapitän macht sein 95. Länderspiel und schließt damit zu Sepp Maier auf. Am Dienstag wird Neuer dann alleiniger Rekordhalter sein. Maiers Bestmarke hatte seit 1979 (!) Bestand.

3. Minute: Rechtsverteidiger Matthias Ginter legt den Ball flach vors Tor, doch da kommt niemand ran - und der Ball landet bei Linksverteidiger Philipp Max. Der legt zurück auf Leon Goretzka, der weit übers Tor schießt. Der Bayern-Profi hätte den "steinigen Weg", auf dem man sich laut Löw befindet, früh ein wenig planieren können.

12. Minute: TOOOOOOOOOOOOOOOR für die Ukraine! Der Endspurt zur EM ist erstmal ausgebremst. Die deutsche Defensive bekommt keinen Zugriff auf den ukrainischen Angriff, Max und Robin Koch können den letzten Pass nicht verhindern und Roman Jaremtschuk knallt ihn einfach rein. 2001 hätte das eine ganze Nation in die Verzweiflung gestürzt, heute ist es die Fortsetzung einer Entfremdung mit dem DFB-Team. Aber ist ja noch Zeit. Heute geht es ja noch um nix. Ach nein, ist ja Nations League. Verdammt.

23. Minute: TOOOOOOOOOOOOOOOR für Deutschland! Das war richtig stark. Leon Goretzka erobert den Ball in der eigenen Hälfte, treibt ihn in hohem Tempo durchs Mittelfeld und setzt Leroy Sané präzise in Szene. Der Rechtsaußen macht noch ein paar schnelle Schritte und vollendet satt ins lange Eck. Umschaltspiel, wie es der Bundestrainer sich wünscht.

25. Minute: Und beinahe die Führung. Goretzka kommt gut zwanzig Meter vor dem Tor an den Ball, dreht sich schnell und visiert das rechte obere Toreck an. Andriy Piatov rettet unter Schwierigkeiten. Goretzka ist ja einer derer, die um ihren Stammplatz im Mittelfeld bangen müssen: Wenn Joshua Kimmich und Toni Kroos zurückkehren, wird es eng im deutschen Mittelfeld.

33. Minute: TOOOOOOOOOOOOOOOR für Deutschland! Ein tolles Tor! Verteidiger Koch hebt den Ball über die ukrainische Abwehr auf Goretzka, der ihn artistisch annimmt und in die Mitte flankt. Da steht Timo Werner und nickt ihn aus kaum einem Meter ein. Das war mal eine tolle Lösung gegen einen tief und organisiert stehenden Gegner. Daran hatte es in diesem Spiel bisher gefehlt.

Halbzeit: Die deutsche Mannschaft ist auf einem guten Weg, hier Historisches zu schaffen: Nach fünf Unentschieden könnte hier in Leipzig der erste Heimsieg des DFB-Teams in der Geschichte der Nations League gelingen. Toll. Begeisternd ist es aber noch nicht, was Joachim Löws Mannschaft hier auf den Platz bringt. Offensiv wechseln sich statische Phasen und starke Momente ab, defensiv wirkt das alles nicht immer sattelfest.

52. Minute: Die erste Chance der zweiten Halbzeit hat die Ukraine: Zinchenko wird mittig vor dem Tor freigespielt, schießt aus der Drehung Süle an - und von da trudelt der Ball an den Pfosten. Jubiliar Neuer war auf dem Weg in die andere Richtung.

61. Minute: So langsam geht die Chancenwucherei wieder los. Max bedient Sané im Strafraum, doch der Bayern-Profi bringt keinen Abschluss zustande. Aus dem Rückraum kommt Vereinskollege Gnabry, macht aber aus guter Position gar nichts draus.

64. Minute: TOOOOOOOOOOOOOOOR für Deutschland! Vergessen Sie das mit dem Chancenwucher einfach. Ilkay Gündogan bedient Aushilfsaußenverteidiger Ginter, der direkt auf Werner weitergibt und der Ex-Leipziger schließt direkt ab. Leicht abgefälscht, egal.

76. Minute: Zum zweiten Mal rettet der Pfosten für die deutsche Mannschaft: Marlos schlenzt den Ball von der rechten Strafraumecke in Richtung langes Eck. Neuer wäre da wohl nicht rangekommen. Aber er geht halt auch wieder nicht rein.

81. Minute: Das muss es doch sein: Max flankt in Richtung Elfmeterpunkt, wo der heute so effektive Goretzka ganz frei zum Kopfball kommt. Doch der Mittelfeldspieler vergisst seine Effektivität und köpft genau auf Piatov. Schade, das hätte er sich verdient.

82. Minute: Gibt´s doch gar nicht: Die Gäste treffen zum dritten Mal den Pfosten. Diesmal ist es Junior Moraes, der aus 20 Metern abgezogen hatte. Leicht abgefälscht klatscht der Ball ans Aluminium.

Was war gut?

Joachim Löws Mannschaft hat ein Ergebnis gebraucht und sie hat ein Ergebnis geliefert. Nach dem frühen Rückstand kam das DFB-Team schnellt zurück und erzielte, maßgeblich ermöglicht durch den Doppel-Vorbereiter Leon Goretzka zwei Tore, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten: Einmal aus einer schnellen Umschaltaktion heraus, einmal durch eine präzise ausgeführte Aktion gegen eine stehende, eigentlich gut formierte Abwehr. Die Idee, den Innenverteidiger Robin Koch vor die Dreier-Abwehrkette zu postieren, erwies sich als außerordentlich gut. Der ehemalige Freiburger in Diensten von Leeds United machte eine starke Partie auf ungewohntem Terrain und hatte vor allem offensiv seine überraschenden Momente. Da ist es fast schade, dass die deutsche Mannschaft in der Mittelfeldzentrale so völlig sorgenfrei ist.

Timo Werner traf doppelt, das ist offensichtlich gut. Der ehemalige Leipziger lieferte in der alten Heimat aber eigentlich keine große Partie ab. Zwar war er wie immer engagiert, die rechte Verbindung zum Rest des Teams fehlte aber. Wenn am Ende des Arbeitstages dann aber dennoch zwei Tore stehen - wer will da schon meckern?

Was war nicht gut?

"In der ersten Halbzeit hatten wir viel Tempo mit guten Aktionen nach vorne", konstatierte Löw nicht unzufrieden und sprach damit gleichzeitig subtil eine andere Wahrheit aus: Defensiv war das erneut kein Vortrag, der sorgenfrei in Richtung EM blicken lässt. Neben dem Gegentor stehen eben auch drei Aluminiumtreffer der Ukraine. Es fehlte nicht so viel und aus dem letztlich souveränen Sieg wäre wieder eine krampfige Zitterpartie geworden.

Matthias Ginter, der aus reiner Verlegenheit als Rechtsverteidiger ranmusste, dürfte jedenfalls froh sein, wenn der Leipziger Lukas Klostermann wieder fit ist und ihn wieder zurück in die Innenverteidigung entlässt. Der Gladbacher musste öfter ermahnt werden, höher zu stehen - und wurde dann auch noch zweimal auffällig, als er in den Umschaltaktionen der Ukrainer nicht hinterherkam. Offensiv fehlte dann trotz der Vorlage zum 3:1 die Durchschlagskraft. Kein Vorwurf an einen der stärksten Innenverteidiger der Bundesliga, nur eine Feststellung.

Und ganz grundsätzlich: Es war nicht gut, dass dieses Spiel überhaupt stattgefunden hat. medizinisch war das Aufeinandertreffen möglicherweise vertretbar, ein schlechtes Zeichen war es dennoch. Aus guten Gründen werden in diesen Tagen europaweit die Daumenschrauben im öffentlichen leben wieder angezogen, um die steigenden Infektionszahlen wieder einzufangen - und gleichzeitig werden ganze Fußball-Delegationen für sportlich zweitrangige Spiele, die ohnehin vor allem zu Lasten der termingehetzten Spieler gehen, durch die Welt geflogen. Nun geht es für das DFB-Team weiter nach Spanien. Ein Land, das von der 2. Welle der Pandemie besonders hart getroffen ist.

Löws nächste Weltmeister-Diskussion

Thomas Müller? Seit vielen Monaten in großer Form. Mats Hummels? Sorgt bei Borussia Dortmund für ungeahnte defensive Stabilität und macht auch noch wichtige Treffer. Und dennoch sind und bleiben beide Rio-Weltmeister beim DFB außen vor. Ob man diese Idee Joachim Löws goutiert oder nicht, man muss dem Bundestrainer beinahe Bewunderung zollen, wie geduldig uns konsequent er die andauernde und nicht leiser werdende Diskussion um eine Rückkehr der beiden immer wieder abmoderiert. Müller und Hummels bei der EM? Wohl eher nicht.

Aber was ist eigentlich mit Mario Götze? "Man spürt, er hat seine Frische, Leichtigkeit und Spielfreude wieder", sagte Löw vor dem Spiel. "Man muss ihm Zeit geben, er hat sehr lange nicht gespielt", sagte der Bundestrainer weiter, "man muss sehen, wie er sich in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt. Jetzt war er für mich kein Thema." Götze, der vor drei Jahren seit letztes Länderspiel bestritten hatte, war im Sommer von Borussia Dortmund zur PSV Eindhoven gewechselt. Dort machte der 28-Jährige bereits mit drei Toren in seinen ersten sechs Pflichtspielen auf sich aufmerksam. Über diesen Start habe er sich "wahnsinnig gefreut", sagte Löw. So eröffnet man neue Diskussionen. Warum eigentlich?

Stimmen zum Spiel:

Joachim Löw (Bundestrainer): "Es war nicht ganz einfach. Aber insgesamt war in der ersten Halbzeit von unserer Seite viel Tempo, wir hatten das Spiel besser unter Kontrolle. In der zweiten Halbzeit waren unsere Aktionen nicht mehr ganz so zielführend. Insgesamt können wir zufrieden sein. Natürlich fehlten einige Spieler, aber größtenteils war es schon gewollt, dass wir uns ein bisschen einspielen, das ist uns ganz gut gelungen."

Leon Goretzka: "Es war ein ganz schwieriges Spiel. In unserer aktuellen Situation helfen nur Siege, das haben wir geschafft, deshalb war es ein gelungener Abend."

Leroy Sane: "Ich denke, es war ganz gut. Es waren ein paar einfache Fehler drin, aber am wichtigsten war, dass wir mit einem Sieg rausgehen. Die Uefa und das Gesundheitsamt wissen, was sie zu tun haben. Das Wichtigste ist, dass alle gesund bleiben." Timo Werner: "Es macht immer Spaß, in meinem alten Stadion zu spielen und zu gewinnen. Es ist gerade schwer, weil durch den straffen Zeitplan immer wieder einer wegbricht. Nach vorne sieht es schon ganz gut aus."

DFB-Direktor Oliver Bierhoff: "Die Ambition ist klar, wir wollen jetzt auch Gruppenerster werden und ungeschlagen dieses Jahr beenden."

Ukraine-Trainer Andrej Schewtschenko: "Die Umstände haben uns überhaupt nicht geholfen. Aber wir haben versucht, unser Bestes zu geben. Wir haben ein gutes Spiel gemacht."

Quelle: ntv.de

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