"Er darf den Klub nie verlassen" Matthäus verliebt sich in Bayerns "Messi"
12.11.2022, 21:59 Uhr
Er hat die Augen überall: Jamal Musiala.
(Foto: IMAGO/Nordphoto)
Der FC Bayern spielt keinen herausragenden Fußball beim FC Schalke 04, gewinnt aber trotzdem höchst souverän. Der Dreh- und Angelpunkt des Münchner Spiels ist Youngster Jamal Musiala. Auf den stimmt Legende Lothar Matthäus eine Hymne an.
Jamal Musiala hat am Samstagabend ein Tor geschossen. Doch dieses Tor zählte nicht. Eigentlich muss man über diese Szene nicht weiter sprechen. Einer aber tat das trotzdem - und er wollte nach dieser Szene, die Abseits war, sogar das Stadion in Gelsenkirchen verlassen. Lothar Matthäus, anerkannter Top-Experte im deutschen Fußball, war angesichts der Ballannahme, der Ballmitnahme und des Abschluss' schockverliebt in den 19 Jahre alten Mittelfeldspieler des FC Bayern, der seine Mannschaft zum 2:0-Sieg gegen den FC Schalke 04 geführt hatte.
Nun, wo die Bundesliga in die besinnliche Weihnachtszeit aufbricht, während in Katar noch eine WM ausgespielt wird, sind die Dinge wieder so sortiert, wie es seit einer Dekade gelebte Tradition ist: Der Rekordmeister ist nach einer komplizierten ersten Runde (in der Hinrunde stehen im Januar noch zwei Spiele aus) wieder auf Platz eins - und nicht nur das. Der Rekordmeister ist der Konkurrenz schon wieder tüchtig enteilt. Sechs Punkte sind es auf RB Leipzig, erster Gegner nach der WM-Pause, und am Sonntag womöglich vier auf den SC Freiburg oder Union Berlin, beide spielen gegeneinander. Aber kaum zu glauben, dass diese Klubs die Konstanz haben, den Meister aller Klassen bis spät ins Frühjahr hinein zu ärgern. Und Borussia Dortmund? Der ewige Rivale brach sich beim "Ponyreiten" in Mönchengladbach am Freitagabend als klappernder Riese mal wieder alle Knochen.
Die Schalker feiern, der Lothar staunt
Schon kurios, wie unterschiedlich die Gefühlslage im Pott ist. Die Dortmunder sind Sechster und angeschlagen. Die Schalker sind Letzter und optimistisch. Ebenso übrigens wie der Vorletzte, der VfL Bochum. Beides hat mit Thomas Reis zu tun. Nach seinem Abgang "anne Castroper" hat sich die Mannschaft aufgerichtet und vom Null-Punkte-Team zu einem wieder ernsthafteren Kandidaten für den Klassenerhalt gemausert. Und die Schalker, die haben dank Reis plötzlich Leidenschaft und eine Spielidee. Auch gegen den FC Bayern war dieser mutige Ansatz zu sehen, einzig die Qualität reicht (noch) nicht für mehr als bloße Gegenwehr. In der langen Pause nun kommen zahlreiche verletzte Spieler zurück und eventuell frische Kräfte hinzu. Ein Stimmungscocktail, der schmeckt. Der Nordkurve, die die Mannschaft emotional abfeierte.
Durchaus verdient. Denn die Schalker wurden allen Prophezeiungen zum Trotz nicht vorgeführt und tormächtig zerlegt. Ein 0:2, das kann man eben akzeptieren. Die Fans auf den Tribünen, die Spieler auf dem Platz. Es ist halt der FC Bayern, der da zu Gast war, der sieben deutsche Nationalspieler zur WM schickt. Schalke schickt keinen Vertreter ins DFB-Team. Der Bemerkenswerte von den Münchner Nominierten ist Jamal Musiala. Der schreibt beim Rekordmeister eine Geschichte, die noch ewig nicht auserzählt scheint. Wann immer ein Superlativ für ihn gefunden scheint, muss ein neuer erdacht werden, so gut ist dieser junge Mann.
Er will der beste Spieler der Welt werden
Und so demütig. Er will sich stets verbessern. Musiala fragt immer nach Extratraining und Extravideos. Er sei keiner, sagt Nagelsmann, "der nur auf der Erfolgswelle surft und nichts dafür tut." Der Mittelfeldspieler hat ein großes, klar formuliertes Ziel. Er hat gesagt, dass er der beste Spieler der Welt werden will. "Da hat er einen Weg zu gehen", betont sein Trainer "und wenig Zeit zu verlieren." Erden muss Nagelsmann sein größtes Juwel nicht. "Ich habe nie das Gefühl, dass ich ihn irgendwie runterholen oder bremsen muss. Er weiß, dass er eine Verantwortung bei uns und der Nationalmannschaft hat – die wollte er auch."
Lothar Matthäus, eigentlich kein Mann für die großen Hymnen, stimmt ebenfalls genau solch eine an. "Dieser Mann darf den FC Bayern nie verlassen. Was er heute wieder gezeigt hat, macht Spaß und zaubert mir ein Lächeln hervor", sagte er nach der Gala in Gelsenkirchen. Unverzichtbar sei er, unverkäuflich. Und wenn überhaupt ein Abgang, dann nicht unter einer "Viertelmilliarde Euro". Das wäre dann tatsächlich der teuerste Transfer aller Zeiten. Für Matthäus ist der flexible Mittelfeldspieler ein Messi(as) für den FC Bayern. Er ist Herz und Hirn der nächsten Jahre, der nächsten Dekade. Wie der FC Barcelona einst um Lionel Messi eine alles fressende Titelmaschine entwickelt, solle der Rekordmeister das nun mit Musiala tun, empfiehlt die DFB-Legende. "Das ist Zauberei, das ist Messi-like", schwärmte er. Das erste Tor von Serge Gnabry leitete Musiala per Hacke ein, beim zweiten Treffer spielte er den auferstandenen Neuner Eric Maxim Choupo-Moting elegant frei.
Mit Anpfiff neuer Rekordspieler des FC Bayern
Musiala hatte sich mit Anpfiff in der Schalker Arena einen prominenten Platz in den Annalen des Klubs gesichert. Mit 19 Jahren und 259 Tagen war er der jüngste Spieler seit Bundesligagründung, der für den FC Bayern die Marke von 100 Pflichtspielen erreichte. Es ist statistischer Beleg für seine Wertschätzung, aber nicht Ausdruck dessen, wie groß sein Einfluss mittlerweile auf das Spiel der Mannschaft von Coach Julian Nagelsmann ist. In 22 Pflichtspielen kommt er auf 22 Torbeteiligungen, zwölf Tore und zehn Vorlagen. Auf Platz zwei folgt Serge Gnabry, der rechtzeitig zur WM wieder in bester Verfassung wirkt. Dahinter sortiert sich dann Sadio Mané ein, der gefeierte Weltklasseeinkauf des Sommers. Der Senegalese hat in den 23 Partien auch schon elf Mal getroffen, aber "nur" vier Mal vorbereitet. Musiala, er ist der Schlüsselspieler.
Auch für Deutschland? Kaum vorstellbar, dass er bei der WM nicht eine tragende Rolle einnimmt. Am stärksten ist er auf der "Zehn", als Spielmacher. Diese Rolle nimmt aber, ganz anders interpretierend, auch Thomas Müller am liebsten ein. Er ist als freies Radikal im hängenden Raum hinter der Spitze am wertvollsten. Bundestrainer Hansi Flick hat ein Luxusproblem (anders etwa als in der Abwehr) - und wird eine Härtefall-Entscheidung treffen müssen. Womöglich schiebt er den noch immer angeschlagenen Müller als Kompromiss in die vorderste Spitze. Müller hat das häufiger gemacht, seine besten Spiele waren das indes nicht. Ohnehin gilt auch Kai Havertz als wahrscheinlichere Lösung. Oder vielleicht gar Niclas Füllkrug oder Youssoufa Moukoko als gelernte Fachkräfte.
"Er hat so Schlangenbeine"
Aber an Musiala führt kein Weg vorbei. Im anderen Falle droht eine nationale Debatte, die dem Bundestrainer bei der Nicht-Berufung von Mats Hummels überraschend erspart geblieben ist. Zumindest vorerst. "Jamal hat eine herausragende Hinrunde gespielt und wird hoffentlich die WM und die Rückrunde noch besser spielen" urteilt Nagelsmann über den Spieler, der bereits seine dritte volle Saison (!) bei den Profis bestreitet. "Er hört gut zu, will sich entwickeln auch in der Defensive, da hat er sich extrem entwickelt. Er hat extrem lebendige Füße, so Schlangenbeine. Die Abpraller kommen immer vor seine Füße." Und was er dann macht, das ist verzaubernd. Wie bei seinem Tor, das ja nicht zählte. Nach einem feinen Chippass verarbeitete er den Ball auf herausragende Weise, stellte den Körper gegen zwei Mann rein und vollendete perfekt aus kurzer Distanz. "Seine Dribblings, seine Vorlagen, diese Leichtigkeit, ich weiß, warum ich Musiala-Fan bin", besang der Rekordnationalspieler den gebürtigen Stuttgarter. In Anlehnung an Louis van Gaals Legendensatz "Thomas Müller spielt immer" forderte Matthäus nun: "Musiala spielt immer. Das ist Unterhaltung, das ist Hollywood."
Nicht das Hollywood, das sie in München sonst kennen und so sehr fürchten. Das ihnen in der Hinrunde auch wieder begegnet war. Plötzlich wurde die neue Freundin von Trainer Nagelsmann sogar zum Thema - und zum Problem benannt, weil sie früher Bayern-Reporterin bei der "Bild" war. Auch Nagelsmann selbst war im Mittelpunkt von Diskussionen. Die Bosse "verzwergten" ihn als Talent, was ihn massiv nervte. Diesem Stadium fühlte er sich längst entwachsen. Die Münchner mussten sich durch Ergebniskrisen und "Neuner"-Diskussionen lavieren. Probleme, die nun gelöst sind. Und nicht wieder auftreten. Nagelsmann geht in die Pause "mit der Hoffnung, dass es nach Weihnachten im neuen Jahr so weitergeht. Das ist mein einziger Gedanke. Es muss so weitergehen, dann ist diese Saison alles möglich.“ Auch oder vor allem dank Musiala. Matthäus, der das Stadion nach dem Tor, das nicht zählte, verlassen wollte, blieb übrigens.
Quelle: ntv.de