Fußball

Immer wieder Julian Nagelsmann Der sonderbare Unruhestifter des FC Bayern

Julian Nagelsmann redet sich nach dem 2:3 bei Borussia Mönchengladbach den Frust von der Seele – und sich selbst um Kopf und Kragen. Beim FC Bayern wird der Trainer immer mehr zum Unruhestifter. Und das in einer Phase, in der es genau das Gegenteil braucht.

Nach allem, was man an diesem Montagvormittag weiß, hat Julian Nagelsmann nichts mit dem umstrittenen, weil nicht angeordneten "Escortservice" der Polizei auf der verstopften A52 zu tun. Von ein paar Beamten, die entweder eine entsprechende Anweisung eines Vorgesetzten ignoriert hatten und sie vielleicht auch gar nicht erst bekamen, war der Mannschaftsbus des FC Bayern durch eine Rettungsgasse im Stau geleitet worden. Die Sache liegt bei der Polizei und wird intern aufbereitet. Die Bayern wollten nur möglichst schnell weg aus Mönchengladbach, wo die Mannschaft bei der Borussia eine im Nachgang äußerst aufsehenerregende Niederlage (2:3) kassiert hatte. Eine Kausalität zwischen dem spektakulären Geleit und Nagelsmann ist freilich nicht zulässig. Aber es ist eben so: Wo Nagelsmann ist, das ist beim FC Bayern ganz schnell Unruhe.

Am späten Samstagnachmittag, kurz vor der Eskorte, war der 35-Jährige für einen kurzen Moment eskaliert und muss nun mit einer Strafe des ermittelnden DFB rechnen. Aus der Emotion heraus war er explodiert, wie er später bei Twitter klarstellte. Durch die Mixed Zone des Borussia-Parks war er gelaufen und hatte die Schiedsrichter als "weichgespültes Pack" beschimpft. Nagelsmann war immer noch in Rage ob der streitbaren Roten Karte gegen seinen Innenverteidiger Dayot Upamecano. In der 8. Minute war er vom Platz geflogen. Die Bayern spielten also quasi eine ganze Partie in Unterzahl und verloren am Ende knapp.

Weil am Sonntag Union mit einem mageren 0:0 daheim gegen Schalke 04 und Borussia Dortmund mit einem in der Höhe furiosen 4:1 gegen Hertha BSC punkten konnte, stehen alle drei Teams nach 21 Spieltagen mit 43 Zählern punktgleich in der Tabelle da. Der schöne und auf manch einen Konkurrenten wie den BVB komfortable Vorsprung ist verspielt. In der Meisterschaft, in den vergangenen Jahren zu diesem Zeitpunkt oft eine ausgemachte Sache für die Münchner, ist Feuer drin.

Er redet sich um Kopf und Kragen

Mehr Feuer, als dem FC Bayern lieb sein kann. Auch wenn sie selbst immer wieder betonen, dass sie mit einer spannenden Bundesliga gut klarkommen. Konkurrenz belebt das Geschäft. Und den Verein, aber ebenfalls auf eine Weise, die so niemand an der Säbener Straße gutheißen mag. Vor allem der Trainer selbst nicht. Der steht immer mehr unter Druck. Wie sehr, das offenbarte sich in Mönchengladbach. Die Wutattacke gegen Tobias Welz und sein Team hat nicht nur eine fatale Auswirkung auf den Amateursport, wo sich Schiedsrichter Woche für Woche bösartigen Anfeindungen bis hin zur Körperverletzung ausgesetzt sehen, sondern auch auf den FC Bayern, der einfach nicht zur Ruhe kommt. Wieder hat Nagelsmann seine Finger im Spiel und dann redete er sich auch noch um Kopf und Kragen: Von einem ZDF-Reporter auf die "Pack"-Formulierung angesprochen, bestätigte der Coach den Ausspruch zwar, setzte allerdings hinzu: "Damit meine ich ja nicht immer die Schiedsrichter."

Wen aber dann? Zu viel Interpretationsspielraum. Wie schon eine Woche zuvor, als die Münchner den VfL Bochum mit 3:0 besiegt hatten, Nagelsmann aber stinksauer über die Leistung war. Wieder einmal. Seit dem Restart der Bundesliga nach der WM-Pause passt vieles nicht mehr zusammen beim Rekordmeister. Nur 90 Sekunden blieb er im Spiel gegen den VfL bei der Mannschaft in der Kabine. Es war "intensiv", berichtete er hernach. Dass die Medien danach von einem "Hilferuf" und von Alarmstimmung schrieben, fand der Trainer nicht so gut. Er relativierte die Kritik an der Mannschaft und bezog sich in den Steigerungsappell mit ein.

Mode, Beziehung, Skateboard, Harley

In München, so ist immer wieder zu hören und zu lesen, staunen sie ab und an über die Sonderlichkeit des Trainers, bei dem irgendwie alles zum Thema wird. Von seiner modischen Extravaganz über seine Beziehung bis zu seinen ungewöhnlichen Auftritten mit einem E-Skateboard auf dem Trainingsgelände oder als "Easy Rider" auf seiner Harley. Und natürlich seine Sprüche, die manchmal so locker dahergeplaudert kommen, aber in ihrer Wirkung bevormundend, belehrend oder verletzend sein können. Fachlich sind sie beim FC Bayern von ihrem Trainer überzeugt, für andere Eindrücke gibt es keine nennenswerten Indizien. Aber beim FC Bayern reüssierten zuletzt vor allem die Trainer, die Menschen für sich begeistern und hinter sich versammeln konnten. Jupp Heynckes, Hansi Flick, für die Triple-Trainer ging man durchs Feuer und kam bei vielen Titeln wieder raus.

Ein Trainer muss sich in der Bewertung seiner Arbeit nicht alles gefallen lassen, aber er kann sich eben auch nicht alles rausnehmen. Dass sein wütender "Pack"-Spruch aus einer spontanen Emotion heraus geschah sei, ist kaum vorstellbar. Weil die Aktion, um die es geht, fast zwei Stunden her war. Und weil Nagelsmann genau weiß, wie spitz die Ohren von Journalisten in der Mixed Zone sind.

Die Bundesliga sehnt sich nach mehr Typen, nach mehr Janusz Goras, mehr Per Mertesackers. Nagelsmann könnte dieses Bild bedienen, aber seine Andersartigkeit (wertneutral) wirkt zu oft konstruiert, bewusst platziert und eben nicht aus der ersten Emotion heraus. Vielleicht tut man ihm damit unrecht. In München müssen sie jedenfalls damit umgehen, dass ihr Trainer so extrovertiert auf allen Ebenen ist, wie er nun eben ist. Meinungsstark und polarisierend. Vieles lässt sich wieder einfangen, etwa sein frecher Spruch über die "Freiwillige Feuerwehr Südgiesing". Medienwirksam kroch er mit einem Besuch bei den Rettungskräften zu Kreuze. Für die herbeigesehnte Ruhe ist er augenscheinlich nicht der Richtige.

Bloß nicht noch ein Fass öffnen

Natürlich steht der Trainer des Rekordmeisters immer im Fokus. Und nicht immer ist es einfach, die Mischung aus Ton und Klarheit der eigenen Belange zu treffen. Nagelsmanns Vorgänger können davon berichten. Niko Kovac stolperte unter anderem über seine Notnagel-Degradierung von Thomas Müller, Hansi Flick über seine Wut auf Sportvorstand Hasan Salihamidžić. An diesem Punkt scheint der aktuelle Coach allerdings noch nicht angekommen. Aber zumindest hatte sich die Öffentlichkeit das Thema schon gekrallt und der Klub eiligst eine Wagenburg um den 35-Jährigen aufgebaut. Reporter wurden für entsprechende Fragen gerüffelt, jede Debatte um den Trainer abgewürgt. Und natürlich tun sie in München gut daran, in diesen entscheidenden Wochen nicht auch dieses Fass noch zu öffnen. Am Sonntag kommt Union zum Kampf um die Tabellenspitze, am 8. März kommt Paris St. Germain im Achtelfinale der Champions League zum Gigantengipfel nach München (Hinspiel 1:0 für den FC Bayern). Und das erste Duell hat sie in München gelehrt: Ohne Kylian Mbappé ist der Gegner nur ein Scheinriese, mit dem französischen Superstar indes eine Mannschaft, die schwer beherrschbar ist.

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Julian Nagelsmann: muss sich nicht alles gefallen lassen, aber er kann sich eben auch nicht alles rausnehmen.

(Foto: IMAGO/Kirchner-Media)

Das Stürmerthema ist nicht nur deswegen ein großes in München. Robert Lewandowski hat den Verein im Sommer verlassen. Er wollte unbedingt, so hieß es, zu seinem Sehnsuchtsklub FC Barcelona wechseln. Doch dahinter steckte offenbar noch viel mehr. Nagelsmann ist in seiner Grundüberzeugung kein Mann, der den Strafraumstürmer schätzt. Immer wieder gerieten der Pole und der nur gut ein Jahr ältere Trainer aneinander. Von Krach in der Kabine war immer wieder die Rede und davon, dass der Stürmer mit der Taktik des Coaches nichts anfangen könne. Und als der letzte Vorhang in diesem zermürbenden Theaterstück gefallen war, da setzte Nagelsmann erstmal auf ein System ohne klassischen Neuner. Funktioniert hat das bedingt bis nicht. Auf sanfte Ansagen der Alphatiere an der Säbener Straße verwarf Nagelsmann seinen Plan und setzte auf Eric Maxim Choupo-Moting, der der Mannschaft ein wichtiger Zielspieler und Anker war. Der FC Bayern kam ins Rollen und alles war vorerst gut. Bis zur WM. Danach Ergebniskrise und Druck. National und international.

Das Kräftemessen mit PSG zu bestehen, darum geht es für den FC Bayern. Darum geht es für Nagelsmann, der im Sommer 2021 nach München gekommen war, um eine neue Erfolgsära einzuleiten. Vor allem international. Ein abermals frühes Scheitern in der Königsklasse würde den Druck auf den Coach massiv erhöhen. Ausgang? Unklar.

Für eine Weltrekordablöse hatten ihn die Münchner von RB Leipzig freigekauft. Und sie ließen ihn machen. Sie holten mit Dayot Upamecano und Marcel Sabitzer (mittlerweile wieder an Manchester United verliehen) zwei Wunschspieler von seinem Ex-Arbeitgeber, im Sommer kommt mit dem österreichischen Mittelfeldmann Konrad Laimer der nächste. Die Bayern gestalteten das Trainingsgelände im Sinne des großen Hoffnungsträgers an der Seitenlinie um (unter anderem ein Geheimplatz und eine Videowall). Vor wenigen Wochen warfen sie Torwart-Trainer Toni Tapalovic raus. Nagelsmann witterte in dem engen Vertrauten von Manuel Neuer einen Mann, der interne Absprachen aus dem Trainerteam an die Mannschaft weitergab. Es soll an Vertrauen gemangelt haben.

Im Kader gibt es Baustellen

Dass Neuer in seiner Wut über die Entscheidung eiskalt per Interview mit dem Klub und seinen Entscheidern abrechnete, ist nicht die Schuld des Trainers. Dass er sich als ersten Ansprechpartner aber nicht den Kapitän, sondern Joshua Kimmich herausgesucht haben soll, dagegen schon. In den Kausalketten der Ereignisse nimmt Nagelsmann dennoch jeweils eine Protagonistenrolle ein. Und das "Problem" mit Neuer ist ja längst nicht ausgestanden. Was passiert im Sommer, wenn er wieder fit ist und den Anspruch auf seinen ewigen Stammplatz geltend macht? Zumal sich mit dem als Ersatz verpflichteten Yann Sommer ein starker Mann immer prominenter in Stellung für große Aufgaben auch in der kommenden Saison bringt. Und dann ist da ja auch noch Alexander Nübel, der ebenfalls gerne Stammkeeper in München werden möchte. Doch nicht nur an dieser Kaderstelle glimmt es vor sich hin. Was wird etwa aus Thomas Müller?

Gegen Mönchengladbach musste er aus taktischen Gründen nach etwa 15 Minuten runter, Nagelsmann baute nach dem Platzverweis um und wünschte sich nur Tempo in der Offensive. Er verzichtete auf die Erfahrung und Führungsstärke der Klubikone, die stets lange Jahre die rechte Hand des Trainers auf dem Feld war. Müller war nicht glücklich, nahm die Entscheidung aber professionell hin. Allerdings wächst bei ihm die Unzufriedenheit. Gegen Paris St. Germain saß er ewig auf der Bank. Ein Fingerzeig, dass Nagelsmann in großen Spielen womöglich auf anderes Personal vertraut? An guten Gründen mangelt es nicht. Aber mit seinen Entscheidungen gegen Tapalovic und (vorerst) gegen den in der Kabine und im Klub immer noch mächtigen Müller wählt Nagelsmann einen riskanten Weg, der beobachtet und ausgeschlachtet wird. Das ist das Geschäft. Und das schafft Unruhe.

Quelle: ntv.de

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