Aber immerhin Gegenwehr Keine Abwehr, keine Titel - BVB
18.08.2021, 13:55 Uhr
Bayern München schlägt Borussia Dortmund im deutschen Supercup. Es ist der sechste Pflichtspielerfolg gegen die Dortmunder hintereinander. Die Lage bleibt hoffnungslos. Der Rekordmeister wird zum zehnten Titel in Folge eilen. Oder? Immerhin wehrt sich der BVB nun. Das ist neu.
Am Ende war es wie immer in den letzten Aufeinandertreffen zwischen Borussia Dortmund und Bayern München. Der BVB leistete ein wenig Widerstand und musste sich dann der Übermacht aus dem Süden geschlagen geben. Seit nunmehr sechs Spielen konnten die Westfalen dem großen Rivalen nicht einmal ein Unentschieden abtrotzen. Die Kräfteverhältnisse in Deutschland könnte geklärter nicht sein. Es droht eine weitere Saison, die den deutschen Fußball weiter in Richtung internationale Bedeutungslosigkeit katapultiert und national zu einem zu vorhersehbaren Spektakel verkommen lässt, der seine Bedeutung über im sonntäglichen "Doppelpass" platzierten Aufreger erlangt und nicht über seinen sportlichen Wettkampf.
Dabei musste man beim in dieser Saison auch von den neuen Trainern beider Vereine zum ersten echten Titel-Spiel der Saison hochgejazzten Supercup, dem ewigen Duell zwischen Bayern und Dortmund also, gar nicht lange suchen, um kleine Zeichen der Hoffnung zu finden. Von für Borussia-Verhältnisse ungewohnter Demutslosigkeit getrieben, kam es bereits früh im Spiel zu einer bemerkenswerten Auseinandersetzung zwischen Marco Reus und Joshua Kimmich. Der Dortmunder Kapitän hatte in diesem wunderbar hitzigen Duell in dem mit 25.000 Zuschauern nervös und atemlose zuckenden Westfalenstadion Dayot Upamecano hingelegt. Bevor er sich die verdiente Gelbe Karte abholen konnte, wollte Kimmich noch ein paar Worte mit ihm wechseln. Die Borussia der vergangenen Jahre hätte es sich angehört und akzeptiert, doch etwas was anders. Reus zeigte kein Respekt, schubste zurück und bei dieser Linie blieben die überraschend robusten Borussen dann auch. Sie wehrten sich, sie zeigten Zweikampfhärte, waren giftig, am Ende aber auch die verdienten Verlierer.
Das Dortmunder Abwehrproblem
Dass es dazu kam, war neben dem überragenden Robert Lewandowski in erster Linie der dramatisch schlechten Dortmunder Abwehr geschuldet, die die Bayern immer wieder ins Spiel brachte. Ohne zahlreiche Stammspieler wie Mats Hummels, Raphael Guerreiro und Emre Can in die Partie gestartet, boten sie den sich in guter Form präsentierenden Bayern immer wieder genug Möglichkeiten. Die nutzten sie gerne aus und gewannen den Supercup, die inoffizielle Klub-Weltmeisterschaft und, so waren sich eben auch alle Beobachter sicher, die zehnte Meisterschaft in Folge. Woran es kaum Zweifel geben kann, wenn sich für Dortmund auf dem Transfermarkt nicht noch etwas tut. Denn sonst geht es weiter mit Nico Schulz auf der linken Abwehrseite und Felix Passlack auf der rechten Seite.
Das Urteil über den 23-Jährigen ist schnell gefällt. Er war komplett überfordert mit seiner Aufgabe als Rechtsverteidiger. Nach seinem Eigentor gegen Eintracht Frankfurt ohnehin schon unter Beobachtung stehend, leistete er sich zahlreiche haarsträubende Patzer. Er leitete mit Fehlpässen die ersten Chancen der Bayern ein, war selten auf der Höhe, ließ sich auf seiner Seite immer wieder übertölpeln. Einmal spielte er einen Freistoß direkt in die Füße eines Bayern-Spielers. Klarer Fall: Der BVB hat ein ernsthaftes Problem auf der Rechtsverteidiger-Position. Der belgische Nationalspieler Thomas Meunier geht mit der Belastung einer im besten Fall durchschnittlichen Debüt-Saison und einer Corona-Infektion während der Vorbereitung in die aktuelle Spielzeit, mit der Rückkehr des spanischen Youngsters Mateu Morey ist nach seiner schrecklichen Knie-Verletzung im Mai auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Bleibt die Option Neuverpflichtung.
Das Dortmunder Finanzproblem
Doch wie alle Vereine lähmt auch den BVB die zuschauerlose Zeit inmitten der Pandemie. Verluste, Verluste, Verluste. Der finanzielle Turnaround? Nicht absehbar. Also bleibt vorerst Felix Passlack. "Ich lasse auf meine Jungs nichts kommen. Felix hat sich solche Aufgaben hart erarbeitet", stellte sich BVB-Trainer Marco Rose nach dem Spiel schützend vor den Verteidiger. Sicher auch mit Blick auf die besondere Geschichte des bis zum Saisonende beim BVB unter Vertrag stehenden einstigen Himmelsstürmers.
Als Supertalent in den Profi-Fußball gespült, hatte sich Passlack erst in der vergangenen Saison - nach einem langen, unaufhaltsam wirkenden Fall - in Dortmund zurückgemeldet. Kurz nach dem Anschlag auf die sich im April 2017 im Mannschaftsbus der Borussia befindlichen Spieler war seine Karriere ins Stocken geraten, wie auch seine Stimme bei seiner Zeugenaussage vor dem Dortmunder Landgericht im folgenden Jahr. Immer wieder wurde er verliehen, erst zur TSG Hoffenheim, dann nach Norwich und schlussendlich zum niederländischen Klub Fortuna Sittard. Erst dort, am Rande der fußballerischen Bedeutungslosigkeit in der Provinz Limburg, konnte er seinen Fall stoppen. Zu Beginn der vergangenen Saison kam er zu einigen Einsätzen, verschwand jedoch bald aus dem Blickfeld. Im April tauchte Passlack in der Regionalliga West in der U23 auf. Beim rührigen Abschiedsspiel der Bender-Zwillinge langte es noch zu einem weiteren Bundesliga-Einsatz. Überraschend sogar zu einem neuen Vertrag.
Schon wieder eine Übergangssaison?
Die nun herrschende Misere nach dem Abgang der Vereinslegende Lukasz Piszczek und inmitten der Finanznot spülte Passlack nun direkt in die Stammformation. Wo er, das zeigte der gestrige Abend, auf dem höchsten Level die größten Schwierigkeiten hat. Doch aktuell bleibt Dortmund nur die Option Passlack. Sie ist keine gute, aber sie steht eben auch für einen bemerkenswerten Weg, den der BVB notgedrungen eingeschlagen hat. Den Spielern, die nun dort sind, wird vertraut. Klar, gegen ein paar Abgänge hätten sie in Dortmund nichts einzuwenden, aber am Borsigplatz verdient man gutes Geld und kaum jemand kann sich aktuell die Pakete aus Gehalt und Ablöse leisten. Es finden sich keine Käufer für Spieler wie Julian Brandt oder Thomas Delaney, für den Sevilla kürzlich ein viel zu geringes Angebot platzierte. Ohne Abgänge, keine Zugänge. So wird mit denen gearbeitet, die da sind.
Es wird ihnen, der Fall Passlack zeigt es, der Rücken gestärkt, damit sie nach außen als Einheit auftreten können. Damit sie sich nach dem Spiel, so wie Jude Bellingham (klicken Sie auf den nebenstehenden Kasten für den wunderbaren Text des Kollegen Tobias Nordmann) darum kümmern, jeden Menschen im Stadion mitzunehmen. Geschlossen gegen äußere Widerstände, aggressiv und willensstark auf dem Platz und offen nach innen: Das kann das Dortmunder Erfolgsrezept in dieser Saison werden. Die 1:3-Niederlage gegen die Bayern war trotz der nicht zu leugnenden Abwehrschwäche ein Schritt in die richtige Richtung. Doch Marco Rose, der sechste Trainer im siebten Jahr nach Jürgen Klopp, wird dafür Zeit benötigen. Sehr wahrscheinlich, und das ist die schlechte Nachricht, mehr als eine Saison. Schon wieder eine Übergangssaison in Dortmund, fragen Sie sich und schütteln sich vor Grauen? Es wird wohl so sein. Und dann geht Erling Haaland und es folgt die nächste. Es ist ein Teufelskreis. Aber wenn sie schon keine Meisterschaften mehr gewinnen, dann wehren sie sich nun wenigstens. Ein Anfang.
Quelle: ntv.de