Die Uhr beim HSV tickt - noch Labbadia ist froh, van der Vaart schaut zu
22.05.2015, 11:10 Uhr
Nach 51 Jahren steht der HSV vor dem Abstieg aus der Fußball-Bundesliga. Nicht einmal ein Sieg gegen Schalke könnte reichen. Während Trainer Bruno Labbadia den Optimisten mimt, schießt sein Kapitän die Torhüter warm.
Am Samstag um 23 Uhr wird die Stadion-Uhr ausgeschaltet und wie üblich in den nächtlichen Energiesparmodus versetzt. Doch im Fall der Fälle, sollte der HSV nach 51 Jahren und 272 Tagen absteigen, wird sie am Sonntagmorgen nicht wieder angestellt. Alles schon geregelt. Der Hamburger SV ist für den Super-Gau gewappnet. Nur ein Sieg gegen den formschwachen FC Schalke 04 kann den HSV noch retten - und nicht einmal der Dreier könnte am Ende des Tages reichen, um dem Abstieg in die zweite Fußball-Bundesliga zu entgehen. Eine ganze Stadt bangt mit ihrem sportlichen Aushängeschild. Doch vielleicht ist alles schon zu spät.

Ohne seinen Kapitän: Auf Rafael van der Vaart muss Trainer Labbadia im letzten Saisonspiel verzichten.
(Foto: imago/Jan Huebner)
Was haben sie nicht alles versucht beim HSV. In der Sommerpause stimmten die Mitglieder der Ausgliederung der Profi-Mannschaft zu. Der Verein holte Dietmar Beiersdorfer als Heilsbringer aus dem russischen Asyl zurück an die Elbe. Der schüchtern wirkende Franke verpflichtete mit Bernhard Peters und Peter Knäbel zwei anerkannte Fachmänner und schmückte sie mit den Titeln "Direktor Sport" und "Direktor Profifußball". Die Bedingungen schienen gut, wenn nicht perfekt. Nur sportlich sollte es nicht so laufen, wie geplant.
"Abstiegskampf ist scheiße"
33 Spieltage später steht der HSV am Abgrund und ist nur noch 90 Minuten von Liga zwei entfernt. Das Gründungsmitglied der Bundesliga ist Tabellenletzter und ist dem finalen Heimspiel am Samstag gegen den FC Schalke (ab 15.30 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) zum Siegen verdammt und zudem auf Schützenhilfe angewiesen. Um noch einmal die letzten Prozentpunkte aus dem Team herauszukitzeln, verordnete Trainer Bruno Labbadia ein dreitägiges Kurztrainingslager im malerischen Malente. Malente? Da war doch was. Klar. Ergibt Sinn. Schon die deutsche Nationalmannschaft bereitete sich in der ostholsteinischen Idylle auf einige Fußball-Weltmeisterschaften vor. Auch 1974 und 1990 schlug das DFB-Team hier seine Zelte auf. Wie die Turniere für die Deutschen endeten, ist bekannt.
Jetzt versucht der HSV den viel zitierten "Geist von Malente" einzuatmen. Neben Pferdekoppel und saftig grünen Wiesen trainiert der HSV im Uwe Seeler-Sportpark von Malente. Dass es in diesen verbleibenden Tagen nicht mehr um das Einstudieren von Abläufen oder taktischen Feinheiten geht, ist Labbadia klar. "Es geht darum, dass wir Geschlossenheit zeigen und noch einmal näher zusammenrücken." Abstiegskampf sei scheiße, hatte er vor ein paar Wochen gesagt, um dieses Wort bei der gestrigen improvisierten Pressekonferenz noch einmal zu benutzen. Trotzdem sieht Labbadia die Situation des HSV positiv. "Als ich angefangen bin, wäre ich froh über ein Endspiel am letzten Spieltag gewesen. Jetzt haben wir die Chance, gegen Schalke 04 im eigenen Stadion zu gewinnen. Darauf fokussieren wir uns hier. Wenn uns ein Sieg gelingt, bin ich sehr optimistisch, dass es zumindest für die Relegation reicht."
Bärendienst von van der Vaart
Vor dem Abstiegsendspiel gegen die Königsblauen aus Gelsenkirchen hat Labbadia einige Entscheidungen zu treffen. Die erste Frage: Wer spielt auf der Position von Rafael van der Vaart? Der Kapitän holte sich völlig desillusioniert in der Nachspielzeit im Spiel am vergangenen Samstag in Stuttgart die zehnte Gelbe Karte ab. "So etwas darf ihm nicht passieren", ärgerte sich HSV-Boss Dietmar Beiersdorfer. Das Kapitel van der Vaart beim HSV könnte sich also bereits erledigt haben. Der Niederländer fuhr zwar mit ins Trainingslager, kümmerte sich aber vornehmlich um das Warmschießen der Torhüter. Seinen Platz, sagt Labbadia, könnten gleich drei Spieler einnehmen. Marcelo Diaz, Petr Jiracek oder Lewis Holtby. Angeschlagen ist dagegen Marcell Jansen, der am Donnerstag nur ein Lauftraining absolvieren konnte. Mohamed Gouaida wird dagegen vermutlich mit einem Pferdekuss am Samstag nicht zur Verfügung stehen.
Ärgerlich ist auch die Verletzung von Torwart Jaroslav Drobny. Der Tscheche fällt mit einer Schultereckgelenkssprengung drei Monate aus. "In Gedanken sind wir bei Dropo", so Labbadia, der den Keeper auch als positiven Stimmungsmacher schmerzlich vermisst. Während sich die Spieler nicht aussuchen durften in welchem Zimmer sie logieren, entschied sich Labbadia zielsicher für das Uwe Seeler-Zimmer. "Ich hatte die Wahl zwischen diesem und dem Bodo Illgner-Zimmer. Da musste ich nicht lange überlegen. Ansonsten sei es so: "Die Drucksituation ist den Spielern schon anzumerken. Es geht deshalb auch darum, einen Schuss Lockerheit reinzubringen." Dafür ist das Ambiente und der spröde Charme der Sportschule Malente in mitten der malerischer Landschaft perfekt.
Am Donnerstagnachmittag stattete sogar Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz dem Team einen Besuch ab. Der SPD-Politiker wünschte dem HSV vor dem Saisonfinale alles Gute. Wie sehr die ganze Stadt und die Region mit dem Klub bangt, zeigt nicht nur dieser Besuch. Derzeit kommt man in der Hansestadt am Thema Abstiegskampf nicht vorbei. Nein, Hamburg hat fußballerisch schon bessere Tage gesehen. Denn neben dem HSV ist auch das zweite Aushängeschild, der FC St. Pauli, eine Liga tiefer noch nicht gerettet. Im Gegensatz zum Stadtrivalen haben es die Kiezkicker im Spiel am Sonntag in Darmstadt noch selbst in der Hand. Für viele Hamburger ist es immer noch nicht denkbar, dass der HSV in der nächsten Saison vielleicht mit dem Nachbarn Holstein Kiel in einer Liga spielt. Doch dieses Szenario ist in diesen Tagen durchaus realistisch. Noch dürfen alle HSV-Sympathisanten einen weiteren Tag hoffen. Bis Samstagnachmittag, dann muss der Verein gegen den FC Schalke einen Sieg erzwingen und schauen, ob die Konkurrenz mitgespielt hat. Und wenn alles so läuft, wie sie es sich wünschen - dann können sie am Sonntag die Stadionuhr doch wieder anstellen.
Quelle: ntv.de