Fußball

Irre Chancenflut gegen Bayern Lewandowskis brisante Rückkehr "mit Herz"

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Robert Lewandowskis Rückkehr nach München ging für den Stürmer nicht erfolgreich aus.

(Foto: IMAGO/Sven Simon)

Wenn die Füße nicht gehorchen: Robert Lewandowski ist einer der besten Stürmer der Welt, doch gegen seinen Ex-Klub aus München lässt er etliche Chancen liegen. Brisant ist seine Rückkehr wegen des Wechseltheaters - doch die Bayern-Fans und Hasan Salihamidžić überraschen.

Dieses Gefühl kennen Profis wie Amateurkicker. Letztere sicher weitaus besser. Manchmal, oft in den ärgerlichsten Momenten, will der Ball einfach nicht gehorchen. Er macht nicht, was der Kicker von ihm fordert. Worum er ihn vielleicht sogar bittet in Gedanken. So fühlen sich manchmal sogar, sehr selten wahrscheinlich, Weltfußballer. Beim 0:2 seines FC Barcelona in München ist es Robert Lewandowski, dem der Ball schlichtweg keinen Wunsch vom Fuß abliest. Egal, wie feinfühlig, kreativ, oder kraftvoll der Torjäger auch mit dem Spielgerät umgeht - ein Treffer gelingt dem stark aufspielenden Polen trotz bester Möglichkeiten bei seiner brisanten Rückkehr zum FC Bayern nicht.

Nach einer wahren Seifenoper wechselt Lewandowski im Sommer zum FC Barcelona. Jetzt also das erste, frühe Wiedersehen mit seinen einstigen Teamkollegen. Es ist eine Rückkehr mit Brisanz, so viel ist schon vor dem Spiel klar. Das Transfertheater ist vorüber, aber längst nicht vergessen. Wie viel ist zerbrochen im Verhältnis des 34-Jährigen mit den Fans und seinem Ex-Klub?

Die Mannschaft der Katalanen trabt samt Lewandowski kurz nach den Münchnern auf den Platz. Zunächst folgen die obligatorischen Pfiffe. Aber der Pole hebt selbstbewusst die Arme und klatscht in Richtung jeder Kurve - und siehe da: Artiger Applaus, natürlich nicht überschwänglicher, verdrängt die Pfiffe. Kurz darauf bedankt sich der Stadionsprecher für die vielen Tore des Mittelstürmers und abermals folgen, vor allem aus der Südkurve, mehr positive als negative Reaktionen. Ähnlich verläuft es bei der Verlesung der Mannschaftsaufstellung.

Chancen im Minutentakt

Es ist eine faire Aktion von beiden Seiten, der Pole hat mit seiner Seifenoper also nicht alles kaputt gemacht. Das war es aber dann auch mit den Emotionen. Es gibt weder Tränen noch "echte" Liebe und Zuneigung noch Hass. Das passt irgendwie: Zu einem absoluten Publikumsliebling à la Franck Ribéry oder zur Legende wie Bastian Schweinsteiger hatte es der oft unnahbare Lewandowski beim FC Bayern ohnehin nie geschafft.

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Die Bayern-Fans bedanken sich beim Ausnahmestürmer.

(Foto: IMAGO/NurPhoto)

Die Rückkehr des Polen wird anschließend sportlich weitaus emotionaler. Weil der Ball ihm ausnahmsweise mal nicht gehorcht, weil er eine Großchance für drei Spiele liegen lässt, dürfte sich Lewandowski an diesem Abend vor allem geärgert haben. Die erste Großchance leitet der Stürmer gleich doppelt ein: Einen Konter fährt er über rechts mit dem anderen Barça-Neuzugang Raphinha. Als der Brasilianer den Ball verliert, setzt der Pole beherzt nach, gewinnt das Spielgerät zurück und in der Mitte scheitert anschließend Pedri nur dank dem glänzend reagierenden Manuel Neuer (9.).

Kurz darauf hat Lewandowski seine erste Kopfballchance, die aber klar daneben geht. Es folgt in der 14. Minute ein Mega-Bock von Neuer, der einen Pass direkt in die Füße seines Ex-Kollegen spielt. Aber dieser wird gerade noch von Dayot Upamecano abgedrängt und kann nicht abschließen. Da war mehr drin. Kopfschütteln bei Lewandowski, Glück für die Bayern.

Immer noch "ein Herz für die Bayern"

Der Pole ist direkt drin im Spiel und zeigt, warum er so gefährlich und begehrt ist. Lewandowski hat für die Bayern unglaubliche 344 Tore in 375 Pflichtspielen erzielt, an zahlreichen Titeln hatte er vielleicht den größten Anteil. Sein Start in Barcelona hätte besser kaum laufen können. Der Weltfußballer zeigt auch in Spanien, warum er der beste Torjäger der Bundesliga in der Neuzeit war und immer noch einer der komplettesten Stürmer auf dem Planeten ist. In fünf Ligaspielen erzielt der Pole sechs Treffer und gibt zwei Vorlagen. Im ersten Champions-League-Spiel gegen Viktoria Pilsen markiert er gleich einen Hattrick, hat damit seit fast einem Monat in jedem Spiel getroffen. Bei Barcelona benötigt er bislang nur 52 Minuten für ein Tor.

Gegen die Bayern braucht er fast nur 18. Ousmane Dembélé lässt bei einem Gegenstoß das gesamte Bayern-Mittelfeld hinter sich. Lewandowski zeigt ihm an, nach links rauszupassen. Über Pedri kommt von dort der Ball wieder zurück zum Mittelstürmer, der Upamecano abschüttelt, den Ball frei vor Neuer aus elf Meter aber mit dem Spann über den Kasten haut. Der nächste Hochkaräter. Wieder kein Tor. Unfassbar! Der Pole meint es nett mit seinem Ex-Klub.

Bayern-Präsident Herbert Hainer witzelt dementsprechend nach der Partie, Lewandowski habe noch immer "ein Herz für den FC Bayern", weil er so viele Chancen vergeben habe. "Das war natürlich ein Scherz", stellt Neuer kurz darauf klar. Der Torhüter glaubt, dass es für den Stürmer "ein emotionales Spiel" gewesen sei und dass er sich "viel vorgenommen" habe. "Aber wir kennen ihn natürlich auch, die Defensive und ich als Torwart. Heute war das Glück auf unserer Seite."

Seitenhieb von Rummenigge

Tatsächlich haben die Münchner in den ersten 45 Minuten enorm viel Fortune. In der 21. Minute ist es wieder Lewandowski mit dem nächsten dicken Ding. Bei einer Flanke von links setzt er sich locker gegen Hernández durch und kommt so relativ unbedrängt zum Kopfball. Der eingesprungene Neuer reagiert glänzend. Unglaublich eigentlich, dass der Pole solche Möglichkeiten nicht nutzt. Ist er doch nervös ob seiner Rückkehr? "Ich habe mit Lewandowski gerade nur kurz gesprochen", sagt Bayerns Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn im Anschluss und fügt verwundert und mit einem Lachen hinzu. "Er hat heute richtig große Chancen gehabt und ausgelassen."

"Man muss klar und deutlich sagen: Er performt auch bei Barcelona - zum dritten Mal in Folge - überragend", lobt Karl-Heinz-Rummenigge vor dem Spiel im Interview mit der "tz". Aber der Kahn-Vorgänger kann nicht anders, als dem Polen einen kleinen Seitenhieb mitzugeben vor der Partie. Auf die Frage nach den besten Transfers der Vereinsgeschichte antwortet Rummenigge: "Ribéry, Robben, Neuer, Lewandowski - in dieser Reihenfolge."

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Lewandowski vergab viele, viele gute Gelegenheiten.

(Foto: IMAGO/Revierfoto)

Trainer Xavi lobt seinen Stürmer dafür in den höchsten Tönen. "Er gibt uns viele Optionen vorne im Angriff. Sein Spielverständnis ist fantastisch", sagt der Spanier auf der Pressekonferenz vor dem Duell mit den Bayern. "Er ist ein Leader auf dem Platz." Für das Spiel gegen seinen alten Verein ist der Pole fit und ausgeruht: Xavi setzt ihn in der Liga gegen Cádiz nur in der letzten halben Stunde ein, für das 2:0 beim 4:0-Sieg reicht es trotzdem.

Bayern gegen den Trend

Lewandowski selbst spricht vor dem Spiel nicht mit den Medien. Er will seine Antworten auf dem Rasen geben. Aber seine Rückkehr wird zu einem tragischen Abend für ihn. In der 26. Minute lässt der Weltfußballer einen Pass von Raphinha clever direkt zurück zum Brasilianer tropfen, der nur knapp rechts vorbeischießt. Kurz darauf rennt der starke Pedri den Strafraum an und wird nicht angegriffen. In aller Ruhe kann er auf Lewandowski passen, der allerdings bei der Annahme wenige Meter vor Neuer zu lange braucht und von Noussair Mazraoui geblockt wird. Hätte er direkt abgeschlossen, hätte es wohl geklingelt. Nächste Mega-Chance, wieder kein Tor! Was ist hier denn los?

Doch auch ohne Treffer sorgt Lewandowski im Zentrum des Strafraums für genau die Gefahr, die den Münchnern zu diesem Zeitpunkt fehlt. Einen Mittelstürmer von Weltformat hat der FC Bayern nicht mehr, obwohl dieser Spielertyp in den vergangenen Jahren seine Renaissance erlebt hat und etwa Real Madrid vor allem dank ihm (in Persona: Karim Benzema) den Titel in der Königsklasse gewann. Selbst der stets auf kleine, flinke Edeltechniker setzende Startrainer Pep Guardiola hat nun Erling Haaland.

Ist das System ohne echten Mittelstürmer also außer Mode gekommen, jetzt, da die Bayern es zum ersten Mal ausprobieren? Nun, dafür kommen die Münchner noch variabler in der Offensive als bisher, wenngleich es oft mit dem Abschluss hapert. Der fluide und unglaublich schnelle Angriff hat an den ersten Bundesligaspieltagen immerhin schon fünf Spieler mit zwei oder mehr Treffern hervorgebracht. Die starke zweite Hälfte, besonders das kreativ über Jamal Musiala und Leroy Sané herausgespielte 2:0, gibt den Münchner an diesem Abend recht.

Lewandowskis letzter Sprint

Für Lewandowski ist es in der zweiten Hälfte ein neues Spiel. Er ist auf einmal defensiv im Zentrum des Geschehens. Beim 0:1 verpasst er Joshua Kimmichs Ecke hauchzart, sodass Hernández hinter ihm einköpfen kann. Anschließend liefert Barcelona wieder einen genialen Moment, der nicht belohnt wird: Pedri dribbelt zwei Bayern aus, legt auf Lewandowski, der seinen Mitspieler direkt wieder perfekt freispielt. Pedri lupft jedoch vor Neuer viel zu leichtfertig an den Außenpfosten.

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Kurz vor Schluss wird Lewandowski nach einem Dribbling am rechten Strafraumeck noch einmal rüde gefällt. Den Ball für den Freistoß aus gefährlicher Position legt er sich höchstpersönlich bereit. Es folgt ein gellendes Pfeifkonzert, mit dem die Fans unbedingt den Anschlusstreffer durch ihren Ex-Torjäger verhindern wollen. Es gelingt, der Freistoß bleibt halbhoch und harmlos in der Mauer hängen. Es soll an diesem Abend wohl nicht sein für den Weltfußballer.

Abpfiff. Lewandowski klatscht in die Hände und umarmt sich brav mit seinen Ex-Kollegen. Ein kurzer Plausch hier und da, das war es dann. Wenig später kommt er mit Sportvorstand Hasan Salihamidžić flachsend aus den Katakomben. Ein überraschender Anblick, schließlich haben sich beide nach der Wechsel-Schlammschlacht nicht die nettesten Worte hinterhergerufen. Kurz jagen alle anwesenden Kamerateams den Torjäger bis zum Mannschaftsbus, aber Lewandowski will nichts sagen. Wieso auch den Mund benutzen, wenn den ganzen Abend über schon die Füße nicht gehorchen?

(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 14. September 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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