Fußball

BVB reloaded an der Anfield Road? Liverpool wartet auf den Klopp-Effekt

Jürgen Klopps erste Wochen beim FC Liverpool sind eine Achterbahnfahrt.

Jürgen Klopps erste Wochen beim FC Liverpool sind eine Achterbahnfahrt.

(Foto: REUTERS)

Jürgen Klopp soll den strauchelnden Traditionsklub FC Liverpool wieder auf Kurs bringen, genau wie einst den BVB. Doch nach ersten Euphoriewallungen zeigt sich: Der vermeintliche Trainer-Messias braucht Zeit. Aber die Richtung stimmt.

Boxing Day in der englischen Premier League, Fußball-Spektakel - und für den FC Liverpool ein willkommenes Kontrastprogramm: An der altehrwürdigen Anfield Road entzauberten die "Reds" den Sensationstabellenführer Leicester City mit 1:0 - und zwar für Coach Jürgen Klopp nicht nur "hochverdient", sondern auch "speziell und emotional". Nach enttäuschenden Auftritten gegen Klubs wie den FC Watford oder West Bromwich war der Effekt des vermeintlichen Trainer-Messias Klopp schon kritisch hinterfragt worden. Zu wenig sei von der Klopp'schen Spielidee zu erkennen, die ganz Europa über viele Jahre hinweg bei Borussia Dortmund bewundern durfte.

Es spricht für Klopps Renommee, dass von ihm eine Wunderheilung erwartet wird. Es zeigt Liverpools Niedergang in den vergangenen Jahren, dass diese Zeit braucht. Zur Erinnerung: Der 48-Jährige ersetzte erst Mitte Oktober Brendan Rodgers als Reds-Coach. Nach einem schwachen Saisonstart zog die Vereinsspitze des FC Liverpool damals die Reißleine. Der Traditionsklub aus dem Nordwesten, einst Rekordmeister Englands, hinkt schon seit Jahren den eigenen Erwartungen hinterher. In der Saison 2013/14 wurden die Reds unter Rodgers zwar noch einmal Vizemeister hinter Manchester City und begeisterten mit ihrem Offensivspiel. Doch Abgänge wie jener von Luis Suárez im Sommer 2014 oder von Raheem Sterling ein Jahr später wurden nie adäquat ersetzt.

Zudem ist der Kader auf keine konkrete Spielidee ausgelegt. Mit den vorhandenen Spielern muss Klopp allerdings aktuell arbeiten. Wenngleich er selbst betont, er sei mit seinen Kickern zufrieden, bleiben gewisse Schwachstellen offensichtlich.

Pressing erfordert Lernprozess

Zuletzt sahen vor allem die Innenverteidiger sowie Torhüter Simon Mignolet schlecht aus. Kleinere Klubs zwangen Liverpool den Ballbesitz auf und versuchten dann über schnelle Konter zum Erfolg zu kommen. Abwehrspieler wie Martin Škrtel sind für Sprintduelle über 15 oder mehr Meter nicht geeignet.

Doch für Dortmunds Innenverteidiger Mats Hummels und Neven Subotić galt ähnliches. Allerdings kaschierte der Klopp'sche BVB in seiner Hochphase diese individuellen Schwächen. Denn das Gegenpressing griff unmittelbar nach Ballverlusten.

Hin und wieder sah das Pressing der Liverpooler vielversprechend aus. Nach diesem Schema versuchten sie zuletzt, den Gegner auf die Außenbahn zu lenken und anschließend zu isolieren. Die diagonale Staffelung blockierte Passwege ins Zentrum.

Hin und wieder sah das Pressing der Liverpooler vielversprechend aus. Nach diesem Schema versuchten sie zuletzt, den Gegner auf die Außenbahn zu lenken und anschließend zu isolieren. Die diagonale Staffelung blockierte Passwege ins Zentrum.

Bei Liverpool hingegen befindet sich Klopp noch in der Aufbauarbeit. Seine Spieler gehen mit größerer Intensität als noch unter Rodgers zu Werke. Einfache Vorgänge wie etwa mannorientiertes Angriffspressing – also das simple, meist frontale Anlaufen eines gegnerischen Aufbauspielers – sind für jeden verständlich. Wird es aber komplexer, kommen Klopps Akteure noch ins Straucheln.

Hin und wieder lenken sie den Gegner bereits gut auf den Flügel. Oder sie setzen mit gezielten Bogenläufen den Ballführenden unter Druck, indem sie ihn nicht nur mit einem Zweikampf bedrohen, sondern auch Anspieloptionen entziehen. Aber: Liverpool funktioniert im Pressing noch nicht als Kollektiv. Einzelne Spieler verstehen die Prozesse und erfüllen die Aufgaben bereits nach Klopps Vorstellungen. Andere tun das nicht.

Kommt wie beim aktuellen Team noch eine ausgesprochene Schwäche beim Verteidigen von Standardsituationen hinzu, ist auf die Defensive kein Verlass. Nach dem dramatischen 2:2 gegen West Brom etwa stöhnte Klopp: "Ich habe keine Ahnung, wie oft wir nach Standards Tore kriegen, aber es fühlt sich wie 98 Prozent an. Obwohl wir gut verteidigt haben."

Beim Kontern gefährlich

Ballbesitz in den letzten Ligaspielen

gegen Crystal Palace (1:2) – 58 %

gegen Manchester City (4:1) – 46 %

gegen Swansea City (1:0) – 53 %

gegen Newcastle United (0:2) – 55 %

gegen West Brom (2:2) – 64 %

gegen Watford (0:3) – 58 %

gegen Leicester City (1:0) – 58 %

Quelle: Squawka.com

Der Sieg gegen Leicester gibt jedoch Grund zur Hoffnung. Vor dieser Partie gewannen die Reds unter Klopps Führung in der Liga nur gegen den Abstiegskandidaten aus Swansea sowie auswärts gegen Chelsea und Manchester City. Bei City hatte Liverpool lediglich 46 Prozent Ballbesitz und konnte sich aufs Kontern verlegen.

Klopp wählte für die Partie in Manchester seine "kleine" Lösung im Sturm. Der Ex-Hoffenheimer Roberto Firmino fungierte als Spitze. Flankiert wurde er von dem ebenfalls dribbelstarken Duo Adam Lallana und Philippe Coutinho. Diese drei, unterstützt von Mittelfeldspieler Emre Can, wirbelten Citys Verteidigung durcheinander.

Unabhängig davon, ob nun der eher agile Firmino oder ein bulliger Mittelstürmer wie Christian Benteke zum Einsatz kommt: Liverpool wirkt im Konterspiel stets gefährlich.

Verbesserungen in der Spielgestaltung

Wird ihnen aber der Ballbesitz aufgedrängt, ist noch viel Luft nach oben. Raumaufteilung und Positionsspiel sind bei Weitem noch nicht auf dem Niveau, das Liverpool erreichen muss. In einigen Partien standen die Flügelspieler zu breit. Die Achter rückten im falschen Moment heraus. Halbräume, wo viele Premier-League-Teams anfällig sind, wurden nur unzureichend genutzt.

Gegen Leicester rückten Liverpools Sechser immer wieder nach außen. Die Außenverteidiger stießen hingegen diagonal nach vorn. Währenddessen besetzten die offensiven Mittelfeldspieler die Zone zwischen Leicesters Linien.

Gegen Leicester rückten Liverpools Sechser immer wieder nach außen. Die Außenverteidiger stießen hingegen diagonal nach vorn. Währenddessen besetzten die offensiven Mittelfeldspieler die Zone zwischen Leicesters Linien.

Auch in diesem Punkt zeigte das 1:0 gegen Leicester einen positiven Trend auf. Klopp stellte Coutinho und Lallana auf die nominellen Flügelpositionen. Beide standen oft sehr zentral. Dafür rückten die Achter, Can und Henderson, vermehrt auf die Außenpositionen. Die Außenverteidiger starteten derweil gelegentliche Diagonalläufe.

Dynamisch wurden in dieser Form die Flügelräume überladen, ohne auf bekannte Bewegungsmuster zu vertrauen. Leicesters Verteidigung kam damit nur sehr selten zurecht. Trainer Claudio Ranieri reagierte zur Halbzeitpause. Leicesters äußere Abwehrspieler zogen sich schneller zurück, um nicht unnötig die Räume zu entblößen. Doch Liverpool wusste auch diese Passivität mit ihrer Flügelbesetzung zu nutzen.

"Was wir heute machen mussten, war einfach zu spielen. In Watford letzte Woche haben wir viel zu kompliziert agiert und dem Gegner damit in die Karten gespielt", sagte Klopp nach dem Heimsieg.

Es ist nur ein kleiner Schritt hin zu besserem Ballbesitz- und damit Angriffsspiel. Klopp wird seit Jahren vorgehalten, er hätte keine Strategie, wenn seine Mannschaft in die spielmachende Rolle gedrängt wird. Der 48-Jährige muss nun beim FC Liverpool den Gegenbeweis antreten.

Quelle: ntv.de

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