Neuer stichelt, Podolski motzt Löws feine Herren packen nicht zu
15.11.2014, 05:54 Uhr
Toni Kroos wird von Brian Perez attackiert.
(Foto: dpa)
Immerhin leidet Thomas Müller mit den Zuschauern. Das spricht für ihn, aber gegen die DFB-Elf beim Sieg in der EM-Qualifikation gegen Gibraltar. Und Lukas Podolski spielt zwar durch, ist aber leicht auf die Palme zu bringen.
Kennen Sie diese Menschen, die ihr Grillhähnchen mit Messer und Gabel essen, um sich bloß nicht die Finger schmutzig zu machen? Dieses Fett an den Händen ist ja auch wirklich keine schöne Sache. Wer aber den vollen Genuss will, der muss halt irgendwann zupacken. Die deutschen Fußballer aber haben sich an diesem Freitagabend in Nürnberg für die feinere Variante entschieden. Die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw gewann zwar ihr Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft gegen extrem defensive Gäste aus Gibraltar mit 4:0 (3:0). Doch nicht nur die 43.520 Zuschauer im ausverkauften Stadion hatten den Eindruck, dass da mehr drin gewesen wäre. Oder dran, um im Bild zu bleiben. "Das war kein Leckerbissen", sagte Thomas Müller hinterher.
Deutschland - Gibraltar 4:0 (3:0)
Tore: 1:0 Müller (12.), 2:0 Müller (29.), 3:0 Götze (38.), 4:0 Santos (67., Eigentor)
Deutschland: Neuer - Mustafi, Boateng, Durm (72. Hector) - Kroos (79. Bender), Khedira (60. Volland), Götze, Bellarabi, Podolski - Müller, Kruse
Gibraltar: Robba - Garcia , Wiseman, R. Casciaro, Chipolina - Perez (90. Priestley), R. Chipolina, Sergeant (58. Santos), Walker - L. Casciaro (72. K. Casciaro)
Schiedsrichter: Tudor (Rumänien)
Zuschauer: 44.308 (ausverkauft)
Während vor der Pause der Ball noch rollte wie das Rrrrr im fränkischen Zungenschlag, kam in der zweiten Halbzeit nicht mehr viel. Nachdem Thomas Müller zweimal und Mario Götze einmal getroffen hatte, fand das Leder nach dem Wechsel nur noch einmal den Weg ins Tor des krassen Außenseiters. Gibraltars Yogan Santos schoss ihn in seiner Not selbst hinein. Das war’s. Der Bundestrainer war alles andere als zufrieden: "Die Mannschaft hat nicht die Erwartungen und Anforderung erfüllt. Wenn wir wie ein Weltmeister spielen wollen, dann sind vier Tore einfach zu wenig." Ob es ihm da ein Trost ist, dass mit Spanien am Dienstag ein fußballerisches Filetstück wartet? Die deutschen Spieler in der Einzelkritik.
Manuel Neuer: Der 28 Jahre alte Torhüter des FC Bayern war nach seinem 57. Länderspiel alles andere als unzufrieden. "Dass die Null stand, war extrem wichtig für mich", sagte er. Und stichelte dann im Nachsatz: "Gerade in der Nationalmannschaft." zeigte er sich beeindruckt von Gibraltars Liam Walker. "Der Zehner hat einen ganz guten linken Fuß." In der Tat war er es, der Neuer kurz vor der Pause mit einem kraftvollen Bogenschuss zu seiner einzigen Parade zwang. Eine Viertelstunde vor dem Ende der Partie prüfte Walker ihn noch einmal. Über die Darbietung seiner Kollegen urteilte Neuer milde: "Wir wollen immer das Beste geben. Aber es ist schwer, wenn da hinten ein kompletter Mannschaftsbus steht. Da müssen wir quasi erst einmal die Fensterscheibe einschmeißen." Abgesehen davon war es ein ruhiger und wohl auch kalter Abend für ihn. „Ich hatte, glaube ich, 30 Ballkontakte.“ Aber wie wir wissen, stört ihn das nicht - gerade in der Nationalelf.
Shkodran Mustafi: Der Verteidiger des FC Valencia bekleidete in seinem fünften Länderspiel offiziell die Position am rechten Ende der Dreierabwehrkette. In Wirklichkeit agierte er als offensiver Rechtsaußen, rannte die Außenlinie unermüdlich rauf, dann wieder runter - und deutete an, dass in diesem Leben aus ihm kein Flügelstürmer mehr wird, auch wenn er erst 22 Jahre alt ist. Aber vielleicht ein guter rechter Verteidiger, wenn auch kein neuer Philipp Lahm. Und: Mit einer ebenso schönen wie kuriosen Flanke breitete er das erste Tor des Kollegen Müller vor, als der Ball erst an den Pfosten prallte und dann dem Schützen vor die Füße fiel. Räumte hinterher ein: "Es hätte auch das eine oder andere Tor mehr sein können. Wir hätten konsequenter sein müssen. Aber wichtig war, das Spiel zu machen - und das haben wir 90 Minuten lang getan." Fand noch die Zeit, seinen Zuhörern eine kleine Geschichtsstunde zu geben: "Die Leute müssen einfach verstehen, dass es keine einfachen Spiele mehr gibt. Das ist nicht mehr so einfach wie früher, zweistellig zu gewinnen."
Jérôme Boateng: Zwischen zwei Jungspunden war der 26 Jahre alte Innenverteidiger des FC Bayern in seinem 50. Länderspiel der ruhende Pol, auch wenn es nicht groß etwas zu beruhigen gab. Hielt sich als letzter Mann meist an der Mittellinie auf und mühte sich, weil in der Abwehr unterfordert, redlich, sein erstes Länderspieltor zu erzielen, köpfte und schoss allerdings vergeblich. Fand, wie neuerdings stets, klare Worte: "Ich hätte schon erwartet, dass wir heute höher gewinnen. Die erste Halbzeit war okay, die zweite schlecht." Er ist halt eher der Typ, der zupackt und den Knochen dann auch abnagt. Zufrieden hingegen war er mit dem Publikum: "Ich fand es super, wie die Fans uns angefeuert haben. Nach der Pause hatte ich Verständnis, dass ein paar Pfiffe kamen."
Erik Durm: Der 22 Jahre alte Verteidiger der Dortmunder Borussia ließ es als linker Verteidiger der nahezu arbeitslosen Dreierbande in seinem sechsten Länderspiel etwas defensiver angehen. Warum, bleibt vorerst sein Geheimnis. Nach 72 Minuten war Schluss, der Bundestrainer wechselte ihn aus. Für Durm kam der 24 Jahre alte Jonas Hector vom 1. FC Köln auf den Rasen und als 74. Neuling unter Löw zu seinem Debüt in der Nationalelf. Ließ es hinterher in der Mixed Zone richtig krachen und fiel den Journalisten jubelnd um den Hals. Nein, tat er nicht. Wie hatte Lukas Podolski in dieser Woche gesagt? "Er ist eher ein zurückhaltender und ruhiger Junge." Und so sagte Hector nach dem Spiel lediglich: "Ich bin natürlich froh, spielen zu dürfen. Ich bin jetzt den vierten Tag dabei und muss mich erst einmal ein bisschen eingewöhnen. Das ist hier schon ein anderes Niveau." Gibraltar? So schlecht ist der Effzeh nun auch wieder nicht. Und ja: "Der Lukas hat mir schon ein bisschen geholfen." Was Podolski umgehend relativierte: "Der Junge ist ja keine 18 mehr."
Toni Kroos: Der Mittelfeldmann von Real Madrid war der einzige Spieler auf dem Rasen des Frankenstadions, der Handschuhe trug. Damit ist das wichtigste gesagt. Vielleicht lag es daran, dass der 24 Jahre alte Ex-Münchner in seiner 56. Partie für die DFB-Elf auch der einzige Spieler seiner Mannschaft auf der Sechserposition vor der abgespeckten Abwehr war. Von dort aus passte er seelenruhig die Bälle zu den Mitspielern, was prima gelang. Was nicht klappte, war der Versuch, sein neuntes Länderspieltor zu erzielen. Seine Schüsse aus der Ferne gingen stets neben oder über das Tor von Jamie Robba, der darüber froh gewesen sein dürfte. Nachdem er in der 79. Minute durch den ein Jahr älteren Leverkusener Lars Bender ersetzt worden war, der so zu seinem 18. Länderspiele kam, hatte Kroos genügend Zeit, sich auf die Interviews danach vorzubereiten. Sein Fazit, auch wenn der Sieg niedriger ausgefallen sei als erwartet: "Solche Spiele gehören auch dazu." Selbstverständlich habe die DFB-Elf nicht überragend gespielt und sich zweitweise sehr schwer getan. Aber es sei nun einmal so: "Heutzutage kann sich jede Mannschaft mit neun Mann hinten reinstellen und ein bisschen verteidigen."
Karim Bellarabi: Der 24-jährige Leverkusener stand in seinem erst dritten Länderspiel wie selbstverständlich in der Startelf. Und wieder war er es, der von Beginn an auf der rechten Angriffsseite leichtfüßig und flink für viel Wirbel und fast noch mehr Flanken sorgte. Spielte Gibraltars Joseph Chipolina einige Male schwindelig, das Zusammenspiel mit dem Kollegen Mustafi klappte gut, wir haben nicht notiert, dass der eine den anderen über den Haufen gerannt hätte. Nur etwas Zählbares gebracht hat es nicht, denn auch für Bellarabis erstes Tor im Dress des DFB hat es nicht gereicht. "Wir hätten schon mehr Tore machen müssen, wir hatten genug Chancen." Aber immerhin dafür, dass er erneut einen Eindruck hinterlassen hat, der bleibt.
Sami Khedira: Es war seine erste Partie seit dem 7:1 im Halbfinale der Weltmeisterschaft gegen Brasilien. Nach seiner Verletzungspause war der 27 Jahre alte Mittelfeldspieler von Real Madrid nun wieder dabei und im Zentrum des Spiels auch mittendrin. Da es in der Defensive nicht viel abzuräumen gab, beteiligte er sich engagiert an den Versuchen, das Bollwerk der Gibraltarer zu knacken - mehr oder weniger erfolglos allerdings. Er ist nicht der Mann für den entscheidenden Offensivpass. Dass sein 52. Länderspiel nach einer Stunde beendet war, hatte aber wohl damit zu tun, dass der Bundestrainer ihn für die Freundschaftspartie am Dienstag in Spanien schonen wollte. Es kam der 22 Jahre alte Hoffenheimer Kevin Volland, sein zweites Länderspiel. Immerhin.
Mario Götze: Zeigte bei seinem Tor zum 3:0, dass der Ball sein Freund ist, mit dem er gut umzugehen pflegt, auch wenn zahlreiche Gegenspieler ihm den Weg versperren. Dennoch wird sein 13. Tor für die DFB-Elf ganz bestimmt nicht als sein zweitwichtigstes in die Geschichte des deutschen Fußballs eingehen. Ansonsten war der 22 Jahre alte Münchner, der in dieser Saison auch beim FC Bayern glänzt, in seinem 40. Länderspiel einer der Besseren in seinem Team. "Unsere Ansprüche sind immer hoch, gerade gegen Gibraltar. Wir hätten uns auch mehr Tore gewünscht. Aber die Räume waren eng und es ist nicht immer einfach, wenn da elf Mann am eigenen Sechzehner stehen. Es kann natürlich auch 8:0 ausgehen, diesmal eben nicht."
Lukas Podolski: Wer es nicht gut mit ihm meint, der könnte sagen: Jetzt trifft er nicht einmal mehr gegen die Kleinen. Aber wer könnte es mit Podolski schon böse meinen? Vielleicht sein Trainer beim FC Arsenal, Arséne Wenger. Vermutet zumindest Podolski. Der 29 Jahre alte Offensivspieler wollte sich hinterher nicht lange mit seinem 121 Länderspiel und seinen immer noch 47 Toren zu beschäftigen - obwohl er doch volle 90 Minuten spielen durfte. Ein Vergnügen, dass er im Verein schon lange nicht mehr hatte. "Die letzten vier Monate hatte ich immer nur Kurzeinsätze. Ich ziehe die dicke Winterjacke an, Mütze, Schal und muss den anderen zusehen." Einmal in Rage, fand er kein Ende. "Ich bin Straßenfußballer, ich will den Wettkampf. Mir wird die Chance genommen, zu zeigen, was ich kann. Ich will noch jahrelang Fußball spielen. Soll ich etwa sagen, alles ist gut und ich sitze meinen Vertrag aus?" Der läuft bis 2016, dann findet die Europameisterschaft in Frankreich statt. Darum geht es ihm. Immerhin: Gegen Gibraltar gab er die Vorlage zu Müllers zweitem Treffer und erzwang das Eigentor der Gäste. "Ich denke, ich habe die Sache ordentlich gemacht."
Thomas Müller: Weil er auch gegen Gibraltar trifft, und das gleich doppelt, hat es der 25 Jahre alte Münchner in seinen 61 Länderspielen nun auf 26 Tore gebracht. Und auf vier in dieser EM-Qualifikation. Da gibt es nichts zu meckern, zumal Müller sich als Angreifer aufrieb wie eh und je. Und sonst so? War auch er mit der ersten Halbzeit einigermaßen zufrieden. Und danach? "War das für die Zuschauer auch nur eine Zeit lang erträglich. Aber Gibraltar spielt ein 6-3-1-System. Es war klar, dass das kein Spaziergang wird."
Max Kruse: Der 26 Jahre alte Mönchengladbacher kann mit seinem neunten Länderspiel nicht zufrieden sein. Seine Chance, sich nachhaltig beim Bundestrainer für weitere Verwendung zu empfehlen nutzte er nicht. Dafür war er einfach bei seinem ersten Einsatz in der Startelf zu wenig präsent. Nur vor dem 3:0 beim Doppelpass mit Götze deutete er an, dass er durchaus was kann. "Wir hatten uns vorgenommen, so viele Tore wie möglich zu schießen." Aber: "Dass wir die drei Punkte geholt haben, ist das Wichtigste heute." Er hat diesen Satz tatsächlich nach einem Spiel gegen Gibraltar gesagt. Das müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen.
Quelle: ntv.de