
Thiaw bestand die Prüfung gegen Kane und Co.
(Foto: IMAGO/LaPresse)
Statt mit dem FC Schalke gegen den Abstieg in der Bundesliga zu spielen, kommt Malick Thiaw beim AC Mailand in der Champions League zum Einsatz. Im Achtelfinal-Hinspiel gegen Tottenham Hotspur brilliert der deutsche U21-Kapitän. Sein Einsatz ist dabei nicht selbstverständlich.
Knapp links vorbei, kein Tor für Malick Thiaw. Beinahe hätte der 21-Jährige vom AC Mailand in der 79. Minute seine Top-Leistung gekrönt. Es wäre das erste Tor für seinen neuen Klub gewesen. Sein Kopfball war nicht platziert genug, doch das war an diesem Abend zu vernachlässigen. Die Italiener gewannen das Hinspiel im Achtelfinale der Champions League gegen Tottenham Hotspur mit 1:0 durch ein frühes Tor von Brahim Diaz (7.) - und das vor allem wegen des Ex-Schalkers. Der hatte als Innenverteidiger seine Gegenspieler Harry Kane, Heung-Min Son und Dejan Kulusevski zur Verzweiflung gebracht und an jeglicher Torchance gehindert.
"Von sowas träumt man als kleines Kind", sagte Thiaw nach seinem ersten Spiel in der Champions League bei Amazon Prime Video. "Ich habe es locker genommen, habe mich auf das Spiel und meine Stärken konzentriert. Ich denke, es ist mir ganz gut gelungen." Eine Einschätzung, die die italienische Presse nicht teilt. Sondern sie aufbauscht und mit Grandezza auflädt. "Das San Siro hat eine neue Legende und die kommt aus Deutschland. Aggressiv und zäh, Thiaw wird bestimmt zum Fixstern im Milan-Kader werden", schrieb die "Gazzetta dello Sport" über den Auftritt des deutschen U21-Nationalspielers. Der "Corriere dello Sport" kommentierte: "Thiaw ist der Protagonist der ersten Halbzeit, in der er den Applaus der Fans voll verdient hat. Er begeht keinen einzigen Fehler."
Thiaw lange nicht im Fokus
Wichtiger als das Lob der Presse dürfte Thiaw aber das von seinem Trainer Stefano Pioli sein. "Er hat ein tolles Spiel gemacht", schwärmte dieser über seinen Verteidiger, den er in dieser Saison erst sechsmal hat spielen lassen. "Ich sehe, wie er jeden Tag im Training arbeitet. Mit diesem Jungen sollte man rechnen."
Eine Einschätzung, an der sich Pioli künftig messen lassen muss. Denn bis zu diesem Königsklassen-Abend hatte Thiaw in dieser Saison noch mehr Spielminuten für FC Schalke 04 absolviert als für Mailand. Mit den 90 Minuten gegen Tottenham kommt er auf 323 Minuten für die Italiener, 270 waren es für Schalke, den der Verteidiger am 29. August 2022 erst kurz vor Transferschluss verlassen hatte. Da hatte er bereits drei Spiele für den Aufsteiger in der Bundesliga absolviert, für den er sieben Jahre gespielt hatte.
Als Wunschkandidat trotzdem auf Ersatzbank
Dann aber war er für fünf Jahre von den Mailändern verpflichtet worden, die seine Ablöse von sieben Millionen Euro aus dem Erlös der Weiterverkaufsklausel von Lucas Paqueta bezahlten, der für mehr als 60 Millionen Euro von Olympique Lyon zu West Ham United gewechselt war. Ein Transfer, der für die klamme Schalker Kasse nötig war: "Es war für uns eine schwierige Entscheidung, Malick ziehen zu lassen", hatte Ex-Sportdirektor Rouven Schröder damals gesagt: "Wir müssen bei allen Entscheidungen immer auch die wirtschaftlichen Aspekte beachten - so wie im vergangenen Winter, als wir einen Wechsel noch abgelehnt hatten. Die Rahmenbedingungen jetzt sind andere und finanziell so gut, dass wir dem Transfer nun zugestimmt haben."
Für Thiaw lohnte sich der Wechsel zunächst allerdings nicht. Obwohl er ein Wunschkandidat von Pioli war: "Malick ist ein schneller und intelligenter Spieler mit guter Technik. Er ist absolut geeignet, um in unserer Mannschaft zu spielen." Doch dann durfte Thiaw erst im siebten Spiel nach seinem Transfer für sieben Minuten auf den Platz, gab sein Debüt gegen Hellas Verona, ehe er sich erneut gedulden musste. Nur dreimal stand er in der Liga bislang in der Startelf. Pioli setzte in der Abwehr auf Pierre Kalulu, Fikayo Tomori, Matteo Gabbia und Theo Hernandez - mit diesen war er in der vergangenen Saison Meister geworden. Der erste Titel für Mailand nach elf Jahren.
Mit Thiaw kommt der erste Sieg seit Januar
Doch während der AC Mailand in der Meister-Saison insgesamt nur 31 Tore kassierte, sind es in dieser Spielzeit nach 22 von 38 Partien bereits 30. Der Klub ist Fünfter der Serie A, abgesehen vom Tabellenführer SSC Neapel, der einen gigantischen Vorsprung von 15 Punkten auf den ersten Verfolger hat, ist die Spitze allerdings denkbar eng. Auch Atalanta Bergamo und die AS Rom als Dritte und Vierte der Tabelle haben wie Milan 41 Punkte, Stadtrivale Inter ist mit 44 Punkten Zweiter.
Sechs Spiele ohne Sieg hatten Pioli vor der Partie gegen den FC Turin am vergangenen Freitag zum Umdenken bewegt. Thiaw durfte 90 Minuten ran, Mailand blieb ohne Gegentor und gewann dank eines Treffers von Olivier Giroud mit 1:0 - der erste Sieg seit Anfang Januar. Was gegen Turin funktionierte, sollte auch gegen Tottenham klappen. "Das Vertrauen in Thiaw hat nie gefehlt", versicherte Pioli nach der Partie.
Eine kurios anmutende Aussage, da er den Spieler trotzdem lange nicht einsetzte. Als Thiaw nun seine Chance bekam, zeigte er, warum die Worte des Trainers aber berechtigt sind. Ihm war seine bis dato geringe Spielzeit für Mailand nicht anzumerken, er agierte souverän und ohne Nervosität. 78 Prozent seiner Zweikämpfe gewann er gegen die Topstars von Tottenham. Auch Mailands Vereins-Ikone Paolo Maldini könnte zum Selbstvertrauen beigetragen haben: "Ich habe mit ihm in den vergangenen Monaten viel gesprochen. Ich habe seine Entwicklung gesehen und habe ihm gesagt: nicht aufgeben."
Einbürgerung macht U21-Nominierung möglich
Die Partie dürfte auch Antonio Di Salvo mit großem Interesse beobachtet haben, schließlich ist Thiaw sein Kapitän in der U21-Nationalmannschaft. Die hat ihr erstes Spiel des Jahres am 24. März gegen Japan, im Sommer steht dann die Europameisterschaft in Rumänien und Georgien an, bei der der Titelverteidiger in der Vorrunde gegen England, Tschechien und Israel ran muss.
Dass Thiaw die deutsche Auswahl anführt, ist übrigens nicht selbstverständlich. Der 1,94 Meter große Verteidiger wurde zwar in Düsseldorf geboren und hat bis zu seinem Wechsel nach Mailand immer in Deutschland gelebt. Doch erst im Frühjahr 2021 ließ er sich einbürgern, zuvor besaß er nur die finnische Staatsbürgerschaft. Seine Mutter ist Finnin, sein Vater Senegalese - im August 2017 war er sogar schon für die finnische U17-Nationalmannschaft nominiert, kam aber nicht zum Einsatz. Direkt nach seiner Einbürgerung wurde er dann erstmals vom damaligen Trainer Stefan Kuntz für die deutsche U21 berufen, musste aber für die EM 2021 hinter Nico Schlotterbeck und Amos Pieper zurückstecken. Ohne Thiaw wurde das Team Europameister. Mit nun 21 Jahren ist er aber immer noch jung genug für die mögliche Titelverteidigung. Seine jüngsten Auftritte bei Milan dürften Di Salvo nur darin bestärken, auch in diesem Jahr wieder auf ihn zu setzen.
Denn vor allem dank Thiaw hat der AC Mailand erstmals seit dem Europa-League-Zwischenrundenspiel gegen Ludogorets Rasgrad im Februar 2018 wieder ein internationales K.-o.-Spiel gewonnen. Im Jahr 2021 waren sie über zwei Unentschieden mit dem besseren Auswärtstorverhältnis in der Europa-League-Zwischenrunde gegen Roter Stern Belgrad ins Achtelfinale eingezogen, dort aber an Manchester United gescheitert, in der Vorsaison waren sie als Gruppenletzte vorzeitig ausgeschieden. Nun gehen die Italiener mit dem knappen 1:0-Sieg ins Rückspiel in London am 8. März. Für Thiaw ist zu hoffen, dass sich seine vergebene Torchance nicht doch noch rächt.
Quelle: ntv.de