DFB-Elf in der Einzelkritik Müller trifft famos, Boateng wieder chefig
24.03.2018, 05:18 Uhr
Alles in allem ließ das DFB-Team im Spiel gegen Spanien die Vorfreude auf eine hochklassige WM steigen.
(Foto: dpa)
Wie WM-tauglich ist die DFB-Elf? Nach dem Remis im Testspiel gegen Spanien lautet die Antwort: Schau'n mer mal. Immerhin ist das deutsche Team nicht völlig vor den iberischen Zauberfüßen eingeknickt. Und einer war richtig gut.
Und nun? Sind die deutschen Fußballer bereit, bei der Weltmeisterschaft im Sommer in Russland den Titel erfolgreich zu verteidigen? Sagen wir es so: klares Jein. Bundestrainer Joachim Löw jedenfalls konnte nach dem 1:1 (1:1) gegen Spanien an diesem Freitagabend unwidersprochen behaupten: "Es war ein hochklassiges Spiel, aber beide Mannschaften können bei der WM noch mehr zeigen." In der Tat sahen die 50.653 Zuschauer in der ausverkauften und muckelig warmen Düsseldorfer Zweitliga-Turnhalle eine Partie, die zwar als Test deklariert war, der aber in der ersten Halbzeit durchaus Rasanz innewohnte.
Das lag zu einem guten Teil an den Spaniern, die zeitweise den Ball und ihre Gegner laufen ließen, dass es eine helle Freude war. Aber auch daran, dass sich die deutsche Nationalelf davon nach kurzer Findungsphase nicht über die Maßen beeindrucken ließ. Rodrigo Moreno schoss die Gäste nach sechs Minuten in Führung, Thomas Müller sorgte eine knappe halbe Stunde später für den Ausgleich. Nach der sehr unterhaltsamen ersten Hälfte war es ein wenig schade, dass die Gäste ihr Kontingent von sechs Wechseln voll ausschöpften und auch der Bundestrainer letztlich vier Mal tauschte. So zerfaserte die Partie, wohl auch, weil alle Beteiligten mit diesem Remis zufrieden waren. Wie dem auch sei: Dieses Spiel zweiter guter Teams konnte so etwas wie Vorfreude auf die WM wecken, die für die DFB-Elf am 17. Juni mit der Partie gegen Mexiko in Moskau beginnt.
Die deutschen Spieler in der Einzelkritik:
Marc-André ter Stegen: Hm, was soll das? Der ehemalige Mönchengladbacher hat es nicht in den Kader für die WM geschafft - zumindest nicht als Klebebildchen fürs Panini-Album. Ein schlechtes Omen? Eher nicht. Der 25 Jahre alte Stammtorhüter des FC Barcelona gilt als gesetzt - völlig unabhängig davon, ob Manuel Neuer nach seinem Fußbruch rechtzeitig fit wird oder nicht. Die spanische Sporttageszeitung "Marca" lobte ter Stegen jüngst gar als "Messi mit Handschuhen". Nimm das, Panini! Und in der DFB-Elf hatte er, nicht nur beim Gewinn des Confed Cups, im vergangenen Jahr seinen Konkurrenten vom FC Bayern prima vertreten. Daher müsste sich Löw nicht allzu arg sorgen, sollte Neuer es nicht schaffen. In seinem 19. Länderspiel war ter Stegen zwar beim Gegentor ohne Chance - aber das wäre jeder andere Torhüter auf diesem Planeten auch gewesen. Er strahlte die Souveränität aus, die von einer Nummer eins erwartet wird. Nach 56 Minuten zeigte er dann, was er kann. Jordi Alba hatte den Ball nach innen gepasst, Isco stand vier Meter frei vor ihm - ter Stegen aber parierte großartig und verhinderte das 1:2.
Joshua Kimmich: Dass er bis auf absehbare Zeit den Job am rechten Ende der Viererkette übernimmt, ist seit der EM 2016 in Frankreich keine ernsthafte Frage mehr. Und an den FC Bayern hat sich der 23 Jahre alte Abwehrspieler jüngst bis 2023 gebunden, wenn man davon ausgeht, dass Verträge im Profifußball noch in irgendeiner Weise verbindlich sind. Der Mann hat also vorgesorgt. Und kann sich nun in Ruhe darauf konzentrieren, die ihm zugedachte
Rolle als einzig legitimer Nachfolger Philipp Lahms mehr und mehr auszufüllen. Die Fans hatten ihn gar zum Nationalspieler des Jahres gewählt, vor der Partie wurde er dafür geehrt. In seinem 26. Länderspiel zeigte sich, dass das, was ihm bisweilen nachgesagt wird, in der Tat nicht ganz falsch sein könnte. So engagiert er sich auch in der Offensive, hat defensiv aber noch so seine Schwächen. Zumindest, wenn einer wie Francisco Román Alarcón Suárez, genannt Isco, auf ihn zukommt. Niemand kann behaupten, Kimmich habe den offensiven Mittelfeldspieler von Real Madrid stets im Griff gehabt.

Mit seiner Leistung gegen Spanien konnte Hummels Boateng den inoffiziellen Titel des Abwehrchefs heute nicht abringen.
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Jérôme Boateng: Während der FC Bayern die Bundesliga dominiert, nutzt der 29 Jahre alte Innenverteidiger die Zeit, sich nach schwierigen Jahren, zwei Muskelbündelrissen, einer Sehnenverletzung an den Schultern, diversen Oberschenkel- und Adduktorenproblemen wieder in Form zu bringen, auf dass Boateng spätestens zur WM wieder spielt wie Boateng. Oder wie es sein Trainer Jupp Heynckes zu Beginn des Jahres sagte: "Bleibt Jérôme gesund, wird er wieder Weltklasse." Ob das nun in seinem 69. Länderspiel Weltklasse oder einfach nur richtig gut war, sei mal dahingestellt. Jedenfalls darf er als der stärkere der beiden zentralen Abwehrspieler weiter den inoffiziellen Titel des Abwehrchefs für sich reklamieren: defensiv ungeheuer souverän, gerne als Retter in letzter Not; und Aufbauspiel kann er auch.
Mats Hummels: Das Gerücht der Woche kam in der Woche vor diesem Länderspiel vom "Kicker". Angeblich erwägt der 29 Jahre alte Innenverteidiger des FC Bayern eine Rückkehr zum BVB - sollte im Sommer Thomas Tuchel als Trainer beim Branchenprimus anheuern. Wir zitieren: "Tuchel und Hummels waren sich in Dortmund in herzlicher Abneigung verbunden." Dass sie noch einmal eine gemeinsame Basis finden könnten, sei "nahezu ausgeschlossen". Ob er in seinem 63. Länderspiel zu oft an Tuchel gedacht hat? Jedenfalls war es eines seiner schwächeren, was neben einem wie Boateng umso mehr auffällt. Nun war der Pass des immer noch genialen spanischen Altmeisters Andrès Iniesta vor dem 0:1 wirklich von feinster Güte - aber Hummels stand eben auch nicht ganz richtig. Den Torschützen Moreno hatte er nicht wirklich im Blick. Und beim Ansinnen, das Spiel anzukurbeln, ging ihm einige Male der Ball abhanden. Immerhin: Nach einem Freistoß des Kollegen Kroos köpfte er nach 65 Minuten eben jenen Ball auf die Latte des gegnerischen Tores. Es wäre das 2:1 gewesen.
Tore: 0:1 Moreno (6.), 1:1 Müller (35.)
Deutschland: ter Stegen - Hector, Boateng, Hummels, Kimmich - Khedira (53. Gündoğan), Kroos - Müller (80. Goretzka), Özil, Draxler (68. Sané) - Werner (84. Gomez)
Spanien: de Gea - Carvajal, Piqué (51. Nacho), Ramos, Alba - Koke, Thiago (82. Hernandez) - Isco (59. Asensio), Silva (71. Vázquez), Iniesta (46. Niguez) - Moreno (65. Costa)
Schiedsrichter: William Collum (Schottland)
Zuschauer: 50.653 in Düsseldorf (ausverkauft)
Jonas Hector: Borussia Dortmund soll ja an dem 27 Jahre alten Linksverteidiger interessiert sein; ebenso Juventus Turin und, klar, auch der FC Bayern. In die zweite Liga wird Hector mit dem 1. FC Köln wohl kaum gehen. Im Falle eines Abstiegs müssten Interessenten zwischen sieben und acht Millionen Euro zahlen. Mittlerweile geht das locker als Schnäppchen durch. Abgesehen davon hat er sich von seinem im Herbst erlittenen Syndesmosebandriss im Sprunggelenk gut erholt und darf in der Nationalelf seinen Platz auf der Problemposition der deutschen Mannschaft wieder einnehmen. Und da sich die Spanier vornehmlich darauf konzentrierten, es über die rechte Seite beim Kollegen Kimmich zu probieren, stand Hector in seinem 36. Länderspiel nicht ganz so unter Druck, auch wenn es ihm David Silva nicht leicht machte. Hector erledigte seinen Job unspektakulär ordentlich, auch wenn ihm einige Stellungsfehler unterliefen. Aber Löw braucht ihn, für diese Position hat er im Moment nur noch den Berliner Marvin Plattenhardt; und den Augsburger Philipp Max mit seinen 13 Torvorlagen in der Bundesliga will er ja nicht. Noch nicht?
Toni Kroos: Im Grunde hat er alles erreicht: Er ist Weltmeister, hat mit Real Madrid 2016 und 2017 die Champions League gewonnen und zählt zu den Unantastbaren der Löw'schen Combo. Und nun? Macht er einfach weiter. Die englische Zeitung "The Independent" hatte darüber spekuliert, ob er im Sommer zu Manchester United geht. Trainer José Mourinho wolle ihn unbedingt haben. Hm. Das könnte teuer werden. Die Passmaschine aus Greifswald ist bis 2022 an die Königlichen gebunden. Die Nationalmannschaft wechselt er jedenfalls definitiv nicht. Sein 81. Länderspiel war jetzt nicht die ganz große Zirkusnummer, der dominierende Spieler seines Teams war er in Düsseldorf nicht - auch, weil die Spanier ihn nicht ließen und ihm ständig auf den Füßen standen. Es war nicht sein Abend, das Spielmacherduell mit seinem Klubkollegen Isco auf der anderen Seite beendete er als zweiter Sieger. Und doch ist Kroos, selbst wenn er nicht am Limit spielt, immer noch viel zu gut, als dass irgendjemand daran denken würde, lieber auf ihn zu verzichten - der Bundestrainer ganz bestimmt nicht.

Hält Joachim Löw sein Versprechen, dann stehen Gündoğan und Sané gegen Brasilien von Beginn an auf dem Platz.
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Sami Khedira: Dem 30 Jahre alten Mittelfeldspieler von Juventus Turin schwante schon vor der Partie: "Am Ende wird es auch den einen oder anderen treffen, der es verdient hätte, mit zur WM zu kommen." Ob er auch sich selbst damit gemeint hat? Zumindest erwarte er "keinen Freifahrtschein. Ich bin froh, dass ich als Spieler nicht entscheiden muss, wer da am Ende mitfährt". Sein 73. Länderspiel auf der Doppelsechs mit Kroos durfte er in Abwesenheit des Amtsinhabers Neuer als Kapitän bestreiten. Und es drängte sich der Eindruck auf, dass ihm das mit der Ballkreiselei der spanischen Zauberfüße doch ein bisschen zu schnell ging. Eine seiner wenigen guten Taten war nach 23 Minuten der feine Steilpass auf Timo Werner, der so plötzlich frei vor Spaniens Torhüter David de Gea auftauchte, den Ball aber knapp vorbeischoss. Nach einem offenbar schmerzhaften Zweikampf mit Thiago Alcántara musste Khedira dann kurz nach der Pause raus. Für ihn kam in der 53. Minute İlkay Gündoğan. Der 27 Jahre alte Mittelfeldspieler von Manchester City ließ es in seinem 23. Länderspiel gleich rasant angehen, war sofort im Spiel und zog von der Strafraumgrenze ab, scheiterte aber knapp an de Gea und verpasste so sein fünftes Tor im Dress des DFB. Der Punkt ist, dass Gündoğan Khediras direkter Konkurrent für den Platz neben Kroos ist. Und am Dienstag in Berlin gegen Brasilien (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) darf Gündoğan, der einen viel dynamischeren Eindruck machte, von Beginn an spielen. Das hat Löw versprochen.
Thomas Müller: Der 28 Jahre alte Flügelspieler des FC Bayern war ja vor der Partie mit seinen 37 Treffern der erfolgreichste Schütze im aktuellen Kader. Und nach seinem 90. Länderspiel ist er es mit nun 38 Toren immer noch. Ganz abgesehen davon, dass sein Fernschuss zum 1:1 wirklich famos war. Den Querpass zuvor, das nur am Rande, spielte übrigens Khedira. Müller jedenfalls scheint sich nach einem relativ lange währenden Tief und einer nicht sonderlich erfolgreichen EM 2016 in Frankreich endgültig berappelt zu haben. In dieser Saison gelangen ihm für den FC Bayern in der Bundesliga sechs Tore, drei in der Champions League und ein Treffer im DFB-Pokal. Ansonsten sei es so, dass ihn der Konkurrenzdruck eher beflügele: "Er ist ein Hilfsmittel, um die Leistung hochzuhalten. Jeder weiß, dass er gefordert ist. Niemand kann sich ausruhen. Das tut uns gut." Wir haben es gesehen. Elf Minuten vor dem Ende der Partie war Schluss, sein künftiger Teamkollege in München, Leon Goretzka, kam hinein und als Noch-Schalker zu seinem 13. Länderspiel.
Mesut Özil: Auch der 29 Jahre alte Edeltechniker, der seinen Vertrag beim FC Arsenal jüngst bis 2021 verlängert hat, ist in der Auswahl des DFB gesetzt. Auch sonst bleibt bei ihm alles beim Alten: zwischen unsichtbar und Weltklasse ist beim Mann mit der Nummer 10 alles drin. In seinem 89. Länderspiel war das dann doch eher - unauffällig. Woran es lag? Wir wissen es nicht. Am Können kann's ja nicht liegen. Vielleicht dreht er ja, an zentraler Position im Mittelfeld nach wie vor gesetzt, am Dienstag gegen Brasilien so richtig auf.
Julian Draxler: Neulich war der 24 Jahre alte Mittelfeldspieler knatschig, als er just mit Paris Saint-Germain gegen Real aus der Champions League ausgeschieden war. Dass sein Trainer, Unai Emery, ihn erst eine Viertelstunde vor dem Ende der Partie eingewechselt hatte, fand er doof: "Ich war überrascht und ein bisschen sauer." Sie merken: Der Mann hat noch was vor in seinem Berufsleben. Und eigentlich läuft es nicht schlecht: Mit der DFB-Elf hat er als Kapitän im Sommer vergangenen Jahres den Confed Cup gewonnen. Und die Modefirma Boss hat ihn als Duftbotschafter angeheuert. Draxler werde "in einem exklusiven Kreis inspirierender Männer an der Spitze der Fußballkampagne" der Marke agieren. Da drängt sich nach seinem 41. Länderspiel der Kalauer an, er habe in Düsseldorf auf dem linken Flügel keine Duftmarke setzen können. Ein starker Schuss auf des Gegners Tor zwei Minuten nach der Pause, das war's im Großen und Ganzen. Was nicht heißt, dass er nicht viel gelaufen wäre und sich nicht bemüht hätte. Nach 67 Minuten jedenfalls hatte er Bundestrainer genug gesehen. Er nahm Draxler raus und brachte den 22 Jahre alten Leroy Sané von Manchester City. Und der deutete in seinem zehnten Länderspiel durchaus an, warum sie auf der Insel alle von ihm schwärmen. Und weil 23 Minuten dann doch zu wenig waren, um sich richtig zu entfalten, hat Löw auch ihm zugesagt, dass er gegen Brasilien in der Startelf steht.
Timo Werner: Dass er mit seinen 21 Jahren durchaus über eine gewisse Abgeklärtheit verfügt, wenn es darum geht, einfach mal den Ball ins Tor zu schießen, hat der Angreifer der Leipziger Rasenballsportler oft genug bewiesen - in seinen nun zwölf Länderspielen bereits sieben Mal. Und dass es nun in Düsseldorf nicht mit Treffer Nummer acht geklappt hat, lag nicht daran, dass er nicht alles versucht und seine Schnelligkeit nicht ausgespielt hätte. Sein Problem war, dass immer dann, wenn er nahe dran war, Sergio Ramos dazwischen grätschte. Der spanische Kapitän von Real Madrid ist nicht dafür bekannt, Kompromisse einzugehen. Und ja, ein bisschen Pech war bei Werner auch dabei, zum Beispiel, als er nach neun Minuten den Ball nur knapp am Pfosten vorbeischoss. Ob er bei der WM dann mehr Glück hat, weiß nicht einmal der Bundestrainer. Sicher aber ist: Werner fährt mit. Die Frage ist, ob ihn dann Sandro Wagner vom FC Bayern oder Mario Gomez vom VfB Stuttgart nach Russland begleitet. Eine Antwort darauf gibt es nach dieser Partie nicht. Der 30 Jahre alte Wagner saß nur auf der Bank; und der noch zwei Jahre ältere Gomez durfte ganze sechs Minuten spielen. Immerhin kommt er so jetzt auf 72 Länderspiele. Und nun auf nach Berlin.
Quelle: ntv.de