
Spürt ein neues "Wir-Gefühl": Julian Nagelsmann.
(Foto: picture alliance / Marvin Ibo Güngör)
Bundestrainer Julian Nagelsmann ist die Zeitenwende geglückt: Das DFB-Team beendet ein erfolgreiches Länderspiel 2024. Doch für Ausruhen ist keine Zeit, schließlich hat die Vorbereitung für die WM 2026 schon angefangen.
Der Job des Bundestrainers hat Vorteile, die nur von außen betrachtet welche sind. Mit dem 1:1-Remis gegen Ungarn am Dienstagabend endet für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft das Länderspieljahr - noch anderthalb Monate vor Silvester. Das heißt, zumindest in der Theorie, dass Bundestrainer Julian Nagelsmann den kalten und grauen deutschen Winter nicht dick eingepackt auf den Trainingsplätzen des Landes verbringen muss. Für die DFB-Elf geht es schließlich erst Ende März gegen Italien weiter.
Und doch ist der Job des Bundestrainers keine reine Saisonarbeit. Auch wenn es sich Nagelsmann eigentlich erarbeitet hat. Noch vor einem Jahr, so sagte er es selbst im Keller der Budapester Puskas Arena, da lag die DFB-Elf am Boden und über ihr schwebte noch die "Heim-EM als Damoklesschwert" - schließlich das wichtigste Turnier der vergangenen 20 Jahre. Das Länderspieljahr endet mit nur einer Niederlage - das folgenschwere 1:2 gegen den späteren Europameister Spanien im EM-Viertelfinale.
Damit das auch so laufen konnte, musste Nagelsmann im vergangenen Winter hart arbeiten. Schließlich verlor sein Team aussichtslos im November 2023 gegen die Türkei und Österreich. Auf den Tiefpunkt folgten laut dem "Spiegel" viele Zoom-Calls und noch mehr Gespräche. Am Ende erarbeitete der 37-Jährige mit seinem Team einen Plan für das Länderspieljahr 2024: Mittelfeld-Regisseur Toni Kroos kommt zurück, die Taktik wird radikal vereinfacht, alle Spieler bekommen feste Rollenprofile. Mit Erfolg: Die März-Länderspiele gegen Frankreich und die Niederlande markierten eine Zeitenwende. Die DFB-Elf machte ihren Fans - und genauso wichtig - sich selbst wieder Freude.
Nübel, Baumann - oder doch jemand anders?
Jetzt ist die Situation eine andere. Die DFB-Elf befindet sich in einem guten Zustand, alle Beteiligten haben wieder Spaß bei der Arbeit. Eigentlich ist alles also winterfest verpackt. Trotzdem wird Bundestrainer Nagelsmann die kommenden vier Monate nicht die Füße hochlegen, sondern wieder Einzelgespräche mit den DFB-Stars führen, das verriet er kürzlich in einem Interview. Nagelsmann, eigentlich Vereinstrainer, scheint sich in seinem neuen Job so sehr wohlzufühlen und die tägliche Arbeit auf dem Trainingsplatz nicht zu vermissen. Der Verband freut sich über einen Bundestrainer, der erfolgreich ist und über das Sportliche hinaus Bundespräsidenten-taugliche Botschaften sendet.
Bei all den guten Nachrichten, das nächste Länderspieljahr birgt neue Baustellen. Der Umbruch nach der Heim-Europameisterschaft fiel zwar vergleichsweise klein aus, doch nicht alle Planstellen sind neu besetzt. Etwa auf der Torwartposition: Die eigentliche Nummer eins, Marc-André ter Stegen, ist noch immer am Knie verletzt. Zuletzt brachte Nagelsmann ein Szenario ins Spiel, dass der Barça-Keeper auch die WM-Qualifikation in der zweiten Jahreshälfte 2025 verpassen könnte. Eine Übergangs-Nummer-eins sollte dementsprechend nicht nur das Nations-League-Viertelfinale im März, sondern auch das Final-Four-Turnier dann im Sommer spielen.
Noch ist es unklar, wen Nagelsmann bei seinem Torwart-Ranking auf die Eins setzt. Er habe eine Tendenz, das hat der Bundestrainer schon angedeutet. Nur, wer das ist, will er nicht verraten. Aus Fairnessgründen. Wird es der Hoffenheimer Elfmeterkiller Oliver Baumann, der gegen Bosnien-Herzegowina unter akutem Arbeitsmangel litt? Oder vielleicht doch der mittlerweile 28-jährige Alexander Nübel, der sich gegen Ungarn mehrfach auszeichnen konnte? Es ist auch eine Frage der Nachhaltigkeit: Man könnte schon jetzt überlegen, wer nach ter Stegen und nach 2026 das Tor hütet. Das wäre ein Vorteil für Nübel. Beide Torhüter könnte man sich vorstellen, wenn es darum geht, das Trikot mit der Nummer eins warmzuhalten. Am Ende entscheidet die Leistung in der Bundesliga
Macht Groß für immer den Kroos?
Außerdem hat ein Torwart einen Vorteil gegenüber allen anderen Positionen: Die Torhüter sind unempfindlicher, was die Belastung angeht. In dem Fußball-Kalender, in dem immer neue Wettbewerbe aufploppen, wird das Thema auch im kommenden Jahr nicht verschwinden. Bundesliga, Pokal, europäischer Wettbewerb, März-Länderspiele, Nations-League-Final-Four, Klub-WM: Wenn es ganz schlecht läuft, müssen einige DFB-Stars ganz schon lange in ihrer Kalender-App scrollen, bis mal wieder ein Urlaub auftaucht. Deshalb umfasst der DFB-Schattenkader von Nagelsmann 35 Spieler, die wird er auch brauchen. Genauso wie die Vereinstrainer, mit denen muss die Belastung bis zur WM 2026 gesteuert werden. Ob es da wirklich eine diplomatische und nachhaltige Lösung ist, mit ihnen nicht mehr über Einsatzzeiten zu diskutieren, wird sich zeigen.
Stichwort Nachhaltigkeit: Das Karriereende von Kroos hat die Nationalelf bislang gut verkraftet, das war eine Sorge nach der EM. Doch mit Blick auf die Weltmeisterschaft 2026 fehlt noch eine dauerhafte Lösung. Im Oktober konnte mit Aleksandar Pavlović und Angelo Stiller schon eine mögliche Zukunft vorspielen, im November trat mit Robert Andrich und Pascal Groß dann die Gegenwart auf.
Beide Duos haben ihre Nachteile: Pavlovic kommt voraussichtlich erst nächstes Jahr aus seiner schweren Verletzung zurück. Sein Talent ist unbestritten, aber reicht es für das allerhöchste Niveau? Bislang hat er in seiner ganzen Karriere nur 25 Bundesliga-Partien absolviert. Bei Stiller sind es schon einige mehr, aber er spielt in dieser Saison zum ersten Mal in der Champions League. Kann dieses Duo in anderthalb Jahren schon WM-Halbfinale?
Die "schrecklichste Zeit"
Es ist die Frage. Zumal dann auch das Gegenwartsduo Probleme bereiten könnte. Gegen Andrich/Groß spricht ein großer Nachteil: die Zeit. Sie sind jetzt 30 und 33 Jahre alt, in anderthalb Jahren entsprechend älter. Das zentrale Mittelfeld ist eine der körperlich anspruchsvollsten Positionen im Fußball. Ein Methusalem wie Luka Modric ist eher die Ausnahme als die Regel. In den nächsten Monaten muss Nagelsmann hier eine Lösung finden. Kroos war zum EM-Beginn zwar auch 34, jedoch auch ein fußballerischer Ausnahmekönner. Für das Innenverteidigerduo Jonathan Tah, erst 28, und Antonio Rüdiger, 31, könnte es in den USA, Mexiko und Kanada derweil noch reichen.
Keine Sorgen macht dagegen das Wunder-Trio um Kai Havertz, Jamal Musiala und Florian Wirtz. Für "Wusiatz" (Namensvorschläge werden gerne angenommen!) geht es vor allem darum, ihre bestechende Form zu konservieren und verletzungsfrei (Stichwort: Belastungssteuerung) zu bleiben. Und sollte selbst einer der Dreien ausfallen, wartet dahinter immer noch Leroy Sané. Schließlich muss "einer der besten Spieler Deutschlands" (Nagelsmann) nur sein Potenzial auf den Platz bringen, ansonsten wartet noch der fußballerische Thomas-Müller-Nachfolger Maximilian Beier, der derzeit bei der U21 auftrumpft.
Die Fußball-Welt wird in vier Monaten ohnehin schon wieder eine ganz andere sein. Diejenigen, die die DFB-freien Winter ganz gerne annehmen, sind wohl die Spieler. Es ist die erste Verschnaufpause für längere Zeit. Diejenigen, die die lange Winterpause dagegen gar nicht mögen, sind die Bundestrainer selbst. Ex-Nationalcoach Joachim Löw beschwerte sich einst sogar darüber, dass er das Jahr über Fortschritte sieht, und er im darauffolgenden März wieder komplett von vorne anfangen muss. Die vier freien Monate waren für ihn die "schrecklichste Zeit", Nagelsmann wird das ganz ähnlich sehen.
Quelle: ntv.de