Noch schlechter als der FC Bayern Napoli serviert naive Wolfsburger ab
17.04.2015, 03:07 Uhr
"Das war ein Spiel, das durchaus in die Geschichte des SSC Neapel eingehen könnte": Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking (r.) in der Volkswagen-Arena in Wolfsburg.
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Sie wollten ein Hammerspiel - und bekamen es. Debakulös verliert der VfL Wolfsburg gegen den SSC Neapel, der Traum vom ersten europäischen Titel platzt. Nun bleibt der DFB-Pokal. Und demnächst dann die Königsklasse.
Dieter Hecking hatte hinterher wenig Lust, zu behaupten, dass theoretisch noch alles drin sei. "Nach so einem Spiel ist auch mein Optimismus begrenzt." Dabei war so ein Spiel doch das, was sich die Fußballer des VfL Wolfsburg und ihr Trainer gewünscht hatten. Europaliga, Viertelfinale, fast ausverkauftes Stadion, ordentliche Stimmung, namenhafter Gegner. "Jetzt kommen die richtigen Hammerspiele", hatte Hecking vorher gesagt. "Und wir freuen uns drauf." Doch es blieb bei der Vorfreude. Mit 1:4 (0:2) haben die Wolfsburger an diesem für sie so unerfreulichen Donnerstagabend gegen den SSC Neapel verloren.

In der Tradition der "Hand Gottes": Neapels Gonzalo Higuain jubelt über seinen Treffer zum 0:1.
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Das war’s dann mit dem Traum vom ersten internationalen Titel in der seit 1945 währenden Vereinsgeschichte - weil der VfL in der bisher wichtigsten Partie der Saison schlecht spielte, schlechter als meist, zu viele Zweikämpfe verlor, sich selbst kaum Chancen erspielte, sich auskontern ließ, arglos "ins Verderben rannte", wie Hecking es formulierte - und die höchste Heimniederlage in seiner überschaubaren Europapokalhistorie kassierte. Abwehrchef Naldo konstatierte: "Wir waren viel zu naiv. Neapel war clever und hat verdient gewonnen." Und auch wenn Manager Klaus Allofs zu beschwichtigen versuchte und davon sprach, dass diese Niederlage zwar traurig sei, man aber immer damit rechnen müsse, auch einmal zu verlieren - dieser Tiefschlag ist für den VfL Wolfsburg ein Debakel.
Schließlich investiert der Autobauer VW, dem der VfL gehört, nicht jedes Jahr zig Millionen in eine Mannschaft, die dann im entscheidenden Moment nicht annähend das liefert, was alle von ihr erwarten. Immer wieder hatten die Wolfsburger vom Finale der Europaliga als Ziel gesprochen, das am 27. Mai in Warschau stattfindet - wie wir jetzt wissen, wohl ohne sie. Damit die Mannschaft diesen Rückschlag noch in einen Triumph verwandelt, braucht es ein veritables Fußballwunder. Und das ist nun wirklich nicht in Sicht. Die Mannschaft von Trainer Hecking präsentierte sich noch schwächer als der FC Bayern beim 1:3 beim FC Porto in der Champions League am Mittwoch. Es spricht einiges dafür, dass der Europapokal nach den Rückspielen in der kommenden Woche ohne deutsche Mannschaften weitergeht.
"Das wäre schon eine Riesen-Sensation"

Fans des SSC Neapel feiern: Um die Sache noch zu drehen, müsste der VfL beim Rückspiel mit vier Toren Vorsprung gewinnen.
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Während allerdings den Münchnern am Dienstag ein 2:0-Sieg reichen würde, müssten die Wolfsburger, um doch noch das Halbfinale zu erreichen, am Donnerstag drauf mit 4:0 in Neapel gewinnen. Ein 5:1, 6:2 und 7:3 würde natürlich auch reichen. Mittelfeldspieler Daniel Caligiuri gab zwar tapfer zu Protokoll: "Wir werden in Napoli alles versuchen, jede noch so kleine Chance zu nutzen." Und Hecking ermahnte sein Team, nichts zu verschenken. Doch er sagte auch: "Ich bin da Realist. Das wäre schon eine Riesen-Sensation." Lieber betonte er, dass auch ein 1:4 "uns in unserer Entwicklung weiterbringen kann". Es könne die Sinne seiner Spieler schärfen. "Wir haben gemerkt: Weiter oben wird die Luft dünner." Dabei seien sie "noch nicht am Ziel: In der Liga nicht, und auch im DFB-Pokal, wo wir ins Finale nach Berlin wollen". Von der Europaliga sprach er nicht mehr. Dieses Kapitel ist abgeschlossen, das weiß er. Wie das so ist im Fußball: Manchmal gewinnt halt die bessere Mannschaft - mit den besseren, robusteren, abgezockteren Spielern.
Mit Gonzalo Higuain zum Beispiel. Der Argentinier war im mit 25.112 Zuschauern nicht ganz ausverkauften Stadion am Mittellandkanal einer von zwei Akteuren, die am 13. Juli 2014 im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft gestanden hatten. Der andere war der deutsche Nationalspieler André Schürrle, Wolfsburgs einziger Weltmeister. Higuain überragte, schoss nach einer Viertelstunde Neapels erstes Tor und bereitete nach 23 Minuten das zweite des Slowaken Martin Hamsik vor. Bei seinem Treffer nahm Higuain allerdings die Hand zu Hilfe, was der spanische Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz übersah. Vielleicht eine Reminiszenz an Diego Armando Maradona. Higuains Landsmann, die Hand Gottes und bester Fußballer aller Zeiten, hatte von 1984 bis 1991 beim SSC Neapel eine Ära geprägt. Die Fans verehren ihn noch heute, auch in Wolfsburg schwenkten sie eine Fahne mit seinem Konterfei.
Fehlpass nach Art der Münchner
Schürrle hingegen blieb auf der linken Angriffsseite wirkungslos. Nach einer guten Stunde wechselte Hecking ihn aus. Kurz darauf stand es 3:0 für Napoli, weil Hamsik zum zweiten Mal traf. Und als Manolo Gabbiadini eine knappe Viertelstunde vor Toresschluss auf 4:0 erhöhte, war die Demütigung für die Wolfsburger perfekt. Dass Niklas Bendtner noch der Ehrentreffer gelang, war nicht mehr von Belang. Allerdings war Schürrle nicht der einzige Wolfsburger, der einen gebrauchten Abend erwischt hatte. Wunderknabe Kevin De Bruyne enttäuschte zumindest diejenigen, die in jeder Partie Außergewöhnliches von ihm sehen wollen. Joshua Guilavogui, ansonsten zuverlässiger Abräumer vor der Abwehr, leistete sich vor dem dritten Treffer der Neapolitaner einen Fehlpass nach Art des FC Bayern. Und von Angreifer Bas Dost war bis zu seiner Auswechslung nichts zu sehen. Und danach erst Recht nicht.
Damit bleibt es dabei, dass die Società Sportiva Calcio Napoli in dieser Saison noch kein Spiel in der Europaliga verlor. Trainer Rafael Benítez nahm das an seinem 55. Geburtstag mit einer guten Portion Genugtuung zur Kenntnis: "Das war ein Spiel, das durchaus in die Geschichte des SSC Neapel eingehen könnte." Denn auch die Süditaliener wollen den Titel gewinnen. Vielleicht müssen sie gar. Denn als Tabellenvierter in der Serie A ist ein Platz in der Champions League bereits sieben Punkte entfernt. Der Europaligasieger allerdings darf ebenfalls in der Königsklasse des europäischen Fußballs mitspielen.
Dieses Problem wenigstens haben sie in Wolfsburg nicht. In der nächsten Saison sind sie in der Liga der Besten dabei. Das ist als souveräner Tabellenzweiter der Bundesliga so sicher wie es unmöglich scheint, beim Rückspiel in Neapel noch irgendetwas zu reißen. So gesehen können sie es als Vorbereitung auf ihre Auftritte in der Champions League nutzen. Oder wie Manager Allofs es formulierte: "Wir haben heute keine Antwort. Das liegt auch an der fehlenden internationalen Erfahrung. Nach dem ersten Tor haben wir die Nerven verloren." Immerhin können sich die Wolfsburger sicher sein, dass sie auch in der kommenden Saison ihre Hammerspiele bekommen. Bleibt die Frage, was sie daraus machen.
Quelle: ntv.de