Neue Ära oder schnelles Ende? Reals Zidane steht auf dem Prüfstand
28.05.2016, 12:09 Uhr
Den Pott kennt er: Zinédine Zidane 2014 in Lissabon als Ko-Trainer Real Madrids.
(Foto: imago/mika)
In seiner ersten Saison könnte Zinédine Zidane mit Real Madrid den elften Champions-League-Titel gewinnen. Dabei steht der 43-Jährige als Trainer am Anfang. Doch die Ausnahmekönner von heute helfen dem Ausnahmekönner von einst.
Zinédine Zidane verzauberte um die Jahrtausendwende herum mit seinem Fußballspiel Fans auf der ganzen Welt. Zizou dominierte das Geschehen in zahllosen Partien mit großer Leichtigkeit. Mittlerweile hat er eine neue Berufung gefunden. Er möchte als Trainer an seine glorreichen Tage anknüpfen. Und er will als siebter Mensch in der Geschichte der Champions League und ihres Vorgängerwettbewerbs den Titel als Spieler und als Trainer gewinnen. Heute (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) hat er mit Real Madrid im Endspiel zu Mailand gegen den Stadtrivalen Atlético die Chance dazu.
Real: Navas - Carvajal, Pepe, Sergio Ramos, Marcelo - Casemiro, Kroos, Modric - Bale, Jesé, Cristiano Ronaldo. - Trainer: Zidane
Atlético: Oblak - Juanfran, Savic, Godin, Filipe Luis - Gabi, Augusto - Saul Niguez, Koke - Griezmann, Fernando Torres. - Trainer: Simeone
Schiedsrichter: Clattenburg (England)
Nach seinem Wechsel von Juventus zu Real im Jahr 2001 gewann er in seiner ersten Saison den berühmten Henkelpott. Im Finale gegen Bayer 04 Leverkusen erzielte er ein Traumtor, das noch heute in vielen Highlight-Videos auftaucht. Bis zu seinem Karriereende 2006 musste er jedoch mit ansehen, wie der Stern von Real Madrid etwas verblasste. Der große Klub aus der spanischen Hauptstadt gilt seit dem Projekt der so genannten Galaktischen, zu denen auch Zidane zählte, als schwere Prüfung, an der bereits viele namhafte Trainer scheiterten. Carlo Ancelotti brachte mit dem Sieg im Champions-League-Finale vor zwei Jahren wieder das Gefühl vergangener Zeiten zurück. Doch auch der Italiener musste später gehen. Nach einem erfolglosen Intermezzo unter Rafael Benítez ist seit Januar Zidane in Verantwortung. Die Erwartungen an den einstigen Weltfußballer könnten größer nicht sein.
Das Guardiola-Modell
Real Madrid erweckt den Eindruck, dass es gerne den Erfolg vom FC Barcelona vor einigen Jahren kopieren möchte. Damals wurde mit Josep Guardiola ein Ex-Spieler befördert, der zuvor für die zweite Mannschaft tätig war. Der Rest ist Geschichte. Guardiola mutierte schnell zu einem der besten Trainer der Welt - mit einer konkreten Vorstellung von Fußball. Diese fehlt Zidane im Moment noch. Auch er war von 2014 an für Real Madrid Castilla, das Reserveteam, verantwortlich. Auch er ist ein hoch dekorierter Ex-Profi. Doch auf dem Weg zur großen Erfolgsstory müssen noch einige Dinge geschehen.
Zidane ist zum jetzigen Zeitpunkt lediglich ein Trainer in der Entwicklung, dem man nicht automatisch die Fähigkeiten, einen derart schwierigen Job zu meistern, zugestehen kann. Die Anfangsphase im Januar und Februar verlief holprig für den 43-Jährigen. Im Verlauf der Rückrunde verbesserten sich die Blancos und hielten das Titelrennen mit einem zeitweilig schwächelnden FC Barcelona bis zum letzten Spieltag offen. Zidane konnte vor allem auf die individuellen Fähigkeiten seiner Spieler vertrauen. Unter Vorgänger Benítez entwickelte sich die taktische Qualität in die falsche Richtung. Die Madrilenen standen schlecht gestaffelt auf dem Feld. Zwischen den Aufbauspielern - allen voran Toni Kroos sowie Luka Modrić - und den Offensivkräften klaffte ein großes Loch. Real Madrid verlor zu oft den Ball oder kam nur ungeordnet in die hohen Spielfeldzonen.
Erst langsam ändert sich diese Problematik unter Zidanes Aufsicht. Der 43-Jährige vertraut auf Elemente, die Ancelottis System vor zwei Jahren auszeichneten. Damals konnte der heutige Cheftrainer als Assistent des Italieners aus nächster Nähe lernen, wie man am besten die Individualisten zusammenführt - und vor allem Cristiano Ronaldo, den größten Individualisten im Team, richtig nutzt. Im Vergleich zur Mannschaft, die 2014 die Königsklasse gewann, hat sich personell nur sehr wenig verändert. Keylor Navas ersetzt Iker Casillas im Tor. Kroos zieht anstelle von Xabi Alonso mittlerweile die Fäden auf der Sechserposition. In einem asymmetrischen 4-3-3-System agieren der deutsche Nationalspieler und Modrić im Zentrum. Wenn nicht Casemiro als zusätzliche defensive Absicherung aufgestellt wird, fungiert Isco als dritter Akteur im Mittelfeld. Von der halblinken Position driftet der Spanier oftmals zur Seitenlinie, wodurch Ronaldo vom linken Flügel nach innen ziehen kann. Der Portugiese ist ein Einzelkünstler, der eine perfekte Umgebung benötigt, damit seine Stärken richtig zur Geltung kommen. Gerade mit Mittelstürmer Karim Benzema hat Ronaldo einen Partner, der ihm zuarbeitet und in der Entscheidungsfindung hilft.
Suche nach eigenem Konzept
Auf gewisse Weiße erinnert Ronaldo an den Spieler Zidane. Denn obwohl jener mit seinen Dribblings und legendären 360-Grad-Drehungen, auch Roulettes genannt, die Herzen eroberte, war er kein wirklicher Stratege. Zizou konnte sich mit seiner grandiosen Technik gegen die manndeckenden Gegenspieler durchsetzen und Torchancen kreieren. Aber er war nie ein Zehner, der seine Nebenmänner perfekt in Szene setzte. Auch Ronaldo fungiert heute nicht als Zuarbeiter, sondern als durchbrechender Dribbler und Abschlussspieler.
Zidanes Zukunft auf der Trainerbank schadet es nicht, dass er einst kein Spielverständnis wie beispielsweise Guardiola hatte. Seine taktische Arbeit heute bleibt dabei unberührt. Zidane muss jedoch sein ganz eigenes Konzept erst finden. Das aktuelle System basiert zu einem großen Teil noch auf der Arbeit Ancelottis. Zidane trat im Januar mit den vielsagenden Worten an, "schönen und offensiven Fußball" spielen zu lassen.
Real Madrid ist gegen nahezu jede Mannschaft dazu gezwungen, die Initiative zu ergreifen und mit einem größeren Ballbesitzanteil umzugehen. Dies wird auch gegen Atlético Madrid heute Abend der Fall sein. Gerade gegen die grandiose Defensive der Rojiblancos sollte das Ballbesitzkonzept Zidanes auf den Prüfstand stehen. Früh in seiner Trainerkarriere wird er einer derartigen Härteprüfung unterzogen. Im besten Fall triumphiert Zizou und erarbeitet sich Kredit für die nahe Zukunft. Im schlechtesten Fall geht er als nächster gescheiterter Real-Trainer in die Geschichtsbücher ein.
Quelle: ntv.de