Neue Vorwürfe gegen Funktionär Rubiales nennt Übergriff auf Hermoso "Anekdote"
05.10.2023, 11:26 Uhr
Rubiales im Gespräch mit seiner Anwältin.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Der erzwungene Kuss mit Fußball-Weltmeisterin Jenni Hermoso sei einvernehmlich gewesen und eine "Anekdote" - auf dieser Version beharrt der zurückgetretene spanische Verbandsboss Luis Rubiales vor Gericht. Eine Verbandsmitarbeiterin erhebt derweil Erpressungsvorwürfe gegen Rubiales.
Luis Rubiales hat vor Gericht ausgesagt und erneut bestritten, während der Ehrung der spanischen Fußball-Weltmeisterinnen einen sexuellen Übergriff begangen zu haben. Den Kuss, den er Jenni Hermoso nach dem gewonnenen WM-Finale gegen England aufgezwungen hatte, nannte der zurückgetretene Präsident des spanischen Verbandes stattdessen eine "Anekdote". Das berichtet die spanische Nachrichtenagentur EFE aus dem Gerichtssaal.
Hermoso hatte kurz nach dem Vorfall erklärt, sich "als Opfer einer impulsiven, sexistischen und unangebrachten Handlung gefühlt" zu haben, "der ich nicht zugestimmt habe". Ein Richter hatte jüngst verfügt, dass der 46-Jährige sich Hermoso nur bis auf höchstens 200 Meter nähern und keinen Kontakt zu ihr aufnehmen darf.
Die spanische Justiz ermittelt wegen des Vorwurfs der sexuellen Aggression und Nötigung gegen Rubiales. Der 46-Jährige gab beim neuerlichen Gerichtstermin an, vor dem Kuss das Einverständnis Hermosos eingeholt zu haben. "Wie soll ich mich denn respektlos verhalten haben, wenn ich sie doch vorher gefragt habe", sagte Rubiales laut EFE. "Und sie ist ja auch lachend [vom Podium] gegangen und hat mir zweimal auf die Seite gehauen", so Rubiales weiter. " Hermoso bestreitet die Einvernehmlichkeit, zahlreiche Mitspielerinnen haben ihre Version der Ereignisse bestätigt. Ein nicht einvernehmlicher Kuss kann laut spanischem Strafrecht als sexueller Übergriff gewertet werden.
Nach den verbandsinternen Anti-Belästigungs-Richtlinien befragt, sagte Rubiales ESPN zufolge, es gehe nicht "um Erlaubtes oder Unerlaubtes, sondern um Verhaltensweisen". Es habe sich um einen "komplett außergewöhnlichen Jubel" gehandelt: "Es war so, als hättest du gerade im Lotto gewonnen, oder als wäre der Krieg in der Ukraine vorbei - oder du gewinnst eine Weltmeisterschaft." Der Kuss hatte einen breiten Protest ausgelöst, Spaniens Fußballerinnen kündigten den Boykott von Länderspielen an, Rubiales und Nationaltrainer Jorge Vilda traten daraufhin zurück, wenn auch nur widerwillig.
Hat Rubiales die Pressechefin im Büro eingesperrt?
Rubiales erklärte außerdem vor Gericht, dass Mitglieder des Verbands ihm geraten hätten, die Vorgänge zu erklären. Und dass es "fantastisch wäre", wenn Hermoso mit ihm gemeinsam auftreten würde. "Ich habe ihr gesagt, hör zu, meine Töchter sind hier, sie leiden. Wir können all das beenden." Drei Mannschaftskolleginnen von Hermoso hatten zu Wochenbeginn ausgesagt, Hermoso sei von Rubiales bedrängt worden, ihn zu entlasten. Laut Weltfußballerin Alexia Putellas, Kapitänin Irene Paredes und Misa Rodríguez sei Hermoso unter anderem im Teambus und bei einem gemeinsamen Urlaub der Weltmeisterinnen auf Ibiza unter Druck gesetzt worden. Der Ex-Funktionär habe die Fußballerin unter Tränen zu überreden versucht, ein gemeinsames Video zu produzieren.
Übergriffiges Verhalten hatte jüngst auch Patricia Perez geschildert, die Pressechefin der spanischen Fußballerinnen. Sie berichtete vor Gericht, Rubiales habe sie drei Stunden lang eingeschlossen und erpresst. Gemeinsam mit Hermoso sollte Perez dadurch eine Stellungnahme freigeben, die den Kuss als einvernehmlich bezeichnet. Eine solche Stellungnahme hatte der spanische Verband kurz nach dem WM-Finale veröffentlicht, derzufolge Hermoso gesagt habe: "Der Präsident und ich haben ein großartiges Verhältnis, sein Verhalten uns gegenüber war ausgezeichnet und es war eine natürliche Geste der Zuneigung und Dankbarkeit."
Perez erklärte vor Gericht, wie diese Aussage zustande gekommen sei: Rubiales, Rubiales' Vater und andere Verbandsfunktionäre hätten sie in einem Büro eingeschlossen. Dort habe sie ein Dokument unterschreiben müssen, um zu bezeugen, dass Hermoso die Aussagen tatsächlich getroffen habe. So berichtet es die "Bild". Die Fußballerin hatte der Stellungnahme unmittelbar widersprochen und Anzeige erstattet.
Rubiales schilderte in seinem Gerichtstermin außerdem, dass der damalige Nationaltrainer Jorge Vilda vorgeschlagen habe, auf dem Rückflug von der WM mit Jenni Hermosos Bruder zu sprechen. "Ich wusste gar nicht, dass der Bruder mit uns fliegt", sagte Rubiales: Vilda habe diesen jedoch als "vernünftigen Typ" beschrieben, mit dem er gesprochen habe. "Jorge Vilda hat zu mir gesagt, dass er [der Bruder] mit ihr [Jenni Hermoso] reden wird." Mit dem Ziel, "das nicht zu einem Problem werden zu lassen, was eigentlich nur eine Anekdote sein sollte".
Quelle: ntv.de, tsi/dpa/sid